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Ausgabe:

1963

Spalte:

911-913

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Der linke Flügel der Reformation 1963

Rezensent:

Staedtke, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 12

912

Verf., der G.K. sei in der Betonung des Motivs der Heiligung,
da6 „im KK bei Luther unvollständig durchgeführt sei" (24),
ebenso in seinem Ausgang von der Taufe eine wertvolle Ergänzung
des KK, im letzteren Punkte ihm sogar „pädagogisch
überlegen". Als pädagogischen Vorzug rühmt er auch die „logische
Verknüpfung" der Katechismusstücke im G.K. (11).

Hier wie in manchen anderen Stücken hat die Entdeckerfreude
den Verf. begreiflicherweise zu einer Überschätzung
«eines Textes geführt. Der gepriesene pädagogische Wert der
rein formalen Übergangsfragen (Text S. 31. 34. 36) ist mindestens
zweifelhaft. Auch die Ansätze einer theologischen Interpretation
des G.K. unter den Stichworten „Heiligung" und
„Subjektivismus" sind in der vorgetragenen Form schwerlich
zureichend. Verf. sieht allerdings richtig eine Tendenz, in der
der G. K. mit Brenz, aber auch mit Bucer, schließlich auch mit
dem (nirgends erwähnten) Heidelberger Katechismus (und seiner
calvinischen Herkunftslinie) typologisch zusammengehört: die
Bemühung um eine einfache Form systematischer christlicher
Lehre, im Unterschiede zu Luthers bewußt unsystematischer,
allerdings implicite theologisch geordneter Kinderlehre. Hätte
Verf. seine Exegese des G. K., der seiner Meinung nach „in
dieser Form nicht seinesgleichen unter den vor- und nachlutherischen
Katechismen der Reformationszeit" hat (10), in
diesen von Luther unterschiedenen, in den „exponierten Katechismen
" der Nachreformation6zeit freilich auch innerhalb des
lutherischen Bereichs zur Vorherrschaft gelangten „dogmatischen
" Katechismustypus deutlicher eingezeichnet, so wären die
wahrgenommenen Unterscheidungsmerkmale gegenüber Luthers
Lehrform nach beiden Seiten hin vorsichtiger bewertet worden,
aber die Exegese dürfte an theologie- wie unterweisungsgeschichtlichem
Ertrage gewonnen haben.

Obwohl Verf. Joh. Meyers Kommentar sorgsam studiert hat,
macht er den Fehler, den KK am Maßstabe dieses anderen, „dogmatischen
" Katechismustypus zu messen („unvollständige Durchführung" des
„Gedankens der Heiligung" 24, die „fehlenden Fragen der Gebetsund
Abendmahlsgemeinsdiaft und der Kirdienzucht" 2 5 und anderes
mehr). — Die „mystische Auslegung" des 3. Gebots (16), die Luther
aus der Erklärung des 3. Gebots „gänzlich verbannt hat", ist nicht
nur in den erwähnten Exodus- und Katediismuspredigten, sondern
höchst eindrücklich auch in dem großen Katechismuslied („du sollt
von deinm Tun lassen ab / daß Gott sein Werk in dir hab") bezeugt.

Für die theologischen Kern- und Hintergrundfragen der reformatorischen
Katediismusgesdiichte hätte 6ich aus dem nicht genannten,
im wesentlichen bi6 heute nicht übertroffenen „System der christlich-
kirchlichen Katechetik" von Gerh. v. Zezschwitz, 1863 ff., speziell
aus Bd. II, 1 „Der Katechismus" 1864, viel Klärendes entnehmen
lassen.

Verf. urteilt, „in den großen Katechismussammlungen (von
F. Cohrs und J. M. Reu) begegne nichts dem Gengenbacher Katechismus
Gleichwertiges" (26). Das mag, schon im Blick auf
die verschiedenen, dem G. K. weithin vorgegebenen Brenzschen
Katechismusarbeiten, eine Überwertung der Besonderheiten dieses
Dokuments sein. Desto mehr ist ihm zuzustimmen, wenn
er eine gründliche Bemühung um die „weitgehend unerforschte
Katechismusschule des Joh. Brenz" (25) und überhaupt eine
Fortsetzung der Forschungsarbeit von Reu, Cohrs, J. Meyer fordert
. Als ein dankenswerter Anfang solcher Erneuerung der
katechismusgeschichtlichen Studien ist die Edition des G. K.
mitsamt der vorliegenden exegetischen Untersuchung willkommen
zu heißen. Nicht mir in der Katechetik, sondern auch in
den meisten anderen Disziplinen der Praktischen Theologie ist
die Wiedererweckung des wissenschaftlichen Bemühens um die
historischen Grundlagen eines der dringlichsten Erfordernisse.
Ohne sie wird der heute vielbeseufzten „Krisis der Praktischen
Theologie" nicht abzuhelfen sein.

Göttingen Martin Doerne

Fast, Heinold [Hrsg.]: Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse
der Täufer. Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitaricr.
Bremen: Schiincmann [19621. XXXV, 432 S. kl. 8° ■ Klassiker des
Protestantismus, hrsg. v. Chr. M. Schröder, Bd. IV = Sammlung
Dieterich Bd. 269. Lw. DM 19.80.

