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1963

Kategorie:

Kirchenrecht

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 2

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Im folgenden wird eine wichtige und höchst dankenswerte rechtliche Umsetzung erlauben, nicht zuletzt, weil so ein Recht
Übersicht über die Entwicklung des Wiedertrauungrechts in den auf Scheidung anerkannt werde, was der Schrift widerspreche,
evangelischen Kirchen Deutschlands gegeben. Im 19. Jahrhun- Um dem zu entgehen, schlägt er ein „negatives" Scheidungs-
dert verbinden 6ich in unzulänglicher Weise die fortwirkende recht vor. Es soll die Wiedertrauung ausgeschlossen sein in den
Tradition der konsistorialen, vielfadi Iegalistisch verbildeten biblisch anfechtbaren Fällen objektiver Scheidungsgründe
Kasuistik mit der Tendenz zur Bindung an das staatliche Recht (§§ 44 — 46 Ehegesetz), aber auch bei der Zerrüttungsscheidung
zu Unsicherheit und Verwischung biblischer Grundsätze. Erst nach § 48, ferner wenn bei der Verschuldensscheidung ein Ver-
die Verarbeitung der Ablösung des fürstlichen Summepiskopats schulden überhaupt nicht vorhanden gewesen ist (z. B. einverführt
dann zur Bildung eines modernen Wiedertrauungrechts, ständlich vorgetäuscht wurde). In den verbleibenden Fällen
wobei die großen Zusammenschlüsse (VELKD und EKU) füh- stehe die Wiedertrauung nach wie vor im seelsorgerlichen Er-
rend wirken, aber nicht durchgängig Gefolgschaft finden. messen des trauenden Pfarrers, dem die Urteilsbildung nicht
Bemerkenswert ist die Tendenz, trotz Unterstellung der Wieder- abgenommen werden könne, der aber hier des sachkundigen
trauung unter den Gewissensentscheid des Pfarrers einen justiz- Rates, insbesondere von Juristen bedürfe und auf ihn angewie-
mäßigen Rechtszug um der Einheitlichkeit des Handelns auszu- sen werden könne.

bilden. Die Darstellung ist durch eine Tabelle des landeskirch- Zu dieser wenig befriedigenden Lösung wird Hesse durch
liehen Rechts und einen Abschnitt über die Scheidung der die eingangs formulierten, richtigen Erkenntnisse in Verhinderer
im Dienstrecht ergänzt. dung mit einem einseitig normativen Rechtsbegriff geführt. Es
Den Schluß bildet eine systematische Kritik des evangeli- sind aber sowohl juristische wie theologische Bedenken zu ersehen
Ehescheidungsrechts. Der Verfasser spricht hier den Sät- heben. Gewiß bestehen gegen die Scheidungsgründe der §§ 44
zerr des Wiedertrauungsrechts auf Grund eines normativen -46 durchgreifende biblisch-theologische Gründe. Aber die
Kechtsbegriffs die Rechtsqualität ab, mit Ausnahme der ab- Enumeration absoluter Ausschlußgriinde für die Wiedertrauung
soluten Wiedertrauungsverbote einiger Gliedkirchen für be- wird dadurch nicht methodisch richtig. Verfehlt ist die nega-
stimmte Fälle. Aber eben dieser normative Rechtsbegriff ist tive Wertung der Zerrüttungsscheidung, in der regelmäßig
falsch und verengt, und Wilhelm Maurer hat recht, wenn er auch Schuld, wenn auch nicht-judiziable Schuld vorliegt. Ge-
etwa in den entsprechenden Teilen der Lebensordnung der rade nach den Ausführungen von Glocge ist eine fundamental
VELKD den ,,Keim eines evangelischen Ehescheidungsrechts" verschiedene Wertung von Vcrschuldungsscheidung und Zergeht
. Es ist freilich nicht Ehescheidungs- sondern Trauungsrecht. rüttungsscheidung nicht zu vertreten. Mindestens in der über-
Hier zeigt sich erneut, daß die Problemkreise des Scheidungs- großen Mehrzahl der Scheidungsfälle würde also die negative
rechts und des Trauungsrechts nicht nur sachlich, sondern von Enumeration den Entscheidungsbereich des sonst überforderten
vornherein auch terminologisch zu scheiden gewesen wären. Ob- Pfarrers zu begrenzen nicht geeignet 6ein. Hier fehlt es Hesse
wohl Hesse auch den Begriff des Trauungsrechts verwendet, hat offenbar einfach an der scheidungsrechtlichen und allgemeinen
er sich durch die Themenformulierung im ganzen hier selbst Lebenserfahrung. Dadurch wird das Problem nicht beseitigt.
Hindernisse bereitet. Indem nun die Wiedertrauung als ein aber auch die Frage nicht geklärt, ob die Einschaltung von 6ach-
sPc:ifischer Tatbestand, der die bürgerliche Scheidung als Fak- kundigen Gremien, sei es mit beratender, sei es mit entscheiden-
tum voraussetzt, zur Entscheidung des Pfarrers oder anderer der Kompetenz, die Überforderung des Pfarrers und die In-
•nstanzen gestellt wird, wird eben dieses nicht schlechthin zu effektivität der Wiedertrauungsgrundsätze zu beheben oder
respektierende Faktum einer kirchlichen Jurisdiktion unter- doch wenigstens wesentlich zu mildern imstande wäre,
werfen, nicht um seiner selbst willen, sondern im Hinblick auf So dankenswert die historische Darstellung und die In-
die begehrte zu gewährende oder zu versagende Trauung, also angrifjfnahrne des Problems ist, so hat die systematische Frage
Akte kirchlichen, geistlichen Handelns. Eben dies ist geistliche den Verfasser unzweifelhaft überfordert. Aber er hat auf alle
Jurisdiktion (als „Entscheidung über die Angezeigtheit geist- Fälle das Verdienst, den herkömmlichen Selbstruhm zerstört
liehen Handelns"). Diese Entscheidung ist ja unausweichlich, zu haben, als ob die Zuweisung der Ehe in den weltlichen Be-
gleichviel ob und an welche regclhaften Kriterien sie gebunden reich selbst schon eine Lösung der Fragen bedeutet habe: Pro-
Wird, ob sie in einem Rechtszuge nachprüfbar gemacht wird bleme und Verantwortlichkeiten der Kirche begannen damit
°der nicht. Die Trauung als Einsegnung der Ehe ist zudem ja erst recht. Wenn auch seine eigenen Lösungsversuche nicht
auch Anerkennung und Rezeption der Eheleute als solcher in ausreichen, 6o stößt er doch nüchterner ak irgendein Theologe
die Gemeinde oder deren Versagung. Übrigens gebraucht Hesse die Kirche auf ihr Versagen - nicht im „weltlichen", sondern
selbst später ganz unreflektiert den Begriff der Traujurisdiktion, Jm eigenen Bereich.

