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Ausgabe:

1963

Spalte:

101-103

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Erscheinungsformen und Wesen der Religion 1963

Rezensent:

Bleeker, Claas Jouco

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 2

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diesen Satz durch einige Gegenbeispiele zu erschüttern versucht, geschieht das hier? W. macht aus Jesus von Nazareth einen

die Hans Lietzmann wiederholt hat (s. oben). Aber Justers Pharisäer, der niemals religionsgesetzlich verfolgt und verklagt.

Testimonien sind schon von Joachim Jeremias kritisiert und so- sondern nur politisch verleumdet und verurteilt worden ist.

dann durch G. D. Kilpatrick endgültig erledigt worden10. Das Mit anderen Worten, hier optiert ein jüdischer Gelehrter für

Große Synhedrium hatte in den Tagen des Pilatus keine offi- Jesus von Nazareth gegen Kaiphas und die Tannaiten: Kaiphas

zielle Blutgerichtsbarkeit. Es hat einzelne Männer und Frauen ist nur ein politischer Verleumder. Und der Religionsprozeß,

auf indirekte und inoffizielle Weise aus der Welt geschafft. von dem die Tannaiten sprechen, hat nie stattgefunden. Jesus

Auch im Falle Jesu sind mehrfach solche Versuche gemacht von Nazareth aber war ein thoratreucr Jude, der treueste und

worden, sind aber sämtlich mißglückt. Daher mußte das Große größte Sohn seines Volkes. „Denn er war unser."
Synhedrium in diesem Falle schließlich den offiziellen Instanzen- Kein Zweifel, das ist eine großartige Konzeption. Aber ich

weg gehen, der mit dem Religionsprozeß begann und mit dem fürchte, hier geschieht ein dreifaches Unrecht - an Jesus, an

Filatusprozeß endete. Der Weg ins Praetorium war den Män- Kaiphas und an den Tannaiten. Jesus von Nazareth hat die

°ern d^u phal und GamaIiel gewiß ni*t leicht. Den späte- Thora gebrochen. Kaiphas hat ihn daher mit Recht verurteilt,

ren K^bbinen aber war dieser prozeßrechtliche Schlußakt so Und der antike Rabbinat hat diesen Urteilsspruch darum alle-

peinlich, daß sie ihn in Sanh 43 a und überall sonst in den an- zeit mit Recht verteidigt. Das Todesurteil des Großen Synhe-

tiKen jesustraditionen wortlos übergangen haben. driums war in Ordnung, prozeßrechtlich, religionsgesetzlich und

bo bleibt denn m. E. von Winters ganzer Beweisführung theologisch. Hier stand Glaube gegen Glaube. Zwischen dem

"»IT Uing' was.,e'nej kritisdlen Prüfung standhielte. Es ver- Glauben Jesu und dem Glauben seiner Richter gab es nur ein

Stent sich von selbst, daß diese Kritik sich auch gegen hundert Entweder-Oder. Wer die Verantwortung für die Hinrichtung

einzelne Argumente und Deduktionen richtet, die hier nicht Jesu auf den Neid der Juden, auf die ungläubigen Sadduzäer

zur Sprache kommen können. Wir wollen uns nicht in Kleinig- oder auf den römischen Prokurator abschiebt, macht aus einem

keiten verlieren. Es geht um etwas ganz Großes. Jesus soll unentrinnbaren offenbarungstheologischen Konflikt einen be-

Al!mi werden in sein Volk. Niemand kann sich über diese dauerlichen Justizmord.

Absicht herzlicher freuen als wir Christenmenschen. Aber wie Winter hat recht. Der Prozeß Jesu geht weiter. Aber es

18 ff

°) G. D. Kilpatrick. The Trial of Jesus (Oxford 1953), p. 12f.i SS*ur"d geht in diesem Prozeß um ganz andere Dinge als in

Linters Buch.

RELIGIONSWISSENSCHAFT fj? ,20 »igt dieses wohlgefügte Schema im Bild. Folglich ent-

"ait das Buch fünf Hauptabschnitte, die allmählich im Umfang

Heiler, Friedrich: Erscheinungsformen und Wesen der Religion. abnehmen, weil in den letzteren nur die Konklusionen hin-

Stuttgtrt: Kohlhammer [1961]. XVI, 605 S. gr. 8° = Die Religio- sichtlich der Wesensschau der Religion gezogen zu werden

nen der Menschheit, hrsg. v. Chr. M. Schröder, Bd. 1. Lw. DM45.—. brauchen.

