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Ausgabe:

1963

Spalte:

127-129

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bauerreiss, Romuald

Titel/Untertitel:

Das "Lebenszeichen" 1963

Rezensent:

Evers, Hans Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 2

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kann, wenn in ihr nicht das heilige Mahl unseres Herrn oft gefeiert
und besucht wird'. Die regelmäßige Predigt war in Genf
schon eingerichtet. Jetzt mußte das Abendmahl noch zu einem
festen und wesentlichen Bestandteil der Gemeindeordnung gemacht
werden. ... die Predigt und die Sakramentsbedienung
selbst sind die entscheidenden Ordnungsvorgänge in einer Gemeinde
. Hier fallen schon die Entscheidungen über die Möglichkeiten
, die dem Menschen gewährt werden, um zum rechten
Gottesdienst und zur rechten Heilserkenntnis zu kommen.
... Er (Calvin) hätte für die Ämter der Pastoren, Lehrer, Ältesten
und Diakonen keineswegs ein direktes Einsetzungswort
Christi anführen können wie für die Sakramente. Wohl sah er
in der neutestamentlichen Gemeinde solche Ämter von Gemeindemitgliedern
ausgeübt, und das hat ihn natürlich bei seinen
Überlegungen geleitet. Aber die Einsetzung durch Christus
bezieht sich darauf, daß die Art, wie Christus in seiner Gemeinde
herrscht und sich gegenwärtig macht, die Ämter notwendig
macht. .. . Wenn die Kirche ihr Recht, eben diese Auftragsverfassung
der kirchlichen Funktionengemeinschaft als göttliches
, geistliches Recht nicht deutlich machen kann, hat sie
kein Recht, sich eine wohlgeordnete Kirche zu nennen. ... Die
Zucht ist für Calvin göttliches Recht in der Kirche, ihre Übung
gehört zwar für ihn nicht zu den Kennzeichen der Kirche in der
Welt, 6ie ist aber in den Kennzeichen der Wortverkündigung
und Sakramentsverwaltung eingeschlossen. . .. Der Abendmahlsgang
bringt es an den Tag, wer zur Gemeinde gehört. ...
Calvins Kampf um die Zucht hat auch diese positive Seite, in
der Volkskirche eine Bekenntnisgemeinde und Abendmahlegemeinde
zu schaffen. ... Die calvinischc Liturgie ist Verkündigungsliturgie
, man kann sogar den Ausdruck wählen, sie ist
Lehrliturgie, wobei man sich allerdings klarmachen muß, daß
Calvins Anschauung von der Lehre über das bloße Mitteilen
hinausgeht. . . . Heute, im Abstand von 400 Jahren, dürfen wir
mit einigem Grund sagen, daß Calvins Bedeutung nicht so sehr
in der Fassung der Lehre lag, die er in seiner Dogmatik gegeben
hat, so sehr er sich dadurch für immer unter die großen
Theologen der christlichen Kirche eingereiht hat. Man wird
vielmehr achten müssen auf diesen Versuch, an den er sein
Leben gewagt und in dem er sich verzehrt hat, beides im buchstäblichen
Sinn, eine Ordnung zu schaffen, die es der Gemeinde
unausweichlich machte, den Sinn ihrer Existenz in dem wiederentdeckten
Evangelium zu erkennen und die Sinnerfüllung
ihres Lebens in der umfassenden und allseitig wirkenden Beziehung
des Wortes zu der Aufgabe zu finden, die dem Menschen
mit seinem Leben gesetzt ist (155—171).

Münster/W. Paul Jacobs

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Bauerrciss, Romuald, OSB: Das „Lebenszeichen". Studien zur
Frühgeschichte des griechischen Kreuzes und zur Ikonographie des
frühen Kirdienportals. München-Birkeneck b. Freising: Birkenverlag
1961. XII, 67 S. m. 67 Abb. i. Text u. a. Taf. gr. 8° = Veröffentlichungen
d. bayer. Benediktinerakademie, Bd. I. Kart. DM 9.80.

Vor 25 Jahren, als ich mit Studien über das mittelalterliche
Sf.ifenportal beschäftigt war, konnte ich mich vertrauensvoll
und dankbar an den verehrten Pater Romuald Bauerreiss
wenden, der die Bibliothek des Benediktiner-Klosters St Boni-
faz in München verwaltete. Damals war es für einen Kunsthistoriker
neu, in dem mittelalterlichen Portal etwas anderes
zu sehen als den ästhetisch geschmückten Eingang in das Innere
der Kirche. Die selbständige Bedeutung dieses Bauteiles als
„Hoher Pforte", und die vielgeartete Benutzung für Gerichtsverfahren
und für andere Handlungen mußte erst nachgewiesen
werden. Inzwischen gibt es 60 viele Aufsätze und Bücher zu
diesem Thema, daß man schon nicht mehr weiß, wie einseitig
ästhetisch man früher vor den alten Portalen stand.

