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Ausgabe:

1964

Spalte:

199-201

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Der historische Jesus und der Christus unseres Glaubens 1964

Rezensent:

Marxsen, Willi

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199

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

200

Fälle (Polykarp von Smyrna usw.) zu, in deren keinem eine Taufe
bald nach der Geburt zur vollen Sicherheit erhoben werden kann. Die
Änderung, die die Vorlage von Cod. D am Text von Apg. 2, 39 vorgenommen
hat („unsere Kinder" statt „eure Kinder"), ist an sich
interessant (S. 51); doch geht es schwerlich an, mit Hilfe einer
Kapitelüberschrift in Vulgata-Handschriften hier einen noch dazu
frühen Beleg für Säuglingstaufe zu gewinnen (S. 52). Wenn J. bei der
Auslegung von Irenäus, Adv. haer. II 32,2 gegenüber A. im Recht
sein 6ollte (S. 53 f.), was mir aber durchaus fraglich ist, wäre diese
Stelle ein Beleg dafür, daß die Säuglingstaufe im ausgehenden
2. Jhdt. in Gallien (und wohl auch in Kleinasien) „kirchliche Übung"
gewesen ist.

Wenn J. in Teil III „Die Säuglingstaufe — um 200 n. Chr.
eine Neuerung?" (S. 54—64) zum Ergebnis kommt, diese Frage
sei zu verneinen, so wird man dem, was er zu Tertullian (S. 54
—58) und Origenes (S. 58—63) ausführt, weithin zustimmen
müssen. In der Tat ist die Auslegung von A., wonach die
Säuglingstaufe bei Tertullian und Origenes als kirchliche Neuerung
erkennbar werde, so überzeugend nicht. Die Säuglingstaufe
muß schon damals verbreiteter gewesen sein, als A. gelten läßt.
Daß sie andererseits ein völlig unbestrittener Brauch gewesen
ßei, dies wird man wenigstens Tertullian aber auch nicht entnehmen
können. Vor allem wäre, selbst wenn J. völlig im Recht
wäre mit seinem Ergebnis, damit noch immer kein Anschluß an
eine kontinuierliche Übung der Säuglingstaufe von der apostolischen
Zeit an erreicht.

Großes Gewicht legt J. dem letzten Teil IV „Die Tauftheologie
" (S. 64—72) bei (S. 64: „Hier fällt die Entscheidung").
J. hält es für die „entscheidende Schwäche" der Schrift A.s, daß
6ie „das verkümmerte Taufverständnis", das sich im 2. Jhdt. angebahnt
habe und bei dem die esdiatologische Bedeutung der
Taufe verlorengegangen sei, in die apostolische Zeit reprojiziere.
Mir ist nicht sicher, daß dies Urteil wirklich zutrifft; den Vorbehalt
, den A. S. 75, Anm. 345 anbringt, nimmt J. doch wohl
zu wenig ernst (S. 69). Umgekehrt habe ich den Eindruck, als
ob bei J. ungeachtet alles Zutreffenden, das er S. 70 f. über das
nt. Taufverständnis ausführt, der Zusammenhang zwischen Taufe
und Glaube ganz zurücktritt. Auf dem Umweg über das „Ganzheitsdenken
" des NT (S. 71) ist dann im letzten Satz der Schrift
von J. auch vom Glauben die Rede, davon nämlich, daß „der
Glaube des das Haus repräsentierenden Hausvaters sowie der
Glaube der Hausmutter" auch die Kinder umschließe (S. 72).
Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob das Ganzheitsdenken in diesem
Fall wirklich dazu dienen darf, die Frage zu entschärfen,
ob nicht aus dem unlöslichen Zusammenhang von Taufe und
Glaube sich notwendig die Anerkennung einer Altersgrenze ergeben
muß und ob somit nicht „die Anfänge der Kindertaufe"
unter diesem Vorzeichen statt unter der fragwürdig bleibenden
Annahme einer Taufe ganzer „Häuser" gesehen werden müssen.

Bern Wilhelm M ichael is

Schubert, Kurt [Hrsg.]: Der historische Jesus und der Christus
unseres Glaubens. Eine katholische Auseinandersetzung mit den Folgen
der Entmythologisierungstheorie. Im Auftr. d. katholischen
Akademikerverbandes d. Erzdiözese Wien hrsg. Wien-Freiburg/Br.-
Basel: Herder [1962]. VI, 287 S. 8°.

Der Titel dieses Sammelbandes deckt sich fast wörtlich
mit dem 1960 in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienenen
(vgl. ThLZ 1962, Sp. 351 ff.). Verlagsanzeige und (auf seine
Weise) auch der Untertitel legen die Annahme nahe, es ginge
in diesem Band um die gleiche Thematik, eben — verkürzt formuliert
— um das Problem Kerygma und historischer Jesus.
Das ist aber nur zum Teil der Fall, denn sowohl der erste
Beitrag (K. Schubert, Die jüdischen Religionsparteien im Zeitalter
Jesu, S. 15—101) wie auch der letzte (R. Haardt, Das koptische
Thomasevangelium und die außerbiblischen Herrenworte,
S. 257—287) tragen zum Thema des Ganzen höchstens sehr indirekt
bei. Davon abgesehen wird man sie aber als gute Informationen
für einen weiteren Leserkreis für das je behandelte
Problem bezeichnen müssen. Schubert zeichnet klar und einprägsam
die Linien nach vom Exil bis ins dritte nachchristliche
Jahrhundert und liefert damit eine Hilfe zum Verstehen mancher
für das Neue Testament wichtigen Umweltfragen (insbesondere
Qumran, aber ebenso Pharisäer, Sadduzäer, Schriftgelehrte).