Es ist geradezu erstaunlich, wie viele Handbücher der Re- ßas erste Kapitel <jie Erscheinungswelt der Religion
ligionsgeschichtc und Einführungen in die Phänomenologie der beschreibt, umfaßt neun Paragraphen, die wiederum in zahl-
Religion in den letzten Dezennien in den westeuropaischen reiche Unterparagraphen und kleinere Abschnitte unterteilt
Ländern erschienen sind. Diese rege schriftstellerische Produk- sind. Der führende Gedanke ist, daß die Erscheinungsformen
tivität läßt sich nur aus zwei Gründen erklären: einerseits aus der Religion sidi durch ihren Heiligkeitscharakter auszeichnen,
der energischen und tief schürfenden Weise, in der die Ren- Der Verfasser behandelt also nacheinander die folgenden The-
gionsgeschichtler ihre Studien treiben, und andererseits aus rtien: „Der heilige Gegenstand", „Der heilige Ort", „Die hei-
dem sehr erfreulichen Interesse, das ein großes Publikum von hge Zeh", „Die heilige Zahl", „Die heilige Handlung", „Das
Lesern allen Büchern über Religion, sowohl bescheidenen Auf- heilige Wort", „Die heilige Schrift", „Der heilige Mensch",
Sätzen als auch dicken Wälzern, entgegenbringt. Offensichtlich „Die heilige Gemeinschaft". Dieses Kapitel zählt über 400 Seiist
die Religion noch immer eine Angelegenheit, die das Den- ten. Daraus läßt sich erraten, wieviel Material in diesen Ab-
ken und Forschen vieler Leute beschäftigt. Es nimmt deshalb schnitt hineingetragen und wie minutiös der Verfasser auf die
nicht wunder, daß der Verlag Kohlhammcr es gewagt hat, eine Besonderheiten der religiösen Erscheinungswelt eingegangen ist.
neue Phänomenologie der Religion, und sogar eine sehr um- Das zweite Kapitel ist der „Vorstellungswelt der Religion" gefängliche
und inhaltreiche, herauszubringen, nämlich^ Friedrich widmet. Es enthält phänomenologische Betrachtungen über
Heilcrs „Erscheinungsformen und Wesen der Religion". „Gott", „Schöpfung", „Offenbarung", „Erlösung" und „Voii-
Um die Bedeutung und den Wert dieses Buches bestimmen endung im ewigen Leben". Das dritte Kapitel behandelt die
zu können, muß man zuerst versuchen, den Inhalt zu bewälti- -Erlebniswelt der Religion", nämlich erstens „Die Grundformen
gen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn der gelehrte Verfasser des religiösen Erlebnisses", wie Ehrfurcht, Furcht, Glaube, Liebe,
hat darin die ganze Fülle seines ausgedehnten Wissens ausge- und zweitens „Die außerordentlichen religiösen Erlebnisformen",
schüttet. Dennoch gewinnt man ohne Mühe einen Überblick über z. B. Inspiration, Bekehrung, Ekstase. Es folgen noch zwei Ka-
das Werk, weil der Stoff methodisch gut geordnet ist. Und so pitel, die nur einige Seiten lang sind, erstens über „Die Gegen-
'iest man sidi bald in das Buch hinein, ohne den Faden zu standsweit der Religion", d. i. das Heilige, das drei Momente
verlieren. Leider bietet diese Rezension keine Möglichkeit, den umfaßt: das Mysterium oder Numinosum, das Tremendum und
eigentlichen Gehalt des Buches zu reproduzieren. Es kann sidi das Fascinosum, und zweitens über „Das Wesen der Religion".
n«r darum handeln, dessen Struktur klarzulegen. JjeiIer definiert Religion als „Anbetung des Mysteriums und
Die „Einleitung" enthält kurze Abschnitte über: „Der Be- Hingabe an dieses". Die Hingabe zeigt sich in der Bereitschaft
griff der Religion", „Die wissenschaftliche Erforschung der Reli- zum Opfer. Religion ist ein doppelseitiger Umgang mit dem
g'°n", „Die phänomenologische Methode". In dem letzten Heiligen; obgleich Religion Handeln ist, ist sie letztlich nicht
Kapitel skizziert der Verfasser den Aufbau seines Werkes. Um Leistung, sondern Gnade. „Das Wesen der Religion ist die
zum Wesen der Religion vorzudringen, hat er den Weg der aus der Erfahrung göttlicher Gnade fließende Gemeinschaft der
konzentrischen Kreise gewählt, das' heißt aus dem Kreis der Menschen mit der transzendenten Wirklichkeit, eine Gemein-
s'nnlichen Ersdieinuncswelt. d. i. dem institutionellen Element «chaft, die sich in Anbetung und Opfer vollzieht und zur Be-
der Religion kommt 'er weiter in den Kreis der geistigen Vor- jrlgu"8 des Menschen und der Menschheit führt." Am Schiu'«
Stellungswelt, d. i. der Gedankenwelt, des rationalen Elementes, des Werkes findet man ein „Sachverzeichnis" auf 30 Seiten und
"rn drittens die psychische Erlebniswclt, die Tiefensicht der ein „Personenverzeichnis" auf 7 Seiten.

"ertgefühle, das mystische Element der Religion erreichen zu Heilers Phänomenologie der Religion weist folgende Kennkönnen
. Diese drei Kreise umfassen die Gegenstandswelt, das zeichen auf: erstens ist sie so umfangrcidi. daß sie eine fast
°hjekt der Religion, die göttliche Realität. Eine Figur auf enzyklopädische Bedeutung hat. Sie ist eine Fundgrube religiont-