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1964

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Theologische Literaturzeitung 89. Jahrgang 1964 Nr. 3

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Aristoteles. — Ein verhältnismäßig umfangreicher Aufsatz, der
eine vorzügliche Einführung in die gegenwärtige Problematik
der Aristoteles-Forschung gibt. Grundtendenz ist die Abweisung
der sprachanalytischen Aristotelesinterpretation, sofern diese
auf den Voraussetzungen des Neopositivismus beruht. Aristoteles
ging deswegen von der Sprache aus, weil er von der
Parallelität zwischen Sprache und Dingwelt überzeugt war,
wohingegen im Neopositivismus die immanente Struktur
der Sprache zum selbständigen (die idealistische Erkenntnistheorie
ablösenden und potenzierenden) Problem geworden ist.
Das Ausgehen von der Sprache bei Aristoteles darf nicht unter
nominalistischen Voraussetzungen gesehen werden und hat
nichts mit „transzendentaler Reflexion" zu tun.

„Für Aristoteles steht nicht die Sprache am Anfang, sondern die
davon verschiedene Wirklichkeit der Dinge, die sich in der Sprache
lediglich spiegelt. Nur deshalb ist die Sprache für Aristoteles überhaupt
interessant" (258).

„Im Gegensatz zu der sprachanalytischen Interpretation läßt sich
zeigen, daß die Prinzipien bei Aristoteles keine inhaltsleeren Ordnungsbegriffe
sind, sondern aktuelle Entitäten, die die Wirklichkeit der
Dinge konstituieren. Das läßt sich besonders schön für das Prinzip
der Form an dem Gebrauch zeigen, den Aristoteles von seinem oft
benutzten Argument, daß es ein Mensch ist, der einen Menschen zeugt
(Sv&gwnog yan ar&oomov yevvä), gemacht hat" (259).

Die Studie ist auch dadurch besonders lehrreich, daß sie
die Zusammenhänge zwischen den heute (gerade in der Theologie
) so hochgeschätzten Sprachanalysen mit (endlich zu überwindenden
) neo-positivistischen Voraussetzungen aufzeigt und
den „Geschichtsmythos" angreift, erst die Neuzeit — Descartes
als Wende — „habe einen durchdachten Begriff vom Selbstbewußtsein
des erkennenden Subjekts ausgebildet" (241) (vgl.
auch den Artikel .Subjekt und Objekt' von Oehler in RGG*, VI).

Josef Pieper: Über die Wahrheit der platonischen Mythen
. — Pieper ist geneigt, den platonischen Mythen, besonders
vom göttlichen Ursprung der Welt, von der ursprünglichen
Vollkommenheit des Menschen und deren Verlust, vom Gericht
nach dem Tode wie auch vor* der Unsterblichkeit der Seele
(294), ein höheres Maß an Wahrheitsanspruch (schon durch
Plato selbst) zuzusprechen, als es klassische Philologen im allgemeinen
tun. Er verbindet damit (als katholischer Philosoph
und Theologe) eine Apologetik für die Lehre von einer UrOffenbarung
im Sinne der revelatio primitiva.

Richard Schaeffler: Wahrheit und Geschichte. —
Diesem Aufsatz liegt die Rückbesinnung auf eine von Gerhard
Krüger im Wintersemester 1946/47 in Tübingen gehaltene
Vorlesung zugrunde und besonders der Satz: „Wir leben in
einer Zeit, in der uns — mehr als alles andere in der Welt —
die Geschichte zu denken gibt". Es entspricht indes der Einsicht
von der Geschichtlichkeit der Wahrheit 60wie der bekannten
Entwicklung in den letzten 15 Jahren, wenn der einstige
Schüler inzwischen geneigt ist, die Geschichte positiver
zu bewerten, als daß sie vielleicht nur ein Provisorium, nur
„Ausnahmezustand, . . . Folge einer Ursünde gegen die Wahrheit
" und die Wahrheit „die intendierte Erlösung von der Geschichte
" 'sein könnte (314), sosehr Krüger selbst vor jeder
Flucht aus der Geschichte in reine Wesenheiten gewarnt hat —
und sowenig jede geschichtlich gewordene Faktizität als legitim
anerkannt werden dürfe.

Heinrich Schlier: Jesus Christus und die Geschichte
nach der Offenbarung des Johannes. — „Was 6agt unser Buch
von der Geschichte? Seine These ist, daß sie erst durch Jesus
Christus angefangen hat, in ihrem Geschehen offenbar zu werden
" (317). Und es ist Aufgabe der Kirche, ihre „letzte geschichtliche
Aufgabe" (321), Zeugendienst für den Sieg Jesu
Christi, d. h. „die in Jesus Christus zur Herrschaft gekommene
Liebe Gottes" (319) zu leisten.

Trotz vieler trefflicher Ausdeutungen an der Symbolik der Apokalypse
gewinnt man doch den Eindruck, daß ein von der Gesamttendenz
der Bibel her schwerlich verantwortbarer Dualismus zwischen
(dämonisiertem) „Weltstaat" und Gott bzw. Christus die Konzeption
dieser Geschichtstheologie bestimmt.

