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Ausgabe:

1963

Spalte:

891-892

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rudolph, Kurt

Titel/Untertitel:

Die Religionsgeschichte an der Leipziger Universität und die Entwicklung der Religionswissenschaft 1963

Rezensent:

Holsten, Walter

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891

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 12

892

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Rudolph, Kurt: Die Religionsgeschichte an der Leipziger Universität
und die Entwicklung der Religionswissenschaft. Ein Beitrag zur
Wissenschaftsgeschichte und zum Problem der Religionswissenschaft.
Berlin: Akademie - Verlag 1962. 191 S. 8° = Sitzungsberichte der
Sachs. Akademie d. Wissenschaften zu Leipzig, Philol.-hist. Klasse,
Bd. 107, H. 1. Kart. DM 8.-.

Es ist ein gutes Unternehmen, wenn der Dozent für
„Religionsgeschichte und vergleichende Religionswissenschaft"
und kommissarische Leiter des religionsgeschichtlichen Seminars
in Leipzig eine Art Standortbestimmung seiner Arbeit gibt. Er
beschreibt die Religionswissenschaft in Leipzig, indem er ihre
Entwicklung in den großen Rahmen der deutschen Entwicklung
und den noch größeren der außerdeutschen (europäischen) Entwicklung
hineinstellt. Auf diese Weise entsteht ein mit reichen
und wertvollen Literaturangaben ausgestatteter Abriß der modernen
Religionswissenschaft. Es ist wohl unvermeidlich, daß, je
weiter die Darstellung der Gegenwart sich nähert, die guten
Charakteristiken der wesentlichen Gestalten der Religionswissenschaft
hier und da hinter einer Aufzählung zurücktreten, obwohl
es gerade hier auch an geradezu spannenden Partien nicht fehlt,
unter denen besonders die Geschichte der Berufung Walter
Baetkes hervorzuheben ist. Die Geschichte der Religionswissenschaft
wird unter dem Gesichtspunkt des Spannungsverhältnisses
von Religionswissenschaft und Theologie bzw. des Kampfes um
die Lösung der Religionswissenschaft aus der Theologie beschrieben
. Mehr als einmal wird festgestellt, daß die Verbindung
mit der Theologie eine selbständige Entwicklung der
Religionswissenschaft verhindert hat und die Errichtung religionsgeschichtlicher
Lehrstühle in den theologischen Fakultäten der
Religionswissenschaft schädlich gewesen ist. Führende Religionswissenschaftler
müssen sich jeweils die Frage stellen lassen, ob
sie sich auch wirklich restlos von theologischen Auffassungen
freigemacht haben. Diese Fragestellung ist nun aber keineswegs
von Feindschaft gegen die Theologie beherrscht, deren Verdienste
um die Religionswissenschaft durchaus nicht verschwiegen
oder herabgesetzt werden. Es wird nämlich nicht minder als die
Vermischung der Religionswissenschaft mit der Theologie ihre
Verwechslung mit irgendwelchem Glauben oder mit Religionsphilosophie
abgelehnt. So wird die Rede von der Religion als
„ein romantisches Erbe" bezeichnet, das „eigentlich in das Gebiet
der Religionsphilosophie gehört" (S. 38). Rudolf Otto wie
Gustav Mensching werden jener Verwechslung überführt, wenn
sie die Religionsgeschichte wissenschaftlich betreiben und zugleich
in ihr den „lebendigen Gott" oder das „ganz Andere"
finden wollen. In vanderLeeuws „Phänomenologie der Religion"
sieht R. eine moderne „natürliche Theologie" (S. 23). Infolgedessen
wird die Geschichte der Religionswissenschaft in Leipzig
unter den Gesichtspunkt ihrer Zugehörigkeit zur theologischen
oder zur philosophischen Fakultät gerückt und festgestellt:
„die von Professor Baetke endlich vollzogene Eingliederung in
die Philosophische Fakultät brachte eine lange dahinzielende
Entwicklung zum Abschluß" (S. 176). Hinter diesem Kampf um
die Reinheit der Religionswissenschaft von Theologie und Religionsphilosophie
steht die Forderung einer „streng empirischphilologisch
-historischen Methode" (S. 164), die zur Folge hat,
daß „Religionswissenschaft ernsthaft nur durch ein Gremium
verschiedener Fachgelehrter auf philologischer Basis getrieben
werden kann" (S. 16). Mit Recht erfährt Walter Baetke eine
besonders eingehende und verdiente Würdigung. Man wird
dann aber die Frage stellen müssen, ob nicht gerade durch dies
Ernstnehmen der Religions geschieht e, wie es namentlich
durch Baetke geübt wird, und gerade durch die saubere Scheidung
von Religionswissenschaft und Theologie ein neues positives
Verhältnis beider Wissenschaften begründet wird im gemeinsamen
Gegensatz zu einem Mißbrauch der Religionswissenschaft
zur Begründung irgendeines quasi-christlichen bzw. letztlich
mystischen Glaubens.

