Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1963

Spalte:

795-796

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Wagner, Siegfried

Titel/Untertitel:

Franz Delitzsch 1963

Rezensent:

Wagner, Siegfried

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

795

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

796

Kapitel IV „Thomas im Gespräch mit der evangelischen Theologie
" versucht die bestimmenden Grundgedanken der thomanischen
Theologie des Gesetzes der gegenwärtigen evangelischen Theologie zu
konfrontieren, um dadurch zu einer Stellungnahme zu Thomas zu gelangen
und seine Fragen an uns hören zu können. Zunächst wird
Thomas das Recht zu einer metaphysischen Verankerung des Gesetzes
im allgemeinen Gott-Mensch-Verhältnis zugestanden, sofern es sich
dabei um die hermeneutisch notwendige Reflexion über das „Vorverständnis
" handelt, von der aus eine wissenschaftliche Erfassung des
Wesens und Sinnes des Evangeliums überhaupt erst möglich ist, und
sofern Metaphysik bei Thomas nicht kosmologische Spekulation, sondern
„geläutertes Selbstverständnis des Menschen aus transzendenta'
lern Ursprung" (J. B. Metz) ist, das freilich — mit Recht — die Form
vorstellender, gegenständlicher Rede hat. Ebenso wird (in Auseinandersetzung
mit A. Nygren) Thomas zugestimmt, wenn er den Menschen als
Gottes selbständiges Gegenüber versteht, das sich Gott in spontaner Liebe
zuwendet. Ferner entsprechen das Verständnis des neuen Gesetzes als
Gnade des Heiligen Geistes bei Thomas und die Auffassung von
altem und neuem Gesetz als von zwei sich ablösenden heilsgeschichtlichen
Ständen und Zeiten wichtigen neutestamentlichen Tatbeständen.
Grenzen des Thoma6 werden darin gesehen, daß Thomas das ständige
Angewiesensein des Menschen und seiner Spontaneität auf
Gottes je kontingentes Handeln und Wollen nicht genügend zum
Ausdruck bringt, ferner darin, daß der Aspekt der iustitia extra nos
posita nicht da ist, derzufolge auch der vollkommenste durch die
Gnade geheiligte Mensch noch auf die in Christus gegründete außer
uns bestehende Gerechtigkeit als Grund der Barmherzigkeit Gottes
angewiesen ist, schließlich damit zusammenhängend darin, daß Thomas
das Gesetz nicht als ständigen Ankläger auch des Christen versteht
, wie es die Reformation aufgrund einer vertieften Sündenerkenntnis
getan hat. Trotz dieser Grenzen weist Thomas aber die
evangelische Theologie darauf hin, die von ihm in den Vordergrund
gerückten neutestamentlichen Aspekte nicht zu übersehen, und bietet
zugleich eine Art theologischer Grundlegung einer geistlichen Lebensführung
an.

Wagner, Siegfried: Franz Delitzsch, Leben und Werk. Studien zu
einer wissenschaftlichen Biographie. Habil.-Schrift Leipzig 1963.
VI, 521 S.

Der Wunsch, das Leben und Wirken des Alttestamcntlers Franz
Julius Delitzsch (1813 — 1890) umfassend dargestellt zu sehen,
besteht schon seit mehr als siebzig Jahren. Es hat auch hin und wieder
fruchtbare Ansätze zur Abfassung einer Biographie gegeben, die
aber nie zu einer ausführlichen Würdigung des Gelehrten geführt
haben. Die hier anzuzeigende Arbeit versucht, dieser Aufgabe nach
einer Einleitung in drei Hauptteilen gerecht zu werden, denen dann
ein umfangreiches Verzeichnis von Delitzsch-Schriften, von Quellen
und herangezogener Literatur (S. 457—513) angefügt ist.

