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Ausgabe:

1963

Spalte:

71-73

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Urner, Hans

Titel/Untertitel:

Gottes Wort und unsere Predigt 1963

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 1

72

Urncr, Hans: Corte» Wort und un«ere Predigt. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1961]. 152 S
gr. 8".

Semmclroth, Otto. S. J.: Wirkendet Wort. Zur Theologie der
Verkündigung. Frankfurt/Main: Knecht [1961]. 256 S. 8° Lw
DM 12.80.

Es liegt nahe, diese beiden Bücher zusammen zu besprechen
Beide sind dem Thema des Wortes Gottes, einer Theologie der
Predigt gewidmet. Die Verwandtschaft ist nicht nur thematisch,
»ie reicht vielmehr bis in die Terminologie hinein, und insbesondere
Semmelroth ist sich dieser Gemeinsamkeit über die
Konfessionsgrenzen auch lebhaft bewußt. Um so interessanter
ist es, zu sehen, wie bei ihm das Thema, das ja wie kein zweites
die heutige evangelische Theologie auf den Weg gebracht
hat und bis zur Stunde beschäftigt, in katholischer Abwandlung
erscheint.

Urner schließt sich in seiner Arbeit an die vorausgegangene
jüngste Geschichte der Homiletik an, vor allem an
Barth, aber auch an W. Stählin, dem das mottoartige Eingangswort
zum Buche verdankt wird, an Trillhaas, Fendt, Haendler
u. a. Jede dieser Erbschaften steht an ihrem Ort, wird auf ihr
spezielles Anliegen hin vernommen, ohne sich mit der anderen
zu stoßen, und so erweist sich Urners eigene Homiletik
als ein in hohem Maße synthetisches Buch. Auch die einzelnen,
hier behandelten Gedanken- und Themenkreise stehen in dieser
Weise „synthetisch" beisammen: Der erste Hauptteil ist überschrieben
„das Gottes-Wort" (S. 15—54), der zweite behandelt
in 5 Abschnitten „das Predigt-Wort" (S. 55—117) und der
letzte Hauptteil handelt von der „Predigt-Arbeit" (S. 118-147).
Die vier Kapitel, in welche der erste Hauptteil gegliedert ist,
behandeln nebeneinander das Wort der Götter in Ägypten und
Babylon, im Alten und Neuen Testament und bei Luther. Ohne
Frage ist dabei alles etwas kurz behandelt, und bei Luther, dem
knapp sechs Seiten gewidmet sind, ist das Wesentlichste, wie
das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, eigentlich nur
gestreift. Das größte Rätsel aber gibt der Verf. dem Leser mit
dem rcligionsgeschichtlichen Abschnitt auf, bei dem mir eigentlich
nicht klar geworden ist, ob es darauf ankommt, die Übereinstimmung
mit dem biblischen Begriff des Wortes Gottes
oder den Gegensatz der außerbiblisdien Vorstellung zur biblischen
darzutun. Die fünf eigentlichen homiletischen Kapitel,
die im zweiten Teil vereinigt sind, behandeln die Predigt als
Wert Gottes, das Verhältnis von Heiliger Schrift und Predigt,
den Prediger selbst, die Gemeinde und schließlich Gottesdienst
und Predigt. Man 6pürt es diesen meditativen Kapiteln an, daß
den Verfasser neben dem überragenden Einfluß K. Barths jeweils
auch sehr andere Anregungen zur Seite gehen: im Kapitel über
die Textbindung ist es natürlich die Bultmannschc Theologie
und die neuere alttestamentlichc Exegese, im Kapitel über den
Prediger der Komplex der Haendlerschen Homiletik, in dem
Kapitel über die Gemeinde sind es freundlich aufgenommene
Gedanken meiner Predigtlehre, in dem über den gottesdienstlichen
Ort der Predigt sind es die Stimmen von P. Brunncr,
K. B. Ritter, W. Stählin u. a. Man würde sich wohl auch hier
manches ausführlicher wünschen. Schroffe Antithesen 6ind durchweg
vermieden und alles erscheint, was in der evangelischen
theologischen Literatur gewiß selten ist, in dem versöhnlichen
Zusammenklang aller Stimmen. Der letzte Teil über die
Predigtarbeit rechtfertigt dann das Urteil in besonderer Weise,
das Buch trage einen synthetischen Charakter. Hier sind in fünf
in sich selbständigen Aufsätzen praktische Predigtfragen behandelt
: eine Meditation über Joh. 14, 1—6, eine grundlegende
Besinnung über die Weihnachtspredigt sowie über die Missionspredigt
, über die aktuelle Predigt und schließlich ein Aufsatz
über die Tür des Wortes als Problem der Verkündigung. Auch
diese Beiträge sind teilweise von außerordentlicher Kürze, drei
von ihnen überdies schon früher anderwärts erschienen.

