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Ausgabe:

1963

Spalte:

951-952

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Müller, Hans-Peter

Titel/Untertitel:

Formgeschichtliche Untersuchungen zu APC 4 F 1963

Rezensent:

Müller, Hans-Peter

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951

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 12

952

K. Rahner im Unterschied zu einem Normalthcologen seiner
Kirche (M. Schmaus).

In der evangelischen Theologie vermag einzig K. B a r t h im
„dogmatischen Nachvollzug des Offenbarungsgeschehens" (Teil V) das
alte Dogma in der Richtung seiner ursprünglichen Intentionen, von
der die Entwicklung der letzten 200 bis 100 Jahre abgegangen war,
wieder einzuholen. Dies geschieht mit Hilfe einer streng durchgeführten
und denkbar weit ausholenden .Analyse des Offenbarungsbegriffs
' (seil, wie ihn einzig die Hl. Schrift zu verstehen gibt).
Dabei werden die trinitätsdogmatischen Prädikationen des Offenbarungsgeschehens
zum dogmatischen Prolegomenon, ja, zum Prä-
symbolum schlechthin. Der geschichtliche Weg, den die Interpretation
des neutestamentlichen Kerygmas bis zum Dogma, mit dem Dogma
und — vermeintlich oder unbewußt — vom Dogma weg führte,
bleibt hier als absoluter innertrinitarischer Gedankengang und Seinsvollzug
stehen, sofern er nicht — auf seiner letzten Strecke — als
Sündenfall aus theologischer Überheblichkeit ins Nichtige führt. Barth
hat vor, endlich nicht von feststehenden Begriffen über Gott- und
Menschsein auszugehen, aber er kommt zur Feststellung eines Offenbarungsbegriffs
, dem endgültig zu entnehmen ist, was Gott in seinem
Wesen sein ,muß' und ,kann', und der seiner fortwährenden Ver-
stehensgeschidhte entnommen ist. Darum versucht H. D i e m von
den Barthschen Voraussetzungen aus und ohne aus dem Barthschen
hermeneutischen Zirkel hinauszutreten, den Vorgang der Übersetzung
in Gang zu halten.

Als Folgerung scheint sich herauszustellen: Dem Ansinnen (dem
Pro-blema) der überkommenen christlichen Theologie, Gott als den
dreifaltigen zu denken, ist nicht nachzukommen, wenn es dahingehend
verstanden wird, als sei mittels der Erwägung biblisch-
heilsgeschichtlicher Faktoren oder der Erhebung der dem Glauben
immanenten Strukturen festzustellen, ob nun eine Lehre von der
göttlichen Wesenstrinität über eine „nur" ökonomische Darstellung
hinaus erschwinglich bzw. erforderlich sei oder dahingestellt bleiben
könne.

Zu fragen wäre vielmehr, was aus den dabei voraus- oder eingesetzten
Begriffen von Gott und Mensch, Gott und Welt infolge
ihrer christologischen und tri ni tarischen Verknüpfung in der
Geschichte ihres Verstehens mittlerweile geworden sei; ferner, wie die
Theologie das, was an Postulaten, Argumenten und Kriterien des
Absoluten dem Menschen — so oder so — von seiner Wirklichkeit abgenötigt
wird, in Einvernehmen und Auseinandersetzung mit den
Traditionen nun ihrerseits für die Anerkennung des Verbleibens in
der Geschichte, das die christliche Verkündigung heilsam dem
Menschen bedeutet, aufbringen könne; schließlich, ob sie damit einstigen
Deutungen an Unbedingtheit und aufs Ganze gehender Dringlichkeit
nicht nachzustehen brauchte. Es bliebe zu prüfen, ob diese Aufgabe,
die aus der Infragestellung des alten Dogmas hervorzugehen scheint,
sich auch schon in den vorhergegangenen Weisen der Behauptung und
Beantwortung des Dogmas darstellte.

Müller, Hans-Peter: Formgeschichtliche Untersuchungen zu Apc4f.
Diss. Heidelberg 1963. 248 S.

