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1963

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 11

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verfestigen als vielmehr solche gerade produktiv in Frage stellen
. Wenn schließlich Thurneysen in seinem genannten Brief
an Barth schreibt:

„Es wird so sein, daß unser Schiff sich nolens volens der Lehre
von der Kirche nähert wie einem neuen Continent; ich sehe es auch
nicht anders, und eigentlich muß es so sein, denn in den Gewässern
des 3. Artikels kreuzten wir seit jeher; dort liegen sozusagen unsere
Heimathäfen und alten Kohlenstationen, der ,hl. Geist' war doch
wohl irgendwie unser Ausgangspunkt...",

so bestätigt diese Charakterisierung, daß nicht Ergebnisse, sondern
Aufgaben gesehen werden.

Thurneysen bringt die Anfragen Blumhardts so zum Ausdruck
, daß sich Verkündigung und Theologie gegenseitig befruchten
. Darum wird man dieses Buch nicht als Referat, sondern
als beispielhaften Versuch der Evokation lesen.

Göttingen Gerhard Sauter

Chadwick, Owen: Westcott and the University. The Bishop
Westcott Memorial Lecture 1962. London: Cambridge University
Press [1963]. 38 S. kl. 8°. 3s. 6d.

Rican, Rudolf: Jan Kvacala (1862—1962).
Communio Viatorum 5, 1962 S. 207—228.

Schmittner, Wolfgang: Kritik und Apologetik in der Theologie
J. S. Semlers. München: Kaiser 1963. 71 S. gr. 8° = Theologische
Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. Nr. 106.
DM 4.80.

Springer, H.: Quelques ajpects des rapports entre les sciences
et la foi dans l'oeuvre du cardinal Newman.
Nouvelle Revue Theologique 9 5, 1963 S. 270—279.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

I v ä n k a, Endre von [Hrsg.]: Seit neunhundert Jahren getrennte Christenheit
. Studien zur ökumenischen Begegnung mit der. Orthodoxie.
Wien: Herder [1962]. 136 S. 8° = Ruf und Antwort, 3. Kart.
DM 7.-.

Die in diesem Bändchen von dem Grazer Byzantinisten
E. von Ivänka herausgegebenen vier Studien sind weniger auf
das unmittelbare Gespräch mit der Ostkirche gerichtet. Sie dienen
vielmehr der Aufgabe, einem weiteren Kreis das Verständnis
für die Ostkirche und deren Unterschiede gegenüber der
römisch-katholischen Kirche zu erschließen. Es handelt sich also
um eine Hinführung zur ökumenischen Begegnung mit der Ostkirche
. Dies kommt auch in der Anordnung der vier Beiträge
zum Ausdruck: Nach einer grundlegenden Einführung des Herausgebers
werden von dem Wiener Dogmatiker Karl Binder die
wichtigsten Lehrunterschiede dargelegt; dann folgt eine historische
Analyse des orthodoxen Kirchenbegriffs von E. von Ivänka,
darauf eine Einführung in die Liturgie und den Frömmigkeitsstil
der Ostkirche von Josef Kondrinewitsch und schließlich —
im Blick auf die gegenwärtige Situation — eine theologische
Reflexion über die Möglichkeiten einer unmittelbaren Begegnung
der römisch-katholischen Kirche mit der Ostkirche. Dieser abschließende
Beitrag ist verfaßt von dem Leiter des Instituts
.Istina' in Boulogne (Seine), P. C.-J. Dumont, der schon seit
langem an der Begegnung mit der Ostkirche führend beteiligt
ist.

Auf engstem Raum haben die Verfasser aus der Fülle des
Materials die ihnen wesentlich erscheinenden Gesichtspunkte
aus einer neunhundertjährigen Geschichte der Zertrennung und
Entfremdung zusammengetragen. Doch wichtiger als das dargebotene
Material ist sicher die Gesamtbeurteilung des Trennenden
und des Gemeinsamen bzw. die Methode der Hinführung
zur ökumenischen Begegnung von Orthodoxen und Katholiken.
Gerade hier sind in den Beiträgen unterschiedliche Akzente und
Aspekte zu erkennen.