Ehejurisdiktion, Ehegerichtsbarkeit. Der anschließende Versuch, Heidelberg Hans Dombois

m einem besonderen Abschnitt an den Stand der heutigen -

evangelischen Kirchenrechtstheorie Anschluß zu gewinnen, ist B ä u m 1 i n, Richard: Zum Neubau evangelischen Kirchenrechts.

~" zumal wegen der Voraussetzung eines normativen Rechts- Verkündigung und Forschung 1958/59 S. 209—218.

Begriffs - sehr unscharf und trägt für den eigenen Gedanken- Baxlon, Hans: Die gegenwärtige Lage der Wissenschaft vom katho-

gang des Verfassers nichts aus. Dagegen stellt er mit Recht ['«chen Kirchenrecht.

fest, daß der allgemein theologisch und synodal anerkannte Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 8, 1962 S. 228—290.

Grundsatz, daß die Wiedertrauung die Ausnahme sein solle, Brink trine, Johannes: Woher empfängt das Corpus Episcoporum

Von der pastoralen Praxis nicht aufgenommen worden sei, und auf einem ökumenischen Konzil seine Jurisdiktion über die univer-

erinnert daran, daß bereits zweimal, im 16. und 19. Jahrhundert, «Je Kirche?

die Überlassung der Entscheidung an den Gemeindepfarrer sich Geologie und Glaube 52, 1962 S. i 17-922.

als Überforderung erwiesen habe. Er setzt sich dann mit eini- ü'u"^nn, Siegfried: Das Gesetz als kirchenrechtl.ches Problem,

gen Einwänden ge*en ein evangelisches (Wieder-) Trauungsrecht ^'tschnft für evangelisches Kirchenrecht 8, 1962 S. 326-340.

(auch hier wieder'irreführend Scheidungsrecht genannt) ausein- a n „, Hans: Die gegenwärtige Lage der W.ssenschaft vom

ander: die Unbestimmtheit und Bestnttenheit des Ehebegri^ ^^^i KirchenreAt 8, 1962 s. 290_302.

Je Unzula-ssigkcit der Trauversagung als K.rchenzud. und Rechtsstellung der selbständigen örtlichen

^rafmaßnahme, die Unzulassigkeit einer normativen Auslegung Kirchen- und Pfarrvermögen unter besonderer Berücksichtigung der

aer biblischen Scheidungsklauseln und ein sogenannter natur- Kirchen- und Pfründestiftungen der Evang.-Luth. Kirche in Bayern,

rechtlicher Vorbehalt etwa gegen die Anerkennung erzwungener Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 8, 1962 S. 360-373.

Ehescheidung aus rassischen oder politischen Gründen. Er macht Simon, Helmut: Katholisches Rechtsdenken und sein Einfluß auf

n'it Recht geltend, daß die Unbestimmbarkeit des Ehebegrirrs Gesetzgebung und Rechtspredumg.

schon das Trauungshandcln der Kirche überhaupt, nicht erst Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts 13, 1962 S. 61

d'e Wiedertrauung'in Frage stellen würde, und daß die Trau- -68.

vereagung kein Akt der Kirchenzucht ist. Er erkennt an, daV> »zentirmai, Alexander: Ist die Eheschließung ein Vertrag?

die Scheidungsklauseln der Schrift keine normative, positiv- Trierer Theologische Zeitschrift 71, 1962 S. 302-315.