Die Arbeit wertet die Beobachtung aus, daß gewisse Strukturen,
die die Analyse von Apc 4 f. ergibt, bereits in frühen Texten des AT
und z. T. in noch älteren vorderorientalischen Literaturwerken begegnen
.

§ 1 erarbeitet die Struktur von Apc 4 f.:
I. Vorbereitung der Vision 4. 1 — 2a.

1. Öffnung des Himmels la.

2. Befehl zum Aufstieg an den Seher lb.

3. Entrückung des Sehers 2a.
II. Gotteserscheinung 4,2b—11.

1. Gott als König auf seinem Thron 2b —3 : a. der Thron 2b;
b. Gott selbst 2c; c. Gottes Gestalt 3a; d. Theophaniebegleit-
erscheinungen 3b.

2. Gottes Hofstaat 4—8a.

Die „Ältesten" 4—5a: a. die Throne 4a; b. die „Ältesten" selbst
4b; c. ihre Gestalt 4c; d. Theophaniebegleiterscheinungen Sa.

3. Huldigung durch den Hofstaat 8b—11.
III. Bevollmächtigung des Lammes 5, 1—14.

1. Befragung der himmlischen Ratsversammlung 1—5: a. Frage 2;
b. allgemeine Ratlosigkeit 3 f.; c. Nennung des Beauftragten 5.

2. Eigentliche Beauftragung des Lammes 6 f.: a. Herantreten des
Lammes an den Thron 7a; b. Übergabe des kosmischen Schicksalsbuches
7b.

' 3. Huldigung durch den Hofstaat 8—14.

Inhaltlich bezeugt Apc 4 f., wie Gott, der Weltenkönig, «einen

Christus zum eschatologischen Herrscher der Endzeit erhöht. Gemeint
ist dabei die der Himmelfahrt folgende Erhöhung Christi zur Rechten
Gottes.

§ 2 zeigt, wie die für den Vorbereitungsakt (1) charakteristischen
Strukturelemente 2 und 3 bereits in den Steintafclerzählungen
(Ex 34, la. 2. 4 J; 24,12.13b E; 24, 16b. 18a P) sowie Ex 24, la. 9
begegnen. An die Stelle der Entrückung des Sehers in den Himmel
(Apc 4, lb—2a) tritt freilich der Aufstieg des (der) Mittler(s) auf den
Gottesberg. Hinter der Gestalt des Mose als seines legendären Ahnherrn
wird dabei der „Richter Israels" vermutet (M. Noth: Das Amt
des „Richters Israels", Bertholet-Festschrift, S. 404 ff.), wobei es denkbar
ist, daß diesem im Bundeskult der altisraelitischen Amphiktyonic
die Steintafeln regelmäßig übergeben wurden. 2 Kön 11,12 setzt
dann die spätere Übertragung des Ritus auf den König voraus
^pn" = die Steintafeln; Auseinandersetzung mit G. v. Rad: Das

judäische Königsritual, ThLZ 72, Sp. 211 ff.).

§ 3 weist die Strukturelemente der Gotteserscheinung (II) und
das Motiv der Befragung der himmlischen Ratsversammlung (III, l)
in den Berufserzählungen der Propheten nach, und zwar erstere
Jes 6,1-4 (1 Kön 22, 19b); Hes 1,4—28a, letzteres Jes 6,8 (1 Kön
22, 20 —22a). — Die Darstellung der Gotteserscheinung ist durch die
Vorstellung von Jahwes Königtum geprägt, die vermutlich von dem
jebusitischen Stadtgott El äljon auf Jahwe übertragen worden ist,
nachdem David die Jerusalemer Kultstätte dieses Gottes zum Zcntral-
heiligtum der israelitischen Stämme gemacht hatte. Im Zusammenhang
damit ist auch das Motiv von der Befragung der himmlischen Ratsversammlung
(111,1) aus Israels Umwelt übernommen worden; es ist
bereits im sumerischen Epos von GilgameS und Agga (ANET, S. 46),
im akkadischen Mythos vom Raub der Schicksalstafeln durch Zu
(ANET, S. 111), im ugaritischen KRT-Mythos (ANET, S. 148), in der
assyrischen Beschwörungsserie Maqlü (Tallquist: ASSF 20,6) und in
einem Ritual zu Tod und Auferstehung Bel-Marduks (AOT, S. 320 f.)
zu belegen. — Das Fehlen eines Ex 34, la. 2. 4 etc. entsprechenden
Vorbereitungsaktes zeigt, daß das Geschehen der prophetischen Gottesbegegnung
weder an einen Kultort, nodi an einen Kultakt, noch an
ein Kultamt gebunden ist. — Die einzelnen auf die Gotteserscheinung
folgenden Akte der prophetischen Bevollmächtigung weisen die Prophetensendung
als Botensendung aus, bestätigen also am Material der
Berufungserzählungen, was C. Westermann (Grundformen prophetischer
Rede, München 1960) an der Form des Prophetenspruches gezeigt
hat.

