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Ausgabe:

1963

Spalte:

97-102

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Ethelbert

Titel/Untertitel:

Heimholung Jesu in das jüdische Volk 1963

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 2

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Wersilows von einer gott-losen Menschheitszukunft hat übri- denen die christlich-religiöse Grundthematik der Großromane

gens J. P. Jacobsens „pietistischer Atheismus" (Nils Lyhne, den sorgsamen Leser zu fragen nötigt, klar gesehen und im

9 Kap Ende) Kampf gegen vorgefundene Scheinsynthesen, tapfer angefaßt.

Worauf die Leitbegriffe „Verführung" und „Verfremdung" DjJ das Problem au* bewältigt sei wird man bei allem ge-

in den schon berührten entscheidenden Kapiteln des Buches h"}™*™ ***** **werhdi sagen können^ Der temperamen-

k; ■ i • j • j pn ai •. i t j „„;„„ Rrii<W volle Protest gegen eine direkte Inanspruchnahme Dostojews-

hinzielen, wird in dem Schlußkapitel „Jesus und seine Bruder scsc" . , "1, .c. p.ciH.n iai.

, . , . , v. n„ „ A„fi^,in(r Aes Doe- klJs fur diese oder jene christlich-theologische Position hat

006 ff.) relativ bestimmt erkennbar "D" Auflwung des poe ^ ^ orthodox.kirdllicnei son.

tisch Typischen von der die zwei vorangehenden Kap.tel han ^ Echtbürtigkeit seines Dichterwortes über-

f T A- Tl , " tu T the°l0glS* T/P l^ li' tSerung hauP* in ***** ™ ziehen. Wie vernichtend die Anwendung des
du ch die liberale Theologie ermöglichte f"*0W™™»* Kierkegaard-Mottos auf Dostojewskij seine im künstlerischen
tntkultisierung. oder, wie man heute sagt: die E"^0'0, „Spielernst" verhüllte Wahrheitsrede träfe, wenn sie zu Recht
gisierung macht Jmus zum Bruder der Menschen (110). Ob bes ^ ^ ^
die theologische Absicht R. Bultmanns, den O. mit einem Satz Künstle„ D . ^ nicfat sehen wollen. Die Widerspruchsaus
der Theologie des NT wörtlich anfuhrt, mit dieser „lbe- m fa DostojeJwskijsJ isAem Universum macht den Selbst-
ralen Auslegung zutreffend verstanden ist mag dahingestellt wid A des Avs{ begreiflich) ohne ihn doch zu rechtbleiben
. Aber das verblüffend positive Schlußurteil über die fert;gen ^ ^ {* ^ mjtsamt geinem
von D. vermeintlich vollzogene dichterische Humanisierung des Widersprudi ein heilsames Warnzeichen gegen ein naiv-unkri-
Chnstusb.ldes zeigt den Autor in offenkundigem Widerspruch ti|d)Cj wje ^ theologisch oder philosophisch fest-
m,t seiner harten Kritik an der ästhetisierenden Zweideutig- gelegtes Dost^;wskij.BiId. >)Daß du niAt enden kannst / das
Ken, deren sich D.s anthropozentrische Christusdichtung im madlt ^ groß„; diesen Vers ^ dem Wcst_ostlicnen Diwan
.,ldioten (und auch in der Legende vom Großinquisitor) im gab Stcfan Dostojewskij_Es6ay (zuerst in „Drei
Unterschiede zu Bucharjew schuldig gemacht haben soll. Meister" 1920) zum Leitspruch. Auch wir werden mit diesem
Onaschs Buch, das auf 111 Seiten Text einen bewunderns- rätselvollsten unter den großen Dichtern der Weltliteratur nicht
werten Reichtum von Beobachtungen und Anregungen zur Orts- zu Ende kommen. Und auch dafür ist in der geheimen Ökono-
bestimmung von Dostojewskijs Werk in der Weltliteratur vor mie der Geschichte schon vorgesorgt, daß sein Werk uns nicht
uns ausbreitet, hat das schwerste Problem der Dostojewskij- zum Gegenstande bloß ästhetischer Würdigung werden kann.
Deutung, die rechte Zuordnung der ästhetisch-literaturwissen- Kein doktrinaler Mißbrauch Dostojewskijs wird die Erfahrung
schaftlichen Hermeneutik, der dieses wie alles Dichterwort vor widerlegen, daß dieser Dichter eine Botschaft hat, die aus der
allem überwiesen ist, und der theologischen Maßbegriffe, nach Wahrheit ist.

Heimholung Jesu in das jüdische Volk

Von Ethelbert Stauffer> Erlangen

Seit langem geht durch die jüdische Jesusforschung eine sen Gemälden nicht weniger als zehnmal den gekreuzigten

Strömung, die unsere ernsteste Beachtung und Sympathie ver- Christus dargestellt. Der jüdische Crucifixus auf Golgatha zwi-

dient. Es handelt sich hier, nach einer glücklichen Formulierung sehen Engeln und Thorarollen, Kometen und brennenden Dör-

Schalom Ben-Chorins, um nichts Geringeres als die geschieh«- fern, zwischen marschierenden Einsatzkommandos, schutzlosen

wissenschaftliche „Heimholung Je6u in das jüdische Volk . Flüchtlingen, erschossenen Männern, geschändeten Mädchen.