Beachtlich ist. daß der geschichtliche Charakter der Religion
als „geschichtlich-gesellschaftlicher" bezeichnet wird und
die Bedeutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit für das Verständnis
der religiösen Phänomene sowie die Bedeutung des

Kapitalismus für die Entstehung der Religionswissenschaft betont
wird, während Karl Marx und Friedrich Engels das Verdienst
zuerkannt wird, „zu einer soziologischen Erfassung und
Bearbeitung der Religionsgeschichte" den Grund gelegt zu haben.

Mainz Walter Hol s len

Vries, J. de: Keltische Religion. Stuttgart: Kohlhammer [1961].
XI, 270 S. m. 10 Abb. u. 15 Ktn.-Skizzen, gr. 8° = Die Religionen
der Menschheit, hrsg. v. Ch. M. Schröder, 18. Lw. DM 32.—.

Nachdem Jan de Vries 1956/57 die 2. Auflage seines zweibändigen
Werkes .Altgermanische Religionsgeschichte' herausbringen
konnte und 1960 mit einer Arbeit über die ,Kelten und
Germanen' aufwartete, liegt nunmehr seine .Keltische Religion'
als 18. Band der von Christel Matthias Schröder herausgegebenen
Reihe ,Die Religionen der Menschheit' vor. Wer um die Bruch-
stückhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der Quellen weiß, wird,
wie der Verf. es tut, darauf hinweisen müssen, daß eine solche
Arbeit nur ein vorläufiger Versuch sein und nichts Endgültiges
darstellen kann. Bei der Lückenhaftigkeit des Quellenmaterials,
die hier noch beträchtlich größer ist als bei der germanischen
Religion, hat der Verf. sich keine leichte Aufgabe gestellt, wenn
er beabsichtigt, nicht nach traditioneller Methode nur nackte
Tatbestände aneinanderzureihen, sondern ein wirklich lebendiges
und anschauliches Bild von dem Götterglauben und den kultischen
Einrichtungen und Riten der Kelten zu zeichnen, die sich
in der La-Tene-Zeit aus einer sehr gemischten Bevölkerung unter
Einfluß indogermanischer Elemente entwickelt und sich von
ihrem Ursprungsgebiet, dem Oberrhein und der Oberdonau,
weiter über ganz Mittel-, West- und Südosteuropa bis nach
Kleinasien (Galatien) verbreitet haben. Obwohl die Quellen im
wesentlichen nur Gallien, Britannien und Irland betreffen,
meint der Verf. von einer einheitlichen Volkskultur mit einheitlicher
Sprache und religiöser Anschauung sprechen zu dürfen.
Dabei wird niemals vergessen, auf die Vielzahl der noch immer
ungelösten Probleme und auf bloße Vermutungen aufmerksam
zu machen. Trotz der sich notwendig machenden Einschränkungen
ist die vorgelegte Arbeit mehr als nur „ein Handbuch, mittels
dessen der interessierte Leser sich orientieren kann", es ist tatsächlich
entgegen der bescheidenen Absicht des Verfs. ein wissenschaftliches
Werk, das hohes Können verrät.

J. de Vries ist nicht der erste, der über die Religion der
Kelten geschrieben hat, und insofern geht er hinsichtlich mancher
Einzeluntersuchungen in den Bahnen früherer Forscher
weiter. Aber das entscheidend Neue, was früher viel zu wenig
beachtet worden ist, besteht darin, nicht allein mit den kelti-
schen Quellen auskommen zu wollen, sondern gerade die keltische
Religion mit ihren Gottheiten in das indogermanische
Göttersystem einzubeziehen und von daher „im Chaos der
keltischen Überlieferung Ordnung zu stiften". Von dieser In-
tention her ist es verständlich, daß der Verf. mehr als 2/3 des
Buchinhaltes für die Darstellung der keltischen Götter und der
mit ihnen verbundenen Probleme verwendet. Entsprechend der
Erkenntnis, daß die Kelten zu der indogermanischen Sprach-
und Religionsfamilie gehören, versucht de Vries eine Gleichset'
zung oder Verbindung der keltischen Götter mit denen der germanischen
, römischen, griechischen und indischen Religion vorzunehmen
. So findet der gallische Jupiter im Hinblick auf die
alten indogermanischen Himmelsgötter Tiwaz, Zeus und Dyaus
seine Deutung. Dagdas Keule wird mit ThoTS Hammer und
Indras vajra gleichgesetzt. Lugus tritt in unmittelbare Nähe des
germanischen Wodan und des indischen Varuna. Tanaris läßt
sich mit Donar, Jupiter und Indra, Esus mit Mercurius un«
Odhin in Verbindung bringen, während Nuadu dem Thyr und
Ogma dem Thor entspricht (u. a.). Weiterhin versucht de Vrie'
die in der Schrift Cäsars, De bello Gallico VJ 17 in der damals
üblichen Form der interpretatio romana dargebotenen ttm
Götternamen (Mercurius, Apoll, Mars, Jupiter, Minerva) mit den
unter einheimischen Namen bezeichneten drei keltischen Göttern
(Teutatcs, Esus, Taranis)) bei Lucanus, De bello civili in Ein'
klang zu bringen. Schließlich versucht der Verf. auch eine
Glcichsetzung der gallischen und irischen Götternamen vorzunehmen
(gallischer Jupiter = irischer Dagda; gallischer McrcU'
rius, bzw. MaTS = irischer Teutatcs; gallischer Apoll " irische'