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Ausgabe:

1963

Spalte:

819-822

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

P - Se 1963

Rezensent:

Wingren, Gustaf

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 11

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logie scheint sie also zu wollen, und vielleicht ist es der gegenwärtigen
Theologie gar nicht mehr möglich, ernstlich etwa die
Frage nach der Gottheit Christi zu erörtern. Wie dem auch sei,
der Rechtfertigungslehre geht es ernstlich um die Gottheit
Christi, und auf der anderen Seite steht sie dann hinter der
Bemühung um das wiedergeborene Sein des Menschen, um das
neue Sein in Christo, nicht zurück.

Die Rechtfertigungslehre wahrt ständig den christolo-
gischen Bezug, auch wenn es ihrer praktischen Bedeutung nach
um das Leben des neuen Menschen geht. Der heilsame Wechsel
zwischen unserer Sünde und Christi Gerechtigkeit, der vor Gott
gilt, meint das Anziehen des neuen Menschen. Aber bei der
„Morphologie der Existenz als Sein-in-Christo" und der Interpretation
des Seins in Christo als „Metamorphose" und Übernehmen
der Rolle Christi versteht Dilschneider das Anziehen
des neuen Menschen als „Anziehen Christi als Übernahme der
Fremd-Rolle Christi" im Sinne Kierkegaards zur „Einübung in
das Christentum""1. Darauf konzentriert sich jedenfalls seine
Arbeit. Demgegenüber heißt es u. E. theologisch sachgemäß und
zutreffender nach der Lutherschen Rechtfertigungslehre: im Gericht
mit sich 6elbst den alten Menschen — betend vor Gott —
ausziehen! Das Anziehen des neuen Menschen ist der Glaube.
Gott besorgt das Anziehen des neuen Menschen. Es ist das Bekleidetwerden
mit Christi Gerechtigkeit, die unser „Schmuck
und Ehrenkleid" vor Gott ist und bleibt. — Es kommt uns also
darauf an, die Frage richtig zu beantworten, w i e man dazu
gelangt durch Christus im neuen Leben zu stehen, wie man
Gott wirklich in Christus begegnet. Das per fidemprop-
ter Christum des reformatorischen Bekenntnisses bleibt
der Schlüssel für reformatorisches Schriftverständnis und
Christentum.

Von Christus als dem Erhöhten gilt nun auch bei Luther
und in jeder auf die Schrift bezogenen Theologie, daß Christi
Wirken gewiß nicht nur auf das Vergeben der Sünde beschränkt
ist, obwohl dies die neuschaffende Kraft in allem geschichtlichen
und persönlichen Leben ist. Christus führt sein Reich
herauf, und das ist mehr als Soteriologie. In dieser Hinsicht
sind die neuen Bemühungen verstehbar. Aber eben nach Kol. 1
ist uns der Schöpfungsmittler, der sein Reich in Vollmacht
heraufführt, ja doch bekannt nur aus seiner Offenbarung als der
Heilsmittler! „Für uns gestorben und auferweckt" ! Das
ist die Grundlage für die weiteren Gedanken im KolosserbrieP2.
Das Heraufführen des Reiches Christi sucht die pleromatische

n) A.a.O. S. 206.

22) Unveraltet in der Sache sind z. B. die Ausführungen über die
„weltumspannende Bedeutung Christi" in den Briefen „an die Ephe-
ser und Kolosser", die M. Kahler gibt, Dogmatische Zeitfragen II, 2,
Leipzig 1908, S. 501 ff.

Christologie noch viel zu programmatisch und polemisch gegen
allgemein christliche Lehrüberzeugungen vorzunehmen. Sie
spricht weniger von der Krisis des Menschen in seinem Verhältnis
zu Gott und mehr von der Krisis der Theologie, also
der Lehre von Gott, die nach lutherischem Verständnis ihre
Mitte in der Rechtfertigungslehre als dem Heilshandeln Gottes
mit der Welt hat.

Es genügt nicht und geht nicht an, den „Indikativ des ,Sein-inChristo
' und den Imperativ .Christus anziehen!' (als) ... Interpretationen
und Regieanweisungen für die Fremd-Rolle Christi" (!) zu bejahen
, und dann vor „dem Mißverständnis eines Aktivismus" zu
schützen nur mit den Worten: „Niemand wird die Rolle Christi spielen
wollen und jemals spielen können, weil sie uns in ihrer Einmaligkeit
und Einzigartigkeit vorgegeben ist." (Als Rolle??) „Dennoch
bleibt der zentrale Inhalt des Imperativs zu Recht bestehen, der uns
aufruft, Christus anzuziehen, in die Nachfolge Christi einzutreten und
also die Fremd-Rolle Christi in eigener Existenz zu leben. Lind dennoch
sind wir verwiesen" und sollen uns stützen auf die Hl. Schrift als
Rollenbuch für christliche Akteure, „auf ein ganz intensives Rollenstudium
eben dieser Rolle Christi . . . , die uns in den Texten der
Evangelien aufgewiesen wird"! (Dilschneider, a.a.O., S. 206.)

