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Ausgabe:

1963

Spalte:

839-842

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Käsemann, Ernst

Titel/Untertitel:

Exegetische Versuche und Besinnungen, I.Bd. 1963

Rezensent:

Goppelt, Leonhard

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Theologisdie Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 11

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heren Unterlassens der Kniebeuge vor der Juden-Fürbitte aus
Schotts Meßbuch wäre darum S. 35, Anm. 17 besser weggeblieben
; vgl. P. De mann, Johannes XXIII. und die Juden, Freib.
Rundbrief XII, 4 ff.). Das bestätigt auch ein trotz unvermeidlich
fragmentarischem Charakter imposantes abschließendes Literaturverzeichnis
(S. 43—46).

Von wenigen mehr oder minder kritikbedürftigen Einzelheiten
abgesehen (S. 36, Anm. 21 hätte man sich eine wenigstens
andeutungsweise Begründung dafür gewünscht, warum M.
das m. E. richtige S c h r e n k sehe Verständnis des „Israel Gottes
" Gal 6, 16 von der Urgemeinde ablehnt, das schon Ephrem
vertrat), dürfte Mayer die Ausgangslage des christlichen Gesprächs
mit Israel im ganzen treffend gewürdigt haben. Nur
dessen wesensnotwendig t r i konfessioneller Charakter wäre
wohl noch deutlicher herauszuarbeiten gewesen. Denn erst dann,
wenn auch die Glaubensspaltung innerhalb der Christenheit im
gemeinsamen Suchen nach der ganzen Wahrheit redlich mit
ausgetragen wird, wenn die jüdisch-protestantischen bis zu
einem gewissen Grad gemeinsamen Vorbehalte i. S. der Inkarnation
und ihrer ekklesiologischen Konsequenzen, die jüdischkatholischen
i. S. angeblicher Unerfüllbarkeit des .Gesetzes' zum
Zuge kommen (dazu jetzt: „Botschaft und Gebot in jüd., kath.
und ev. Sicht", Freib. Rundbrief XIV, 5 ff.), erst dann gewinnt
jenes Gespräch seine volle Klärungskraft. Aber das muß wohl
erst noch durch weitere Erfahrung bestätigt werden, bevoT es
gebührend literarisch gewürdigt wird. (Vorläufig ist außer auf
die beiden Basler trikonfessionellen Gespräche, nach Tonbändern
wiedergegeben in Freib. Rundbrief XI und XIV, sowie a. a. O.
XIII auf das Niederaltaicher, auf die mehrjährige trikonfessio-
nelle Arbeit der Evangelischen Akademie Berlin zu verweisen
mit dem Niederschlag in Marsch/Thieme (Hrsg.), Christen und
Juden; Göttingen 1961, und auf meinen Versuch einer Phänomenologie
des Gegenüber in: Biblische Religion heute, Heidelberg
1960.)

4.9 IIIS» I q |JWy

Ben-Chorin, Schalom: Das ewige Gespräch.
Die Zeichen der Zeit 17, 1963 S. 211—215.

Freund, Elmar: Strukturen einer neuen Gesellschaft? — Bemerkungen
zur wirtschaftlichen und sozialen Verfassung der Kibbutzim.
Junge Kirche 24, 1963 S. 78—84.

Jasper, Gerhard: Um Israels Leid.

Deutsches Pfarrerblatt 63, 1963 S. 108—110.

L i n d i n g e r, Christentum, Schuldgefühl und Antisemitismus.
Deutsches Pfarrerblatt 63, 1963 S. 81—83.

Robinsohn, Saul B.: Erziehungsprobleme in Israel.
Neue Sammlung 2, 1962 S. 409—430.

NEUES TESTAMENT

Käsemann, Ernst: Exegetische Versuche und Besinnungen. I. Bd.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1960; 2. Aufl. 1962. 316 S.

gr. 8°. Kart. DM 16.80.

Die Aufsätze, die E. Käsemann in diesem Sammelband
vorlegt, bedürfen im einzelnen keiner Besprechung mehr; sie
sind mit einer Ausnahme bereits in Zeitschriften veröffentlicht
und als fruchtbare Anstöße in die Diskussion der Forschung
eingegangen. Die Zusammenstellung leckt jedoch, den Weg
dieser Forschungsarbeit als ganzen zu bedenken, wie ihn der
Verf. selbst in seinem aufschlußreichen Vorwort reflektiert.