Der erste Teil („Die Lebensdaten" S. 1—191) stellt eine Biographie
im engeren Sinne dar. Hier werden unter sorgfältiger Berücksichtigung
alles erreichbaren Archivmaterials und zeitgenössischer Zeugnisse
in acht Kapiteln Bausteine aus den verschiedensten Lebensepochen
zusammengetragen, aus deren Zusammensetzung sich ein möglichst
plastisches Bild ergeben sollte. Es konnten verschiedene, nicht unwichtige
Korrekturen am bisherigen Delitzschverständnis angebracht und
viele unbekannte Einzelzüge im Charakterbild Delitzschs nachgezeichnet
werden. Dabei mußte schon zur Frage der illegitimen Geburt
Stellung bezogen werden, und es gelang, auf Grund zahlreicher bisher
nicht ausgewerteter Briefe — sowohl gedruckter als auch unveröffentlichter
— einen tiefen Blick in die Nöte des jungen Studenten
und Privatgelehrten zu tun, bis sich durch die Berufung nach Rostock
(1846) in die Professur des nach Erlangen gegangenen Hofmann der
Weg zu einer außerordentlich erfolgreichen Hochschullehrertätigkeit
in Rostock, Erlangen und Leipzig für ihn eröffnete. Nicht außer acht

bleiben durfte die tief in der lutherischen Erweckungsbewegung des
19. Jahrhunderts wurzelnde Frömmigkeit, die sich bis in seine wissenschaftlichen
Publikationen hinein Ausdruck verschaffte. Darüber hinaus
wurde Delitzsch als erfolgreicher Judenmissionar vorgestellt, dessen
ganze Liebe dem Volk des alten Bundes galt, dem er über Jahrzehnte
hinweg Zeit und Kraft für die Übersetzung des Neuen Testamentes
in das Hebräische opferte. Die Persönlichkeit Delitzschs war,
so konnte ausgeführt werden, durch reiche Gaben des Geistes und der
Seele, vor allem des Gemütes ausgezeichnet, ein Tatbestand, der für
ihn zugleich Freude wie Leid bedeutete. Wie kaum einem anderen
war ihm die Vorläufigkeit alles Irdischen bewußt, und er litt an der
unstillbaren Sehnsucht nach dem Unendlichen. Mit einem Blick auf
die Familie und mit der Schilderung aller Umstände, die schließlich
zum Tode führten, endet dieser erste Teil.

Im Mittelpunkt des zweiten Teiles („Wesen und Bedeutung des
wissenschaftlichen Lebenswerkes" S. 192—439) steht der Exeget Franz
Delitzsch, der ein umfangreiches literarisches Werk hinterlassen hat.
An dieser Stelle galt es, den Gedankengängen der einzelnen Kommentare
zu den verschiedenen biblischen Büchern nachzugehen, die oft in
mehreren Auflagen unter seiner Neubearbeitung erschienen waren.
Besondere Aufmerksamkeit mußte der ,pentateuchischen Frage' zugewendet
werden, die ihn mehr als vierzig Jahre beschäftigte und ihn
am stärksten mit der aufkommenden historisch-kritischen Forschung
eines Reuß, Graf, Hupfeld, Kuenen und schließlich Wellhausen konfrontierte
. Die Darstellung des Exegeten Delitzsch führt zur Erörterung
seiner hermeneutischen Prinzipien, in denen er stark von dem
Erlanger Hofmann beeinflußt war. Es konnte allerdings eine selbständige
Verarbeitung der Anregungen nachgewiesen werden. Typologie,
Hcilsgeschichte und Erfüllungsgeschichte müssen bei Delitzsch doch
noch etwas anders definiert werden als bei Hofmann. Man kommt bei
Delitzsch auch nicht um die Untersuchung einiger häufig gebrauchter
Termini herum. So befaßt sich ein Kapitel mit Begriffen wie „Wissenschaft
", „Geschichte", „Idee", „Fortschritt" und „Entwicklung". Der
zweite Teil schließt mit einem Abschnitt „Die Auseinandersetzung"»
in dem vor allem die frühen judaistischen Studien und Delitzschs
Haltung zum Judentum gewürdigt werden, insbesondere zur Zeit des
aufkommenden Antisemitismus. Dort wird auch die apologetische
Grundhaltung umrissen, die Delitzschs literarisches Werk weithin
bestimmt.