Wenden wir uns von hier aus zu dem Buch des Dogmati-
kers an der philos.-theol. Hochschule St. Georgen in Frankfurt
am Main Georg Semmelroth, so fällt zunächst auf, daß
auch er sich zu einem meditativen Gedankengang anschickt,
bewußt dies« Verfahren bekennend und es durchhaltend. Es
ist, gegenüber dem eben besprochenen Buch, von einer eindrucksvollen
Geschlossenheit. Eindrucksvoll ist an dem Buch
Semmelroths die Unbekümmertheit, in der er sich der bislang
wohl vorwiegend „protestantischen" Thematik stellt (der Literaturnachweis
bringt das m. E. gar nicht hinlänglich zum Ausdruck
) und wie er diese ganze Thematik ins Katholische konvertiert
. Das Buch ist von außerordentlicher Geschlossenheit.
Kein Blick auf die außerchristliche Religion, wie bei Urner,
und keine praktischen Fragen der Homiletik im engeren Sinne
durchbrechen die hier geübte Methode des „radikalen Hörens"
(S. 10). Der erste Teil „die Wirklichkeit des Wortes Gottes"
setzt bei der innertrinitsrischen Bedeutung des göttlichen Wortes
ein, setzt sich in offenbarungsheologische Überlegungen fort
und führt zur Ekklesiologie in: Gottes Wort in der Kirche.
Der zweite Teil „die Wirksamkeit des Wortes Gottes" zeigt
nicht minder das ekklesiologische Gefälle. Er setzt ein bei der
Lebendigkeit und Wirksamkeit des Wortes im Munde Gottes
und der Kirche, führt fort zur Verkündigung als anrufende
Mitteilung (Begriff der „Proklamation") und endet bei der
Verkündigung als gnadenwirksamem Ereignis. Überall erweist
der Verf. seine Meisterschaft der Distinktion, etwa bei der
Darlegung über Wort und Werk Gottes oder bei der eigenartig
modifizierten Aufnahme des bekannten Gedankens von
K. Barth — der im übrigen nicht ausdrücklich genannt ist — von
der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes, was hier noch entschlossener
trinirarisch gefaßt wird, nämlich als Wort in Gott,
als Christus-Offenbarung und als Wort Gottes in der Kirche.
Allenthnlben begegnen hier Gedanken, welche bis in die Formulierung
hinein den „protestantischen" Leser auffordern, hier
sein eigenstes Anliegen wiederzuerkennen. So in dem Satz,
der von der Heiligen Schrift sagt: „sie hat Gott zum Autor,
was man von der Überlieferung nicht sagen kann" (S. 33).
Beachtlich die Ausführungen über das „katholische Schriftprinzip
" und die ursprüngliche, d. h. die genuine Stellung der
Heiligen Schrift im alten scholastischen Lehrbetrieb, S. 107 ff.
Auch in der Vermeidung des bekannten Piatonismus, nach dem
das Wort Gottes nur ,,in" der Schrift oder durch die Schrift
vermittelt sei, steht S. ganz nahe bei den Tendenzen der reformatorischen
Theologie, indem er das Wort Gottes in starker
Weise auch so in seinen Vorrang vor der Überlieferung einsetzen
kann: „Die Heilige Schrift ist Gottes Wort und daher
Gegenstand der überliefernden Verkündigung und verkündigenden
Überlieferung" (S. 109). Freilich ist auch nicht zu übersehen
, daß diese starken Aussagen über die Schrift von keiner
historisch-kritischen Schriftauffassung gebrochen oder in Auseinandersetzung
mit ihr auf die Probe gestellt sind. Ebenso
mag der protestantische Leser in vielen Aussagen über die
Kirche seine eigenen Interessen aufgenommen sehen. Der Gedanke
der hörenden Kirche (S. 113 ff.) ist geradezu ein ur-
luthcrischcr Gedanke, wie denn auch der Satz, daß die Kirche
keine in sich endgültige Wirklichkeit sei (S. 220). so, wie er
dasteht, nur als eine erstaunliche Auccagc eines katholischen
Theologen hingenommen werden kann. Auch könnte man, was
S. über die Bilcwirklichkeit der Kirche sagt, als eine Erinnerung
an den Scbieiermachcrschen Gedanken des darstellenden
Handelns verstehen.

Vermittelt so die S.sche Argumentation einen Eindruck davon
, wie schwer es der evangelischen Theologie gemacht werden
kann, die Eigenart dessen festzuhalten, was sie bislang als
ihr spezielles Eigentum glaubte verstehen zu dürfen und proklamieren
zu sollen, so darf es doch nicht verhindern, das
Katholische des Buches zu erkennen. Es liegt sicherlich nicht in
den Autorenbelegen oder in einer mehr erbaulichen Wendung
wie der, daß im Typu6 der Mutter des Herrn die Kirche als die
Gemeinde derer gekennzeichnet sei, die das Wort Gottes hören
und befolgen (Lk. 8,21), S. 16. Das Katholische liegt vielmehr
in jenen hier im Hintergrund gehaltenen Voraussetzungen, die
hierarchischer, jedenfalls aber doch ekklesiologischer Art sind.
Man hat den Eindruck, daß die konfessionspolitische Situation
angesichts der Konzilserwarrung und alles dessen, was damit
im weiteren Sinne zusammenhängt, das Buch von Satz zu Satz
bestimmt. Das Annäherungsbewußtscin (S. 1341) ist ebenso ergreifend
, wie es durch die Vermeidung aller Härten stellenweise
zu unbefriedigenden Verdeckungen führt. So, wenn S. 59 das