Käsemann gilt als ein Exponent der von Bultmann geprägten
Richtung neutestamentlicher Forschung. Es ist nicht zuletzt
seiner Arbeit zu danken, daß sich jetzt in dieser Forschungsrichtung
ein theologiegeschichtlicher Umbruch abzeichnet. Käsemann
ging dabei, wie er im Vorwort betont, einen anderen
Weg als sein Lehrer. Er setzte sich nicht wie einst Bultmann
nach 1918 mit einem neuen systematischen Gesamtentwurf von
seinen Lehrern ab, sondern trieb durch exegetische Kleinarbeit
und historische Hypothesen einzelne Probleme so weit voran,
daß er den Rahmen, von dem er ausging, nämlich die theologisch
-religionsgeschichtliche Konzeption Bultmanns, immer wieder
durchstieß. Dieser Vorgang, der in den neueren Aufsätzen
immer greifbarer wird, läßt sich in diesen aus dem ersten Jahrzehnt
nach dem zweiten Weltkrieg stammenden Arbeiten vor
allem an dem Vorstoß zu dem „Problem des historischen Jesus"
(S. 187—214) erkennen. Dieser Aufsatz war einer der entscheidenden
Anstöße, die in der sogenannten Schule Bultmanns die
ausschließliche Gründung der neutestamentlichen Theologie auf
das „Daß" des Osterkerygmas durchbrachen und das Fragen nach
dem „historischen Jesus" in Gang brachten. Dieses Fragen hat
ganz wesentlich den Umbruch in dieser Forschungsrichtung
herbeigeführt, mit dem sich Bultmann in seinem Heidelberger
Akademievortrag über „Das Verhältnis der urchristlichen
Christusbotschaft zum historischen Jesus" (1961), der ein
theologiegeschichtliches Dokument geworden ist, auseinandersetzt
.

Für die exegetische Arbeit, durch die Käsemann diese
weiterführenden Ergebnisse gewinnt, ist es charakteristisch, daß
sie nie in Einzelbeobachtungen aufgeht, sondern stets das
Gesamtbild verändert. Das liegt an ihrer Methode. Diese Exegese
verbindet scharfsinnige philologische Erklärungen, die bestimmte
exegetische Möglichkeiten mit großer, manchmal einseitiger
Konsequenz entwickeln, stets mit einer Interpretation
aus dem Sachzusammenhang. Wir wollen dieses Interpretieren
an zwei Sachzusammenhängen, die in diesen Aufsätzen eine
wichtige Rolle spielen, genauer bestimmen.

Die sachliche Mitte der neutestamentlichen Theologie, mit
deren Hilfe Käsemann den eigentlichen uns beanspruchenden
Sinn der Texte aussagt, ist für ihn — anders als für Bultmann
— die Herrschaft Christi. Er findet diese Mitte bei Paulus und
interpretiert von ihr her vor allem paulinische Texte. „Die
Charis, die bei Paulus ja konstitutiv als Macht verstanden
wird, hat man, sofern sie von uns Besitz ergreift und in ihr
die Herrschaft Christi uns zum Dienen bringt" (S. 111). In der
Christologie von Phil. 2, 5-11 „wird bezeugt, daß die Welt dem
Gehorsamen gehört und er Herr ist, damit wir gehorsam würden"
(S. 95). Die Kirche, der Leib Christi, „ist die Realität konkreter
Weltherrschaft Christi vor der Parusie" (S. 113). Der Aufsatz
über „Anliegen und Eigenart der paulinischen Abendmahlslehre"
spitzt sich auf den Satz zu: „Indem der Christus sakramental
unsere Leiber zu seinem Dienst an seinem Leib beschlagnahmt,
erweist er sich als der Kosmokrator, der in unseren Leibern
die Welt in seine Herrschaft reißt" (S. 34). Die Interpretation
von dieser Sinnmitte her macht über Bultmann hinaus von
vornherein unmißverständlich deutlich, daß das Evangelium
nicht nur ein neues Selbstverständnis des einzelnen, sondern
eine neue Welt will. Sie entspricht dem Grundbekenntnis der
paulinischen Gemeinde: Herr ist Jesus! Die Art, wie Käsemann
von Herrschaft Christi redet, scheint mir die paulinische Vorstellung
vom Herrsein Christi jedoch in zweifacher Hinsicht zu
verkürzen: l) Für Paulus ist Christus nicht nur im Sinne von
Rom. 6 Macht, die in Dienst nimmt, sondern immer zuerst der
Christus für uns, dessen der Glaube vor und über allem Stückwerk
des Dienens gewiß ist (Rom. 3, 25 f.; 8,34). (Diese Seite
der Rechtfertigung kommt auch in den Ausführungen „Zum
Verständnis vom Rom. 3, 24—26" zu kurz, 60 daß 3, 25b m. E-
mißverstanden wird.) 2) Weiterhin scheint mir das Verhältnis
der Herrschaft Christi zum Gesetz und zum „Bereich der Haustafeln
" nicht genügend differenziert zu 6cin. Paulus wendet
z. B. die Begriffe „dienen" und „Charisma" nur auf das Handeln
zur Erbauung der Gemeinde, nicht auf das Handeln na<fr
den Haustafeln an (auch nicht in l.Kor. 7, 7); der Christ handelt
also im Bereich der Haustafeln in einem anderen Sinn«
„um des Herrn willen" als in der Gemeinde ( Würden dies«
beiden verkürzten Linien ausgezogen werden, dann könnte fc*
die Kirche bei Paulus nicht mehr rein dynamisch -pneumatisch
gesehen werden, wozu der Aufsatz über Amt und Gemeinde
neigt (S. 119-127), während er gleichzeitig den lukanische0
Kirchenbegriff als „frühkatholischc" Antithese kennzeichnet.

Wie Käsemann die einen Texte von der Sachmittc her als
Zeugnisse von der uns beanspruchenden Christusherrschaft deutet
, so andere von ihrem historischen Hintergrund her als Aus'
druck eines der Mitte des Evangeliums widerstreitenden kir*
liehen Systems, „des Frühkatholizismus". Vor allem die Pastora
briefc und die lukanische Theologie sind für ihn von der ffU