Walter Schulz : Das Problem der absoluten Reflexion.
Zur Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus. —
Das Anliegen dieses tiefgründigen Aufsatzes ist es, die

Absolutsetzung der Reflexion in der Transzendentalphilosophie
, gipfelnd im transzendentalen Ich als Ersatzvorstellung
für den göttlichen Weltschöpfer (354), abzulehnen, „ohne
jedoch das Prinzip der Reflexion als solches zu negieren" (338);
und dies besonders im Gegensatz gegen eine einseitige Philosophie
der Existenz (bspw. Kierkegaards gegen Hegel, 358).

Es gibt „weder eine absolute Reflexion .., noch einen Menschen,
der unabhängig von der Reflexion existierend das ursprünglich Gegebene
und deswegen das eigentlich Seiende ist" (3 59). Reflexion ist
nicht nur eine Möglichkeit des (zunächst erst einmal) existierenden
Menschen. „Fs geht nicht darum, an die Stelle des absoluten
Ich das .wirkliche Menschsein' zu setzen, als ob dieses ohne
unser Zutun schon da wäre, sondern darum, das Menschsein als die
dem Menschen innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Seienden
aufgegebene Selbstsetzung zu begreifen. Nicht die absolute Reflexion,
aber auch nicht ein unreflektiertes Sein, sondern die Reflexion als
Auseinandersetzung des Ich mit dem Seienden macht das Wesen des
Menschen aus" (360).

Leo Strauß: Zu Mendelssohns „Sache Gottes oder die
gerettete Vorsehung". — Dieser Aufsatz macht auf eine Kritik
von Moses Mendelssohn an Leibniz' Theodizee in einer ursprünglich
nicht veröffentlichten Abhandlung aufmerksam. Sie
hat die Gestalt einer Bearbeitung der Causa Dei von Leibniz.
Vom Standpunkt des Juden für jüdische Glaubensgenossen geschrieben
dominiert in ihr doch der Philanthropismus sowie
die natürliche (vernünftige) Theologie der Aufklärung. So
stellt sie Liebe über (Straf-)Gerechtigkeit, Güte über Weisheit,
das Glück im kleinen über die Harmonie im Ganzen und die
Glückseligkeit der Menschheit über die Schönheit und Ordnung
des Universums, damit zugleich stärker Bayles „bürgerlichem
Geschmack" als Leibnizens „höfisch-großartiger" Denkweise
verwandt, wenngleich inhaltlich Leibnizens Optimismus ungleich
näherstehend als Bayles „Manichäismus".

Carl Friedrich von Weizsäcker : Kopernikus, Kepler,
Galilei. Zur Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft. —
Das Besondere dieses Aufsatzes besteht darin, daß er außer
der naturwissenschaftlichen Problematik als solcher auch die
Motive erhellt: warum die Griechen das aristotelisch-ptole-
mäische Weltbild den Vorformen des Kopernikanischen vorzogen
(ohne Kenntnis des Trägheitsgesetzes und ohne die Möglichkeit
, Parallaxen an den Sternbildern bzw. Fixsternen nachzuweisen
, beinahe das .wissenschaftlichere'), warum 6ich dann
später das Kopernikanische 6o verhältnismäßig rasch durchsetzte
(anfangs aus psychologischen Gründen, aus antidoktrinärer
.Revolution', 382 f.), warum die katholische Kirche gegen
Galilei stand (Hinweis auf die Gegenreformation, 391) u. ä.

Als der eigentliche Gegensatz erscheint nicht der sonst
immer in den Vordergrund gestellte von Spekulation und Erfahrung
, sondern — fast umgekehrt — der von Empirismus des
Plausiblen und logisch-mathematischem Apriorismus, der zu
paradoxen Hypothesen führt. Was der Rückständigkeit
dient, kann sehr .wissenschaftlich' erscheinen; und der Wahrheit
zu dienen, in Spannung zur politischen Verantwortung
stehen.

„Wir können ... sogar behaupten, daß die Inquisition von Galilei
nicht mehr verlangte, als daß er nicht mehr sagen solle als er beweisen
konnte. Er war der Fanatiker.... Er hatte damit Recht, daß
er der Fanatiker war. Die großen Fortschritte der Wissenschaft geschehen
nicht, indem man ängstlich am Beweisbaren klebt" (392).

„Auch wenn die Wissenschaftler noch Christen waren, konnten
sie nicht glauben, daß es eine christliche Haltung sei, eher der menschlichen
Vorsicht als der Wahrheit zu dienen. Lagen nicht die Folgen
unserer Wahrheitssuche in Gottes Hand? Ich glaube, daß die frühen
Christen und die neuzeitlichen Wissenschaftler in ihrem Bestehen auf
der Wahrheit etwas Gemeinsames haben, so verschieden sie auch den
Begriff der Wahrheit verstehen.

Wie dem auch sei, die Kirche mußte lernen, daß es, selbst wenn
die Welt der Wissenschaft das Unkraut war, doch unmöglich war, das
Unkraut vor der Ernte auszujäten" (394).

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Hermes, Eberhard: Europäische Philologie (Neue Sammlung 3, 1963
S. 457—470).

K r o u g, Wolfgang: Jugendbewegung und Universität (Neue Sammlung
3, 1963 S. 395—413).