§ 4 beobachtet an Vorbereitungsakten wie 1 Hen 14, 8 — 9a:

1 Hen 71, la. 5a; Test Lev 2, 3 — 7a; 2 Hen 1 — 3 u. a., wie in der
jüdischen Apokalyptik an die Stelle der kultischen Gottesbegegnung
im irdisdien Heiligtum die visionäre Entrüdcung in den Himmel tritt.
In dem Zusammenhang wird auch die Frage nach Funktion und Herkunft
des angelus interpres untersucht. — Das königliche Gottesbild,
das die Struktur der prophetischen Theophanieberichtc prägte, lebt
weiter, büßt aber zugunsten kosmologischer und angelologischer Interessen
an Bedeutung ein. Die Himmelsschilderungen bekommen ein
starkes Eigengewicht, meinen sie doch ein objektives metaphysische'
Wissen zu vermitteln. Gott wird entweder in die zeitliche (Dan 7, 9 f.)
oder in die räumliche Transzendenz (1 Hen 14 ff.; 71; Test Lev 2 ff-^

2 Hen: Asc Jes) entrückt, so daß die Gegenwart auf jeden Fall kein
göttliches Heilshandeln im irdischen Raum wahrnimmt. Das Bewußt'
sein von Geschichte tritt dadurch stark zurück. — Die zentralen Akte
der Bevollmächtigung des Lamme« (111,2—3: Apc 5,6—14), für di«
sich in den Steintafelerzählungen und in den Prophetcnberufune«n
keine Parallelen fanden, haben an Dan 7, 13 f. ihr Vorbild. Di«
Übergabe von Iffl V-V-; an den Menschensohn entspricht d«r

: ~ t ' T ! T

Übergabe des Schicksalsbuches an das Lamm.

§ 5 entfaltet zunächst den Geschieht«- und Offenbarungsbegriff
der Apc. Die Dan 7, 14 f. für das Ende erwartete Inthronisation de«
Heilsbringcrs wird Apc 5 in die Zeit verlegt. Sah Dan seine Gcg«n'
wart durdi die Herrschaft der Feinde des Gottesrciche» und den si«
ermöglichenden Gotteswillen determiniert, so läßt Joh schon diese aus
der Hand des erhöhten Christus hervorgehen Apc 6 ff. Die Gemcind«
sieht sich gerade in der Konfrontation mit gottfeindlichen Mächt«"
von Christus in die Entscheidung gestellt. Daß Christus dennoch als
der zukünftige Sieger bezeugt wird (Apc 19, 11 ff.), zeigt, wie der
Glaube je aus der Vergangenheit in die Zukunft fortschreitet und *°
die in dem Vorübergehen der je gegenwärtigen Gottesbegegnung '■«'
gende Anfechtung überwindet. — Abschließend werden die Ergebnis'«
zur Einzelexegese von Apc 4 f. zusammenge«tellt und die

Konzeptio"

des Verfassers gegen die Deutung der Apc vom urchristlichen Got<ef'
dienst her (Kroll, Cullmann. Piper u. a.) abgegrenzt.