Dieses Buch ist die erste Quellensnmmlung von Zeugnissen

aus den nebenkirchlichen Gruppen der Reformation in deutscher

Sprache. Schon deswegen verdient es hohe Beachtung. Eine
Anthologie aus wenig erforschten und teilweise ganz unbekannten
Texten herzustellen, ist eine Pionierarbeit, für die dem
Herausgeber Dank gebührt.

Bereits Auswahl und Disposition schaffen Schwierigkeiten,
weil diese Gruppen des 16. Jahrhunderts in ihrem geschichtlichen
Auftreten und damit auch in ihrer literarischen Produktion
durch die historische Forschung noch keineswegs befriedigend
definiert worden sind. So muß Fast in seiner Einleitung (S. IX
— XIII) erläutern, was „der linke Flügel der Reformation" alles
einschließt. Der Begriff ist, wie hier hinzugefügt werden darf,
nicht neu, sondern wurde 1941 von Roland Bainton geprägt.
Historische Bestimmungsversuche der nebenkirchlichen Strömungen,
ja sogar die Bemühung um angemessene Differenzierungen
innerhalb dieses linken Flügels, gehen schon auf Sebastian
Franck und Heinrich Bullinger zurück. Doch hat es Jahrhunderte
bedurft, ehe die epochemachende Unterscheidung zwischen
Täufertum und Spiritualismus von Troeltsch durchgesetzt wurde.
Die amerikanische Täuferforechung vor allem hat dann durch
weitere Unterscheidungen die Gruppierungsversuche fortgeführt.

Der Herausgeber bekennt sich zu dieser Schule und hat
seine Texte auf vier Gruppen disponiert: Täufer, Spiritualisten,
Schwärmer, Antitrinitarier. Diese ebenfalls über Troeltsch hinausführende
Einteilung ist unbedingt zu begrüßen. Sie zeugt von
dem Bestreben, möglichst das religiöse Hauptmotiv der verschiedenen
Strömungen aufzuspüren und jeder leichtfertigen
Nivellierung zu wehren. Aber ein 60 polemischer und durch
kontroverstheologische Vorurteile belasteter Begriff wie „Schwärmer
" ist für die historische Erfassung dieser Dinge doch wohl
nicht mehr verwendbar. Es ist schade, daß Fast auf ihn zurückgegriffen
hat. Auch die einengende Deutung (S. XXVII - XXXI)
wertet diesen Begriff nicht wieder auf. Gerade ein Buch, das
sich mit deutschen Lesetexten an einen größeren Kreis wendet,
könnte falsche historische Vorstellungen damit erwecken, daß
es Autoren wie Karlstadt und Müntzer als Schwärmer ausweist.
Schon dieses Beispiel zeigt die ungemeinen Schwierigkeiten, für
die historische Beurteilung dieser Gruppen eine angemessene
Sprache zu finden. Für jede der vier Gruppen gibt der Herausgeber
Definitionen, die sowohl aus der geschichtlichen Entwicklung
als auch aus den theologischen Hauptaussagen gewonnen
werden (S. XIII —XXXV). Die Entstehung des Täufertums wird
erwartungsgemäß aus der Sicht des mennonitischen Historikers
dargestellt. Man darf nicht so ohne weiteres sagen, daß die
Täufer durch die Unbedingtheit ihres Glaubensgehorsams in die
ersten Differenzen mit Zwingli gerieten (S. XIV). Hier wird
historisch nur eine Seite dieser Auseinandersetzung bewertet.
Der Anspruch der zwinglischen Reformation erstreckte sich auch
auf alle weltlichen Bereiche, wie Staat, Gesellschaft und öffentliche
Ordnung. Diese bewußte Universalität ist nicht nur eine
traditionelle Verhaftung am Corpus Christianum gewesen (S. XV).
Gerade den „Dualismus von Gemeinde und Welt als das kennzeichnendste
Merkmal täuferischen Glaubens" (S. XXI) wollte
und mußte Zwingli vermeiden, um die Allgemeingeltung der
Reformation nicht durch menschliche Schranken und Bedingungen
zu schmälern.

Schön ist die begriffliche Abgrenzung des Spiritualismus.
Hans Denck wird mit Recht als Kronzeuge genannt. Bei der
Definition der „Schwärmer" befindet sich Fast in den obengenannten
Schwierigkeiten. Historisch und theologisch richtig ist
es, der Antitrinitarier als einer besonderen Gruppe zu gedenken
, wenn sie sich auch von Täufern und Spiritualisten oft nur
schwer absondern lassen.

Im ganzen enthält das Buch Texte von 26 Autoren: ein
buntes Bild unterschiedlicher Theologien, eigenwilliger Frömmigkeit
, verirrten Fanatismus, heroischer Glaubenstreue und standhaften
Martyriums. Den Texten hat der Herausgeber kurze
Biographien ihrer Verfasser vorangestellt. Sie geben die historischen
Daten und versuchen auch den geistigen und theologischen
Standort des Schriftstellers zu bestimmen. Diese Einleitung«0
sind eine sehr instruktive Lektion aus der Kirchen- und Geistesgeschichte
des 16. Jahrhundert«.

Den tiefsten Eindruck aber gewinnt man aus den Texten