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Ausgabe:

1964

Spalte:

194-195

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gemser, Berend

Titel/Untertitel:

Sprüche Salomos 1964

Rezensent:

Zimmerli, Walther

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193

Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

194

ALTES TESTAMENT

PhiloHenko, Marc: Les interpolations chretiennes des Testaments
des Douze Patriarches et les manuscrits de Qoumrän. Paris:
Presses Universitäres de France 1960. III, 68 S. gr. 8° = Cahiere
de la Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses, publ. par R.
Mehl, No. 35.

Dem Buch ist mottoartig ein Zitat aus dem Werk von
Lohmeyer (Kyrios Jesus, 1927/28, S. 69) vorangestellt, in dem
Lohmeyer seiner Überzeugung Ausdruck gibt, „daß schon im
Judentum das Bild einer göttlichen Gestalt in niedriger Menschlichkeit
oder eines Menschen in göttlicher Würde vorhanden
War". Dieses Motto gibt den Skopus der Untersuchung an. Zuerst
entwirft der Verfasser ein knappes Bild der Forschungsgeschichte
an den Testamenten der zwölf Patriarchen, zeigt
dann die Verwandtschaft dieser Schrift mit den Handschriften
von Qumrän auf, erwähnt die Entdeckung eines aramäischen
Fragments des Testamentes Levi (DJD I 21 und 4Q) und die
eines hebräischen Fragmentes des Testaments Naphtali, die er
als Quellen der gegenwärtig vorliegenden apokryphen Schrift
-Testamente der XII Patriarchen" bezeichnet. Aber dann stellt
der Verfasser wagemutig seine These auf, daß die vermeintlich
christlichen Interpolationen nichts anderes sind als jüdische
Aussagen über den Lehrer der Gerechtigkeit, der als Objekt
verschiedener Spekulationen im Schoß der Sekte verherrlicht
wurde. Diese These ist nicht unbedingt neu, sie ist schon von
Dupont-Sommer ausgesprochen worden: „On y recueille no-
tamment une abondante moisson de textes relatifs ä l'Oint
Wort et glorifie: toute une „christologie", largement developpee;
tout un „my stire de salut", parfaitement elabore. Cet Oint,
c'est, a n'en pas douter, le Maitre de justice, qui fonda la Nou-
velle Alliance" (Apercus preliminaires 1950.116). Diese kühne,
am Anfang der Qumränforschung weitblickend aufgestellte
These ist nun von unserem Autor quellenmäßig-exegetisch
durchgeführt worden, und ich muß gleich hinzufügen, mit großem
Elan und innerer Überzeugtheit. Wer einmal angefangen
hat zu lesen, legt das Buch nicht ohne Not fort, so spannend
und zwingend ist es geschrieben.

Das Kompositionsproblem macht Verfasser am Testament
Levi klar. Den Kern bildete ein nach Gen 49 und Dt 33 geformtes
Testament, das ursprünglich hebräisch war, in CD 4, 15
zitiert wird und auch später ins Aramäische und Griechische
übersetzt wurde. Es umfaßte lange Genealogien, haggadische
Stücke, rituelle Vorschriften. Nach diesem Vorbild wurden
andere Testamente geformt z. B. Juda und Naphtali. Diese
Testamente wurden durch einen Autor, einen Redaktor, verkürzt
hinsichtlich der rituellen Vorschriften (z. B. Lev 3, 6 und
1QS 9, 3—5), hinsichtlich der Genealogien und der haggadischen
Stücke, ausgedehnt dagegen wurden die paränetischen Ermahnungen
. Nachdem weitere Testamente sich um diesen Kern
herumgelegt hatten, wurde die ganze Sammlung von einem
jüdischen Interpolator bearbeitet. Seine Hand wird sichtbar in
Simeon 5, 4 — 7, 2; Levi 2, 11; 4; 10; 14—16; 17,1-9; 18.
Juda 17,2—18,1; 21,6-25,5. Issachar9, Sebulon 9, Dan
5,4-13; 6,6-7; 7,3. Naphtali 4; 6, 4b-7. Gad 8,1-2.
Ascher 7. Joseph 19. Testament Benjamin wurde nicht interpoliert
, aber umgearbeitet (Spuren in 2,3; 3,8; 9,1; 10,7—8;
11,2). Gewisse Themen sind diesen Interpolationen eigen, das
eine handelt von Sünde, Exil, Heimkehr. Das andere Thema
zeigt in der Erwähnung der ungetreuen Priester, der schlemmenden
Sadduzäer Verwandtschaft mit den Psalmen Salomos. Auch
die Eroberung Jerusalems 63 a. C. n. wird in beiden Schriften
erwähnt, die Anspielung auf den Kampf zwischen Hyrkan II
und Aristobulos II in Seb 9, 5, auf die Thronbesteigung Herodes
des Großen in Juda 22, 2 führt auf ein Datum nach 37 a. C. n.
Die messianischen Texte stammen ebenfalls von dem jüdischen
Interpolator. Ein christlicher Interpolator würde das ganze Werk
umgearbeitet haben, sich also nicht mit Interpolationen zufrieden
gegeben haben. Methodologisch bemerkt der Verfasser, daß
Textkritik und Philologie für sich allein keine Lösung des
Problems geben können. Es müssen die eingehende Analyse des
Gehalts (teneur!) und der beständige Vergleich mit den Qumrän-

texten hinzutreten, ohne daß etwa identische Lehrmeinungen
in den Testamenten und in den Qumräntexten hinsichtlich der
Messiaslehre vorlägen.

