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Ausgabe:

1963

Spalte:

813-820

Autor/Hrsg.:

Beintker, Horst

Titel/Untertitel:

Rechtfertigungslehre und Christologie 1963

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 11

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gern gehört werden; im evangelischen Kirchenrecht hat sie
dennoch ebensowenig einen legitimen Platz wie die Lehre, daß
die „tatsächliche Oekumenizität der Kirche" von der „Unersetzlichkeit
der Bischofsgemeinschaft" nicht abgelöst werden könne
(S. 795). Damit ist auch das Urteil über die Auffassung gesprochen
, daß personale bischöfliche Sukzession und kerygmatische
Sachtradition wieder zusammengeführt werden müßten (S. 800).
Ähnlich steht es mit der Ordinationslehre (S. 473 ff.), in deren
Rahmen D. u. a. ausführt, in der (sakramentalen) Ordinations-
handlung falle es dem Menschen zu, die Präsenz Gottes „für
den Ordinanden zu erbitten und ihm in der Glaubensgewißheit
der Verheißung auch diese verheißene Gabe wirklich
zu verleihen" (S. 478, ähnlich S. 576, wo von „der
geistverleihenden Vollmachtsübergabe" die Rede ist)1'.

1B) Hervorhebung durch den Rezensenten.

Die große Leistung, die D. mit seinem Buch vollbracht hat,
sei nach so viel Kritik ausdrücklich noch einmal anerkannt. Die
Belesenheit, der Scharfsinn und die Originalität der Gedankengänge
stehen ebenso außer Zweifel wie der große, beinahe
möchte man sagen heilige Ernst, mit dem D. der Kirche und
ihrem Herrn zu dienen entschlossen ist. Um so schwerer fällt
es, die Rezension nicht mit einem Positivum ausklingen lassen
zu können. Aber es muß gesagt werden: so fruchtbar und bahnbrechend
das Buch in vielem ist, so wenig gehört es in anderem
noch in den Bereich des evangelischen Kirchenrechts. Es steht
zwischen und vor „Neukatholizismus und Protestantismus
". Der Rezensent sieht sich mit Hans Liermann genötigt
festzustellen, daß seiner Überzeugung nach gegenüber dem Buch
von D. eine „ablehnende Grundhaltung" geboten ist20.

20) Lutherische Monatshefte, Jg. 1963, S. 42.

Rechtfertigungslehre und Christologie

Ein Beitrag zur gegenwärtigen Einschätzung reformatorischer Theologie

Von Horst B e i n t k e r, Jena

Fast regelmäßig richten sich von Zeit zu Zeit Stöße gegen des Bekenntnisses „zum Christus Pantokrator", das den
die Rechtfertigungslehre als Grundlage reformatorischer Theo- »Kolosserbrief als die Magna Charta einer neuen ökumenischen
logie. Gewiß, die Rechtfertigungslehre, wie wir sie mit der Ur- Theologie"3 versteht und „Fragmente einer ökumenischen Theo-
sprünglichkeit Lutherscher Theologie neu vermittelt bekommen logie . . . zum Anbruch einer Theologie der Ökumene" vorhaben
, ist nicht etwa unkritisch bloß zu tradieren. Sie kann auch zulegen beansprucht*. Die Gegenwartsbedeutung der Rechtler
Christologie als dem dogmatischen Ausdruck des Glaubens fertigungslehre Luthers — nicht nur gegenüber der katholischen
an- Christus ak Versöhner und Erlöser nicht einfach gleich- Interpretation einer Rechtfertigung des Menschen vor Gott —
gesetzt werden. Aber die Rechtfertigungslehre sagt so Grund- ist zwar mehrfach und überzeugend durch theologische Überle-
legendes über die Störung und vor allem über die Wieder- gungen dargetan worden5. Dennoch findet der Anspruch der
herstellung einer gestörten und vom Menschen aus zerstörten Rechtfertigungsbotschaft Luthers, nur der Glaube mache geGemeinschaft
zwischen Gott und Mensch, daß kein Thema der recht, der sich unbedingt an die Heilstat Gottes in Christus
Theologie ohne Bezug zu ihr bleiben kann. Mit ihr ist die hält und ausschließlich von da Leben und Gerechtigkeit vor
Einsicht vom richtenden und gnädigen Gott, von Gottes Heilig- Gott erwartet, mit vorgenanntem Programm, aber auch sonst
keit und Gerechtigkeit, mit ihr ist die Lehre vom Worte Got- manchen Einwand und nicht erst heute'.

j*l als Unterscheidung der Offenbarung in Gesetz und Evange- ln eTSter Linic muß aber <jic genannte Infragestellung der

«Um, das Verständnis vom Glauben und vom Gebet, von Buße Rechtfertigung behandelt werden, weil sie sich durch Ergebnisse

und neuem Leben, von der Sünde als Selbstvergötterung und der Bibelwissenschaft veranlaßt wissen will. Mit dieser Begrün-

Selbstrechtfertigung und manche andere theologische Aussage dung wjrd dogmatisch argumentiert. Die Gesamtuntersuchung