Haardt führt in die Problematik des Thomasevangeliums ein
und fragt besonders nach der Beziehung der dort überlieferten
Traditionen zu biblischen und außerbiblischen Jesusworten.
Beide sind in ihren Argumentationen sehr vorsichtig und in
ihren Urteilen (wo es nötig ist) zurückhaltend. So stellen sie
mehrfach das Hypothetische ihrer Auffassungen heraus und
lassen gerade dabei auch einen Nichtfachmann die Problematik
ihres jeweiligen Arbeitsgebietes deutlich erkennen.

Auch die beiden in der Mitte des Bandes stehenden Abhandlungen
von A. Stöger (Das Christusbild im johanneischen
Schrifttum, S. 129—167; und Die Christologie der paulinischen
und von Paulus abhängigen Briefe, S. 169—196) haben zum
Thema des Werkes nur mittelbare Beziehung, jedenfalls zu
der insbesondere mit dem Unterthema angekündigten Problematik
. Im wesentlichen handelt es sich um Überblicke über die
jeweiligen Christologien, über die man natürlich in eine Diskussion
eintreten könnte (die sich dann allerdings nicht von
einer solchen innerhalb der evangelischen Theologie unterscheiden
würde). Wenn Stöger nun aber versucht, die Christologien
als irgendwie von Jesus herkommend bzw. auf ihn zurückgehend
auszuweisen, und damit die eigentliche Problematik in
den Griff zu bekommen trachtet, dann geschieht das entweder
durch bloße Behauptungen oder aber methodisch viel zu wenig
differenziert, als daß er überzeugen könnte.

Mit den beiden Beiträgen von W. Beilner kommen wir nun
allerdings an die eigentliche Problematik heran. Man wird bei
ihnen zu berücksichtigen haben, daß es sich um Nachdrucke von
Vorträgen handelt (S. 227, A. 1; das gilt wohl auch für den
zweiten Beitrag von Stöger, vgl. S. 169), die durch Anmerkungen
erweitert wurden. Dann kann natürlich immer nur ein
Ausschnitt geboten werden. Den ersten Vortrag (Jesus als der
Christus im Gemeinde-Kerygma und die Bedeutung dieses
Kerygmas für unseren eigenen Glauben, S. 197—230) versteht
Beilner als Grundlegung (vgl. S. 222) für den folgenden (Mythos
und Offenbarung unter besonderer Berücksichtigung der neu-
testamentlichen Gegebenheiten. Kritische Auswertung der Entmythologisierungstheorie
Bultmanns in theologischer Sicht,
S. 231—255). Recht übersichtlich stellt Beilner hier zunächst
Ausgangspunkte Bultmanns dar, weist dann auf die sogenannten
„Ärgernisse" hin, betont auch das „Verlockende" an Bultmanns
„Theorie", die dann aber radikale Ablehnung erfährt,
wenn auch zum Schluß betont wird, daß bei Bultmann der
Glaube als Glaubensvollzug im Vordergrund stehe und gerade
das (auch wenn es als einseitig bezeichnet werden müsse) dennoch
auch für Katholiken einen Anstoß bedeuten könne.

Hier müßte man nun viel ausführlicher diskutieren, als es geschehen
kann. Zwei Punkte seien herausgestellt. Bultmanns „extreme
Skepsis" wird kritisiert (S. 244), aber nicht berücksichtigt, daß es sich
um methodische Skepsis handelt, die den eigenen Arbeitsvollzug
kritisch begleitet, nach der Leistungsfähigkeit der Methoden und ihrer
Grenze fragt. Indem die Skepsis aber als „Tatsachenskepsis" bezeichnet
wird, geschieht gerade das, was Beilner vorher mit Recht vermeiden
wollte, nämlich „den Schreck vor den Konsequenzen die
Triebfeder der Ablehnung" sein zu lassen (S. 243). Man 6ollte eben
bei der Entmythologisierung nicht von einer „Theorie", sondern von
einem „Programm" reden, wie Bultmann es selbst tut. Mir scheint,
daß die Begriffe hier nicht gleichgültig sind. — Sodann ist zu fragen,
ob es wirklich stimmt, daß Bultmann „gewisse Teile der Heiligen
Schrift praktisch nicht zur Kenntnis nimmt" (S. 244). Das ist doch
eine zu sehr vergröbernde Formulierung. Dasselbe gilt, wenn man
Bultmanns literarkritische Behandlung des Johannesevang. als „billigen
Weg der .Chirurgie' " bezeichnet (S. 245). Man kann das Urteil zwar
verstehen, denn Beilner muß ja von der Inspiration des Kanons ausgehen
— müßte dann aber sehen, daß von dieser Voraussetzung aus
eine wirkliche Diskussion mit Bultmann kaum noch möglich ist
(vgl. S. 242), aber auch keine „Widerlegung" der „Entmythologisierungstheorie
".

Den m. E. bemerkenswertesten Beitrag in diesem Band liefert
F. Mußner (Der „historische" Jesus, S. 103—128). Den Leitfaden
seiner Darstellung bildet das Bekenntnis „Jesus ist der
Christus", das kein analytisches Urteil enthält, sondern ein
synthetisches a posteriori — und nun die Frage aufkommen
läßt, ob wir dann den historischen Jesus überhaupt noch erreichen
, die Mußner so stellt: „War das Leben des historischen
Jesus messianisch oder nicht?" (S. 110). Da das nicht gleichsam