Der Verfasser prüft nun in 14 relativ kurzen Kapiteln die
oben als Interpolationen aufgeführten Stellen in einer faszinierenden
Weise durch, dabei sorgfältig den verschiedenen Überlieferungswert
der einzelnen Texte unterscheidend. Die Überschriften
sind bezeichnend: Der Stern und das Szepter, Der Märtyrer
, Der Gekreuzigte, Der einzige Prophet, Der Erleuchter der
Nationen, Das Lamm Gottes, Der Befreier, Unter den Menschen
, Das Licht der Gerechtigkeit, Der Messias und das Mahl
(Cene), Gott und Mensch, Der Erzengel, Der Knecht, Joseph.
Der Verfasser teilt die Thesen Dupont-Sommers über den
Märtyrertod des Lehrers der Gerechtigkeit, wertet auch den
Nahumkommentar (4QpNah) entsprechend aus wie Allegro und
kann dann ohne große Schwierigkeiten die Übertragung derjenigen
Stellen, die von einer anderen Forschungsrichtung für
judenchristliche Einfügungen gehalten werden, auf den Lehrer
der Gerechtigkeit vollziehen. Dann trifft auf Grund dieser
Voraussetzungen seine Behauptung zu, daß die Testamente der
zwölf Patriarchen wesentliche Aussagen zu der 6onst noch
wenig bekannten Entwicklungsgeschichte der Sekte von Qumrän
machen.

Trotz der so faszinierend vorgetragenen These kann man
starke Bedenken nicht unterdrücken. Wenn man die Voraussetzungen
der Dupont -Sommerschen These nicht teilt, Märtyrertod
und Wiedererscheinen des Lehrers, ja, überhaupt seinen
messianischen Charakter nicht annimmt, muß man zu einer
anderen Interpretation der für interpoliert gehaltenen Stellen
schreiten. Dann wird man aber sich der Methoden der Literar-
kritik und der Traditionsgeschichte bedienen müssen und nicht
nur wesentlich nach dem „teneur" der einzelnen Stellen urteilen
dürfen. Ich kann mich den so blendend vorgetragenen
Thesen des Verfassers nicht anschließen, glaube aber, daß seine
Arbeit trotzdem eine wichtige wissenschaftliche Aufgabe erfüllt
hat, nämlich konsequent eine These durchgeführt zu haben.
Darin liegen der besondere Wert der Arbeit und ihre Bedeutung
für die weitergehende Forschung. Es sei nur noch darauf
hingewiesen, daß die Anfänge der Testamente der XII Patriarchen
nach den bisher gefundenen Fragmenten in der Sekte liegen
mögen, wenn alle aufgefundenen Schriften wirklich in der
Sekte selbst entstanden sein sollten, aber daß die weitere
literarische Entwicklung nicht notwendigerweise in der Sekte
geschehen sein muß. Die eruierten Daten bezeichnen doch jeweils
nur den terminus a quo, nicht aber ad quem für die Entstehung
dieser Schrift. Diese Beobachtung würde aber stärker
zu den Ergebnissen von M. de Jonge und zu den Positionen von
Milik und Cross führen.

Leipzig Hans B a r d t k e

Gemser, Berend, Prof.: Sprüche Salomos. 2., verbess. u. vermehrte
Aufl. Tübingen: Mohr 1963. IV, 116 S. gr. 8° = Handbuch zum
Alten Testament, hrsg. v. O. Eißfeldt, 1. Reihe, 16. DM 15.— ;
Hlw. DM 18.50.

Berend Gemser ist am 15. November 1962 in Groningen
im Alter von 72 Jahren unerwartet rasch aus seiner Arbeit
heraus abberufen worden. Das Vorwort der hier anzuzeigenden
zweiten Auflage seines Sprüchekommentars im „Handbuch zum
Alten Testament" ist kurz vorher „Mitte Oktober" geschrieben
worden. So hat der Verfasser die Fertigstellung der zweiten
Auflage, an deren Vorbereitung er 10 Jahre gearbeitet
hatte, noch voll besorgen können, das Erscheinen derselben
aber nicht mehr erlebt.

Der Kommentar, dessen 1. Auflage ich in ThLZ 1939,
Sp. 205—207 angezeigt habe, ist in seiner Gesamtanlage bis auf
einige drucktechnische Änderungen (so sind die metrischen Angaben
für die von 10, 1 ff. ab folgenden Sammlungen jeweils
an den Kopf der Sammlung gerückt, was nicht unbedingt eine
Verbesserung ist; man vergleiche etwa die in ihrer Anordnung
verwirrende Seite 93 ) unverändert geblieben. Dagegen zeigt
eine genauere Vergleichung der Auflagen, daß Gemser eine
reiche Fülle von neuerer Literatur herangezogen und ihre Er-