Alle christliche Erkenntnis geht aber erst durch die Krisis
des Verhältnisses des Menschen zu Gott hindurch, bevor sie
Christus-Erkenntnis wird. Bei Luther ging das durch die evangelische
Buße hindurch. Das war eine persönliche Krisis. Man
muß sich nun fragen, ob die neueste Christologie den Heilsweg
ohne solche „unmoderne" Rückbeziehung auf Gottes Rechtfertigungswerk
in Gericht und Gnade sucht. Das etwa hieße ihn
also suchen in einem ungeschichtlich-mystischen Weg als Teilhabe
an Christi Leib durch allgemeine „Inkorporation" und
nicht in einem geschichtlichen und persönlichen Weg zu Christus
! Denn wie soll man anders den entschiedenen Protest
gegen den als „heilsindividualisrisch" bezeichneten Weg der
geschichtlich-persönlichen Rechtfertigung und den Hinweis auf
die „uns umgebende Welt" und das Massenzeitalter verstehen,
der man pleromatisch aufhelfen will?2* — Sicher müssen wir neu
zu sagen versuchen, was uns als Botschaft für alle Zeit anvertraut
ist, so daß wir den Auftrag nicht verfehlen und auch den
heutigen Menschen vor Gott sehen. Denn er ist in Christus
genauso von Gott gefunden wie der Mensch anderer Zeitalter.
Aber er ist auch Sünder geblieben wie zu allen Zeiten, solange
er nicht durch den Glauben, in dem Gott bei ihm wirkt, — um
Christi willen! — den Weg geht, der steter Neuanfang ist und
der „Christus finden" und „von ihm gefunden worden sein"
bedeutet. Auch eine holistisch-pleromatisch angelegte Theologie
kann nicht vorbei an dem biblisch-christozentrischen Glaubensverständnis
, das die Rechtfertigungslehre Luthers meint.

23) Dilschneider, a.a.O. S. 210 ff.; vgl. S. 35 ff., 60 ff., 223 ff.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 3., völlig neu bearb.
Aufl. in Gemeinschaft mit Hans Frhr. v. Campenhausen, Erich
D i n k 1 e r, Gerhard G 1 o e g e und Knud E. Logstrup hrsg.
v. Kurt Galling. Band 5: P - Se. Tübingen: Mohr 1961. XXXI S.
u. 1726 Sp., 3 Ktn. 4°.

Der fünfte Band von RGG ist vor dem Ende des Jahres
1961 erschienen. Er enthält 19 Lieferungen in 8 Heften und ist
nicht ganz so umfangreich wie die früheren vier Bände, 1726
Spalten diesmal. Keine Bildtafel, aber drei Karten begleiten den
Text, darunter die schöne fünffarbige Karte „Religionen und
Missionen der Erde". Die Herausgeber und die Fachberater sind
dieselben wie früher. Überhaupt sind in dem Stab seit Beginn
dieser großen Arbeit im Jahre 1956 nur ein paar Veränderungen
geschehen. Der Verlag ist wirklich zu beglückwünschen. Ein bedeutendes
Werk ist jetzt dem Ziel ganz nahe, ohne Verspätungen
und Unglücksfälle.

Linter den wichtigen Themen in diesem Band befindet sich
„Paulus" (2 5 Spalten), von Günther Bornkamm behandelt. Nach
einem ausführlichen Teil biographischer Art, in dem das Verhältnis
zu den anderen Aposteln klar dargestellt wird, gibt uns

Bornkamm in dem Hauptteil des Artikels die „Strukturen" der
paulinischen Theologie, beginnend mit dem Schöpfungsgedanken
und endend mit „dem neuen Leben". Die anthropologische
Begrifflichkeit, die Lehre von dem Gewissen und von dem universalen
Gesetz einerseits, die Verkündigung der Heilstat Gottes
in Christo andererseits rücken einander nahe. Die Gegenwart
des Heils im gepredigten Wort und in den Sakramenten
(Taufe und Abendmahl) wird hervorgehoben. Zugleich aber betont
Bornkamm „die Dimension einer das Heute übergreifenden
Zukunft". Diese Zukunft ist Zukunft nicht nur für den einzelnen
Glaubenden, sondern auch für die Welt als Schöpfung.

Im Artikel „Qumran" (17 Spalten) bekommen wir in sechs
sehr klaren Abteilungen ein Bild von der heutigen Lage der
Forschung. Das Zentrum des Artikels ist der Versuch, aufs
Neue anzugeben, worin die Bedeutung dieser Texte liegt, und
zwar in drei Richtungen: die Bedeutung für das Alte Testament
(im wesentlichen Textgeschichte), für das Judentum und für das
Neue Testament. Das AT wird von Professor R. Meyer in Jena,
die zwei letzten Teile werden von dem besonders umsichtigen
Professor K. G. Kuhn in Heidelberg behandelt. Der Ton fällt
deutlich auf das Judentum, von dem wir durch die neuen Funde