Als der große Bahnbrecher dieser Bewegung darf wohl Claude schreienden Kindern und jammernden Rabbis - der Inbegriff

Montefiore gelten. Sodann hat Josef Klausner seinen Jesus jüdischen Schicksals in dieser Welt'.

Judaicus gezeichnet. Leo Baeck hat „Das Evangelium als Ur- ^bex waren es njcht die Juden, die Jesus verfolgt, verhaf-

kunde der jüdischen Glaubensgeschichte" gedeutet. Und Martin tet, verurteilt, ausgeliefert und seine Kreuzigung durchgesetzt

Buber bekennt: „Ich habe Jesus von Jugend auf als meinen gro- haben? So jedenfalls 6tellt es die christliche Jesusüberlieferung

ßen Bruder empfunden." dar. Alle vier Evangelien versichern, daß das Todesurteil des

Kühner noch sind manche Dichter jüdischen Blutes auf die- Großen Synhedriums ein ungerechtes Urteil war, und schon der

«em Wege vorwärts gegangen: Franz Werfel, Max Brod, Schalom älteste Evangelist gibt auf die Frage nach dem Motiv dieses

Asch, Abraham Kabak und vor allem Andre Schwarz-Bart. Justizmordes eine handfeste Antwort: Der Neid der Juden

J'ai lu leurs evangiles, sagt Ernie Levy zu Golda Engelbaum. (M 15, 10). Demgegenüber bekennen sich die Tannaiten in

Sais-tu qui etait le Christ? Un simple Juif comme ton pere, aller Form zu dem Richterspruch des Großen Synhedriums und

«ne sorte de Hasside Und le docteur Louis Jouffroy, le huitieme treten mit vorbehaltloser juristischer Autorität für seine Recht-

de Juif gesteht dem dernier des Justes: Gest absurde, je le maßigkeit ein: „Am Rüsttage des Passah hat man Jeschu Hanosn

sais, mais j'aime plus que jamais la personne du Christ. Seule- 8«iängt wej] er gezaubert und verführt und Israel zum

m«nt voilä ce n'est plus le Christ blond des cathedrales, le Abfall verleitet hat" (bSanh 43 a Baraitha). In den letzten

«lorieux Sauveur mis ä mort par les Juifs. Gest - c'est autre hundert Jahren aber hat sich die jüdische Forschung hie und da

<W. Ich kann hier nur diese paar Sätze zitieren. Man muß von dem Standpunkt der tannaitischen Juristen distanziert

das ganze Buch, man muß die Seiten 298 f. und 325 f. zweimal Adolf Büchler hat die These aufgestellt, der jüdische Gerichtshof,

ksen, wenn man innewerden will, was hier vorgeht - und was der Jesus verurteilt hat, sei gar kein pharisäisches, sondern ein

sich mit diesem Vorgang menschlich, geschichtlich und religiös radduzäisdies Synhedrium gewesen. Sidney B. Hoenig Hugo

verbindet Mantel und andere haben sich ihm angeschlossen'. Auf der

Was'ist das für ein neues Christusbild, das hier aufsteigt anderen Seite hat Jean ^ ,5ini^fc"*X« n^n^,
wie eine Vision - ganz anders als der glorieux Sauveur des mente gegen Joh 18, 31 ins Feld gefuhrt. Hans Lietzmann hat
, . , Vision gjni «lue » «« s u f diesen und anderen Argumenten seine bekannte These
cathedrales? Es ist, so möchte ich sagen, das Chnstusb d Ma gebaut M „abe"S« ™ irgend einem jüdischen Gerichts-
Chagalls, des jüd.schen Ma er. aus W.tebsk an der Düna der g ?£*™£*S ^ stattgefunden. Darauf be-

M, 191« Te gCung(Cn UnteTbre*UnSf.n 'n Franki torl "* sich nunmehr P ^ u 1W I n t e r in London in seinen ge-

Manweiß daß in Haifa 1957 e,n Chagall ^ausgegründet wor Untersuchungen „On the Trial of Jesus", denen

den ist. Man kennt seine einzigartige Bilderbibel und semt — muciaumu

traumhaften Großbilder. Seit 1938 hat Marc Chagall auf die- i) , Marc ch j, Unesco - Katalog (Hamburg / München / Pari«

___ 1959).

l) Schalem Ben-Chorin, Juden und Christen (im« S. 12. *) Sidney ]$c Hoenig, The Great Sanhedrin (Philadelphia h»),

') Andre Schwarz-Bart. Le dernier des Justes (Paris 1959), ""8° Mantel. Studie, in the H.story of the Sanhednn (Cambridge

335 f mass. 1961).