Der dritte Teil („Schluß und Würdigung" S. 440—456; S. 514

— 521 enthalten Nachträge) bemüht 6ich um eine theologic- und
geistcsgeschichtliche Einordnung Delitzschs und um die zusammenfassende
Darstellung seiner Bedeutung. Hier konnte dargelegt werden,
daß Denkweise und wissenschaftliche Nomenklatur Delitzschs der
Philosophie des deutschen Idealismus, vor allem der Hegels verpflichtet
sind. Die spekulativ-mystischen Gedankengänge gehen auf Sendling
und Jakob Böhme zurück und 6ind hauptsächlich bei Anton
Günther (1783—1863) wiederzufinden. Der Einfluß der Erlanger Schule
ist nicht zu verkennen. Die theologischen Grundgedanken der lutherischen
Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts sind von Delitzsch

— mitunter modifiziert — aufgenommen worden. Trotz dieser theolo-
gie- und geistesgcschichtlichcn Koordinatcnbe6timmung gelingt &
nicht, Delitzsch einer Richtung zuzuweisen. Von der historischkritischen
Forschung weithin abgelehnt, von der .konservativ-restaura-
tiven' Theologie oft gerügt, geht er seinen eigenen Weg, auf dem e*
zu erstaunlich modernen, aktuellen theologischen Erkenntnissen ge'
langt. Er sieht in wünschenswerter Schärfe die Grenzen der historischkritischen
Wissenschaft und führt vor die gleichen hermeneutischen
Probleme, vor denen die Theologie noch heute steht. Er stellt eia*
wie kaum ein anderer Theologe seiner Zeit und seiner Geistesrichtung
den wissenschaftlichen Fragen und sucht, unter der von ihm stark
empfundenen Spannung zwischen Glaube und Wissenschaft die Antwort
zu finden, selbst wenn bei diesem Bemühen liebgewordene
eigene Anschauungen aufgegeben werden müssen.

NEUE BÜCHER

Adnes, P.: Le mariage. Tournai: Desclee [1963]. XVI, 218 S. 8° = Baldermann, I.: Biblische Didaktik. Die sprachliche Form als Leitfaden

Le mystere chretien, Theologie Sacramentaire, 5. unterrichtlicher Texterschließung am Beispiel synoptischer Erzählt»*'

Albrecht, C: Schleiermachers Liturgik. Theorie und Praxis des Gottes- gen. Hamburg: Furche-Verlag [1963]. 172 S. gr. 8°. Lw. DM I5-80'

dienstes bei Schleiermacher und ihre geistesgeschichtlichcn Zusammen- v Bardtke, H: Die Handschriftenfunde in der Wüste Juda. Berlin: Evang-

hänge Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1962]. 183 S. gr. 8°. Kart. ' Hauptbibelgescllschaft 1962. 1 1 5 S., 16 Abb. a. Taf., 3 Ktn. gr- •

DM 12.80. Lw. DM 6.80.

Anselme de Cantorbery: Pou'quoi Dieu s'est fait homme. Texte latin, Barth, K.: Gebete. München: Kaiser 1963. 89 S. kl. 8°. Pp. DM 4.»^

Introduktion, Bibliographie, Traduction et Notes de R. Roques. Paris: Besnard, A.-M.: Le mystere du nom. Quiconque invoquera le no

Les Editions du Cerf 1963. 526 S. 8° = Sources chretiennes 91: du Seigneur sera sauve. Joel 3,5. Pari»: Ed. du Cerf 1962. l?8

Serie des Textes Monastiques d'Occident, XI. NF 33.-. >. 7 Taf. 8° = Lectio Divina, 35. NF 12.-. 63.

[Augustinus:] Sancti Aurelii Augustini De Doctrina Christiana. De j Beyreuther, E.: Selbstzeugnisse August Hermann Franckes. geb. i

Vera Religione. Turnholt: Brepols 1962. XL, 275 S. gr. 8° = Cor- Aus Verkündigung und Lebensberichten ausgewählt u. c,n*p0lv

pus Christianorum, Serics Latina, XXXII: Aurelii Augustini Opera, lMarburg/L.: Verlag der Francke-Buchhandlung 1963. 1 58 S.,

Pars IV, 1. bfr. 360.— ; geb. bfr. 435.—. trat. 8n. Kart. DM 5.50; Lw. DM 7.50.