Besonders in den beiden ersten Studien zur Geschichte der
Lehrgegensätze ist bemerkenswert, wie stark eine formale oder
auch statistische Betrachtungsweise in der Beurteilung der Kontroverspunkte
hervortritt, während die sachlichen Unterschiede,
wie sie etwa Gegenstand eines theologischen Gesprächs werden
könnten, nur wenig zur Geltung gebracht werden. Bei den in
dem Aufsatz von K. Binder aufgeführten sechs Lehrunterschieden
— Filioque, Fegefeuer, Eucharistie, Ehe, Mariologie
(Mariä Empfängnis und Himmelfahrt), päpstlicher Primat —
wird gezeigt, wo in der Geschichte der Ursprung der Divergenz
und der Ansatz zu einer Übereinstimmung und Verständigung
liegt. Entscheidendes Kriterium sind dafür jeweils die dogmatischen
Definitionen unter dem Gesichtspunkt ihrer normativen
Verbindlichkeit — ein Verfahren, das dem römisch-katholischen
Dogmenverständnis natürlich sehr naheliegt. In der Ostkirche
läßt e6 sich auch ohne weiteres auf die Methode der Schuldog-
matik des vorigen Jahrhunderts anwenden. Es findet aber ähnlich
wie in der Ökumenischen Bewegung seine Grenze an einer
eigentümlichen Unklarheit der ostkirchlichen Lehraussagen, unter
denen eigentlich nur die der überwiegenden Mehrzahl christlicher
Kirchen gemeinsame altkirchliche Trinitätslehre und
Christologie die formalen Kennzeichen dogmatischer Definitionen
trägt. Charakteristisch dafür ist die Feststellung Binders,
daß z. B. beim Filioque der eigentliche dogmatische Unterschied
nach seinem Lehrinhalt keineswegs so stark ins Gewicht fällt
wie die Tatsache der Veränderung des nicäno-konstantinopoli-
tanischen Symbols ohne Zustimmung der Gesamtkirche (S. 23).
Der theologische Unterschied, so evident er zunächst scheinen
mag, ist schwer zu erfassen, und dies wird auch durch die hier
nicht berücksichtigten neueren Untersuchungen ostkirchlicher
Theologen wie Bolotov, Katanskij, Bulgakov u. a. bis hin zu V.
Losskij bestätigt. Entsprechendes gilt von den mariologischen
Differenzpunkten. Die Vielfalt von mariologischen Aussagen in
der östlichen Liturgie bietet manche Anhaltspunkte für eine
sachliche Übereinstimmung, wenngleich die Ostkirche eine dogmatische
Fixierung ablehnt. Bei der Eucharistie greift Binder auf
die unterschiedliche Lokalisierung der Konsekration, im Osten
während der Epiklese, im Westen durch die Einsetzungsworte,
zurück. Der Vermittlungsvorschlag (S. 32), nach dem die Kommunionsepiklese
„symbolisch aussagt, was durch die Einsetzungsworte
geschieht" läßt aber wohl außer acht, daß in
dem Verständnis der Wandlung selbst Unterschiede bestehen,
die sich in der Ostkirche ebenfalls vorwiegend in Abgrenzungen
gegenüber der Transsubstantiationslehre äußern. Eine einheitliche
positive Lehranschauung ist aber auch in diesem Punkt
nicht zu finden. Diese auch in anderen Zusammenhängen hervortretende
Unfaßbarkeit der Lehrunterschiede könnte zu der
Frage Anlaß geben, ob nicht die tiefste Differenz in den hier
aufbrechenden strukturellen Unterschieden liegt.

Als „am schwersten zu überbrückender Lehrunterschied"
(S. 43) bleibt der Kirchenbegriff mit der Frage des päpstlichen
Primats, d.h. im engeren Sinn das Problem der päpstlichen Jurisdiktionsgewalt
. Dieser Kontroverspunkt wird in dem folgenden
Aufsatz von E. von Ivänka ausführlich erörtert, besonders hinsichtlich
der in der Ostkirche fehlenden Zentralgewalt, die über
Lehre und Ordnung entscheidet und in der letztlich die Einheit
der Kirche sichtbar wird. Diese Aporie wird von den Verfassern
natürlich sehr tief empfunden, und sie macht es ihnen schwer,
die Ostkirche als eine Einheit, als eine Kirche zu sehen (S. 11).
Jedenfalls erscheint sie von diesem Standpunkt aus nicht als eine
Kirche, sondern als eine „organisatorisch nicht geeinte — Gemeinschaft
der orthodoxen Kirchen". Obwohl die faktische
Gemeinschaft der orthodoxen Kirchen in der apostolischen Sukzession
, in dem gemeinsamen Bekenntnis und in der Sakramentsgemeinschaft
gesehen wird, bleibt es bei der These, daß
es „die Ostkirche" nicht gebe: „Was wir mit dem Sammelbegriff
der .Ostkirche' bezeichnen, ist eine Vielheit von kirchlichen
Gemeinschaften ... die alle mir die eine Gemeinschaft aufweisen
, daß sie denselben orthodoxen Glauben bekennen und
historisch zum größten Teil von Konstantinopel aus ihr
Christentum erhalten haben ..." (S. 55). Es liegt auf der Hand,
daß von dieser Voraussetzung her kaum ein Zugang zu den bedeutenden
ekklesiologischen Neuansätzen, zumal bei den russischen
Theologen und Religionsphilosophen seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts, zu finden ist. Die pneumatologische und
christologische Begründung der Ekklesiologie von A. S.
Chomjakov bis hin zu N. Afanassiev endet für Ivänka in einer
Neigung zum Subjektivismus, in einer Unsichtbarkeit der
Kirche (S. 78).