Verbunden. Am wichtigsten sind aber doch wohl die Beziehun- der neutstamentlichen Texte lege ein umfassenderes Evangelium

Ken zwischen der Christologie und der Rechtfertigung, die ja vor als die Rechtfertigungslehre Luthers wiederzugeben vermag.

durch Gottes schenkende, rechtfertigende Gerechtigkeit und in -——-

der von ihm in Christus wirklich mit uns hergestellten Gemein- 3) J. W. Winterhager in seinem „ökumenischen Vorschaft
besteht. * P r u c h", „Das Bekenntnis zum Christus Pantokrator und die An-

Die beziehungsreiche Bedeutung der Rechtfertigungslehre ™"ge einer ökumenischen Theologie", in dem eben genannten Buch

mjt ihrem Kern, dem Evangelium der Sündenvergebung, ist UUs*nciders S. 7 und 13.

unverkennbar. Die Botschaft der Rechtfertigung des Gott- Ui^chneider, a.a.O. S. 228. ...... . ...

10<!„_ i , ,-, ,lr. , „ . j. i • ..~lxUia , ' ttwa m den Referaten des Zweiten Internationalen Luther-

°sen durch Gottes Wirken selbst ist auch keineswegs unfähig forscherkongresses i960, veröff. in: Luther und Melanchthon, Göttin-

ucr modernen Geisteslagc und Entwicklung gerecht zu werden, gen i96i (vgl. dazu meinen Bericht in: Luth. Rdsch. 10,3 [i960]

]a> sie ist gewissermaßen ein kraftvoller Zusammenhalt ökume- S. 347 ff.), auch in R. Hermanne Gesammelten Studien zur Theologie

"'scher Kirchengemeinschaft, und das nicht nur für die prote- Luthers und der Reformation, Göttingen i960, denen ein so unvor-

stantischen Kirchen. In ihr sammelt sich wie in einem Brenn- angenommener Kritiker wie F. Lau bezeugt, daß dort verstanden

Punkt die Fülle der biblischen Botschaft. Deshalb erfordert wurde, ..Luthers Sätze und reformatorische Gedanken gegenwärtig zu

^rade eine These wie die jüngst vorgetragene von der „Ver- m.a*en «nd in das Fragen und Ringen der Menschen unserer Zeit

kür?!,,, j j ■ i- i ti j f.« j j_ j. r <.__ mr|einzustel en (in: Dt. Lit. Zt. 83, 7/8 [1962], Sp. 592 ). — Zur ka-

..ReS t> c»nstl.chen Botschaft durch die reformatonsche , < , E SAott, Trennt die Rechtfertigung6.

'^ecntrertigung allein aus Glauben einige Aufmerksamkeit. i€nre dje Konf(£sionen nodl heute? Im Lichte der Reformation IV,

Göttingen 1961, S. 21—37; ders., Einig in der Rechtfertigungslehre?

I Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtfertigungslehre Luthers,

n; f. i i •• i ' i . - ______ Luther - Jahrbuch XXIV, Berlin 1959, S. 1-24; H. Rückert, Die

Uie vorab knapp begründete Geltung der Rechtfertigungs- Rechtfertigungslehre auf dem Tridentinischen Konzil, Arbeiten zur

"re auch für unsere heutigen theologischen Anliegen im Zei- KG 3, Berlin 1925.

cnen der Ökumene wird also in Frage gezogen im Programm •) ygl. ^ n0\_ p;e Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte

des Protestantismus'(1905), 2. Aufl. Tübingen 1922 (SgV 45), S. 1 :

') Aus der Fülle von Beispielen hierfür, die durch die Vorberei- ..Der articulus stantis et cadentis ecclesiae hat sich im Lauf des letz-

tUng der Vollversammlung der lutherischen Christenheit in Helsinki ten Menschenalters zu einer ernsthaften Frage entwickelt. Vordem

'9ß3 bekannt wurden, nenne ich, neben P. Brunners Hauptbeitrag, immer noch als das Kleinod des Protestantismus betrachtet, ist er

^heiten von Kr. Stendahl (Rechtfertigung und Endgericht), W. A. neuerdings gerade von theologischer Seite Gegenstand teils still-

VUanbeck (Rechtfertigung und Taufe im NT) (beide in Luth. Rdsch. schweigender Mißachtung, teils offener Angriffe geworden. — Der

. '•1/2 11961]), ferner von W. Dantine (Die Gercchtmachung des Gott- Umschwung fällt zeitlich etwa zusammen mit dem Aufkommen der

'osen. 1959) uncj U.Mann (Gottes Nein und Ja. Von Grundriß und «og. religionsgeschiditlichen Schule. Denn Paul de Lagarde ist es ge-

K,ditmaß theologischen Denkens, 1959). wesen, der auch in diesem Punkt zuerst der geltenden Anschauung

') O. A. Dilschncider, Christus Pantokrator. Vom Kolosserbrief sich entgegenwarf." — Dort siehe weiter und auch bei P. Tillich,

2Ur Oekumenc, Berlin 1962, S. 21. Rechtfertigung und Zweifel, Gießen 1924.