Ähnlich nachdenklich wird Pater Romuald selber sein,
wenn er heute die Forschungen zum Lebensbaum fortsetzt, die
er in den beiden früheren Arbeiten „Arbor vitae" (1938) und
„Fons Sacer" (1949) begonnen hat. Damals, vor 25 Jahren,
war jemand, der die Symbole auf den christlichen Denkmälern
verstand und ihre Sprache zu entziffern wußte, schon ein besonr

ders gelehrter und bahnbrechender Forscher. Jetzt hat ihn die
Welle der „Symbolforschung" eingeholt, die inzwischen eine
internationale Wissenschaft geworden ist. (— Ich nenne nur die
neu angelaufenen Reihen „Symbolon", Basel, Verlag Benno
Schwabe, und „Antaios", Stuttgart, Ernst Klett-Verlag. Zum
Beispiel „Antaios" Bd. III, 1962, S. 573: Guido Manacorda,
„Kreis, Treppe und Kreuz".) Er ist jetzt in Gefahr, daß man
eine einseitig christliche Deutung als unzulänglich ansieht, nicht
weil irgendeine andersgeartete, z. B. nationalsozialistische
Gedankenwelt gegen die christliche Überlieferung durchgesetzt
werden sollte, sondern weil die Symbolforschung mit Notwendigkeit
übernational, überzeitlich und auch überchristlich
ist.

„Das Lebenszeichen" ist der entscheidende, unwiderlegliche
Inhalt der Forschungen des Verfassers. Ein bestimmtes, gleichschenkliges
, auf einem Welthügel angeordnetes Kreuz der frühchristlichen
Zeit ist nicht, wie man oberflächlich deuten könnte,
dasjenige Kreuz, an welchem Christus gekreuzigt wurde. Sondern
dieses Kreuz bedeutet den Lebensbaum, seine gleichen
Schenkel hängen mit den vier Weltrichtungen zusammen, es
gehört also in die Gruppe der sogenannten „Standarten", die
in vielen (in allen?) archaischen Symbolsprachen den Weltort
der Gottheit bezeichnen. Die Annäherung, endlich Verschmelzung
dieses vorchristlichen Zeichens mit demjenigen Kreuz, das
an die Passion Christi erinnert, ist nicht selbstverständlich,
sondern geschieht erst während der Christianisierung der spätantiken
Welt. In dieser Bedeutung erscheint das Lebenszeichen
auf Sarkophagen, auf Taufbecken, auf Portalen, auf Handschriften
, um nur die Hauptgruppen der vom Verfasser beigebrachten
Denkmäler aufzuführen.

Besonders wichtig ist die Anordnung dieses Lebenszeichens
über einem Gefäß, das anfänglich ebensowenig den Kelch der
Eucharistie (ako das Gefäß für das Blut Christi) bedeutet, sondern
den Brunnen, aus dem das Lebenswasser quillt. Von hier
aus ergibt sich der Zusammenhang mit den vier Paradies-Strömen
, mit dem Weltberg, mit dem Paradies 6elber, und (übertragen
) mit dem Taufbecken.

Richtig gesehen und überzeugend gedeutet ist die Verwendung
dieser Symbolzeichen an den Portalen der spätkaro-
lingischen und der romanischen Zeit. Infolgedessen ist der
Schluß, oder die Grundthese des Verfassers verständlich: dieser
Schmuck der frühen Portale sei die Reduktion eines ursprünglich
vor der Kirche gebauten Paradieses, eines Atriums. Es sei
die Übertragung einer früher gebauten Architektur, in der
Kurzform von Symbolzeichen, auf eine neue Stelle, eben das
Portal.

Wie gesagt, verständlich, bestechend - und doch nicht
vollkommen überzeugend. Oder wenigstens nicht so bindend,
daß man diesen Weg und diese Erklärung für den einzigen geschichtlichen
Verlauf halten müßte.

Um diese Gedankengänge zu prüfen, müßten zunädist die Beispiele
, die der Verfasser bringt, chronologisch geordnet vorgeführt
werden. Es würde sich herausstellen, daß viele von ihnen zeitlich spät
liegen, und daß 6ie zu kleinen Kirchen gehören. Es ist also die Frage,
ob man in ihren einfachen Zeichen die „Frühform", die Entstehüngs-
form sehen darf, oder ob es sich nicht vielmehr um abgesunkene
Spätformen handelt, die den entscheidenden und frühen Leistungen der
christlichen Baukunst mit ländlichem Abstand folgen. •

Wenn auf Seite 58 formuliert wird „die ganze Paradiesesherrlichkeit
mit Lebensbaum und Lebensbrunnen findet sich verkümmert
im Westwerk wieder", so scheinen damit die Proportionen
auf den Kopf gestellt zu sein. Die Beispiele von Lebensbaum
und Lebensbrunnen an Portalen, die der Verfasser abbilden kann,
sind klein, unscheinbar, und wie gesagt großenteils später als die
karolingischen und Ottonischen Westwerke. Die Westwerke selber
aber sind Architekturen von so grandiosen Ausmaßen, daß sie nicht
aus gedanklichen Symbolen allein entstanden sein können.

So wäre die zweite Prüfung: zusammenzustellen, was man durch
die Ausgrabungen der letzten 20 Jahre über frühchristliche Atrien
tatsächlich erfahren hat. Außerordentlich viel — aber das ist ein Bereich
der Architekturforschung, der seinerseits ein ganzes Forscherleben
erfordert, bis man darin spezialisiert ist. Vor den meisten Dorfkirchen
, deren Zeichen der Verfasser abbildet, haben nie Atrien
gelegen.

Das letzte Kapitel heißt: „Das Kirchenportal in Liturgie und
Volksfrömmigkeit". Wenn man die Worte pressen wollte, könnte da-