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Ausgabe:

1963

Spalte:

783-784

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Belting, Hans

Titel/Untertitel:

Die Basilica dei SS. Martiri in Cimitile und ihr frühmittelalterlicher Freskenzyklus 1963

Rezensent:

Weckwerth, Alfred

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Seite 1

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783

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

784

B e 11 i n g, Hans: Die Basilica Dei SS. Martin in Cimitile und ihr
frühmittelalterlicher Freskenzyklus. Wiesbaden: Steiner 1962. XI,
166 S. m. 91 Abb., 2 Farbtaf. gr. 8° = Forschungen z. Kunstgeschichte
u. christl. Archäologie, hreg. v. F. Gerke, 5. Bd. Lw.
DM 36.—.

Diese Arbeit ist in der Hauptsache der Freskenfolge aus
dem frühen 10. Jahrhundert in einer Kirche des großen Ausgrabungsbezirks
in Cimitile, östlich Neapel, gewidmet. Kunst-
gesdiichtlich ist die Untersuchung insofern von Bedeutung, als
sie eine bisher unbekannte Stilphase der Kunst Süditaliens erschließt
und den Nachweis erbringt, daß Bischof Leo III. von
Nola der Stifter der Fresken ist. Auf diese Weise werden diese
Darstellungen für die Chronologie der frühmittelalterlichen
Malerei recht wichtig. Aber nicht nur für den Kunsthistoriker
ist die vorliegende Arbeit Hans Beltings von Bedeutung, sondern
auch für die christliche Archäologie sehr aufschlußreich.
Es ist verhältnismäßig leicht, den mittelalterlichen Bau zu rekonstruieren
, da dieser im wesentlichen dem heutigen Zustand entspricht
. Wir haben es im großen und ganzen mit dem Zustand
zu tun, der durch die umfangreiche Restauration des genannten
Bischofs um 900 erzielt worden ist. Und vor allem: wir haben
die Fresken in ihrem ursprünglichen Programm vor uns. Das
erlaubt Rückschlüsse auf die damalige Gliederung des Kirchengebäudes
und auf die liturgische Verwendung der einzelnen
Raumteile zur Zeit der Fertigung der Fresken.

Es fällt zunächst auf, daß die Apsis und die die Apsis umfassende
Stirnwand des Gebäudes zwei inhaltlich völlig verschiedene
Kompositionen aufweisen. Die Apsismalerei bietet
eine frontal stehende Madonna mit Kind, die rechts und links
von je einem schreitenden Engel flankiert wird. Unter dieser
Figurengruppe ist ein Vorhang auf die Apsiswand gemalt. Es
i6t anzunehmen, daß dieser gemalte Vorhang die bildliche Fortsetzung
des materiellen Altarvorhanges war, der sich an den
Altairschranken befand und den Altar den Blicken der Gläubigen
im Schiff entzog. Die Apsismalerei nimmt offensichtlich auf
das Geschehen am Altar während des Gottesdienstes Bezug und
rückt dieses Geschehen in eine höhere Ebene. Dargestellt sind
zwei Engel, die Christus etwas darbringen. Was sie in den
Händen hielten, läßt sich bei dem heutigen Erhaltungszustand
der Malerei nur noch vermuten. Theodor Klausner hat in seiner
Untersuchung über die konstantinischen Altäre der Latcran-
basilika1 überzeugend dargelegt, daß in früher Zeit die Begriffe
,,Tisch" (= Tisch des Herrn, d. i. Kommunionstisch) und
„Altar" klar unterschieden wurden. Der Altar — in größeren
Kirchen waren mehrere Altäre in Gebrauch — war der Ort, auf
dem die Gläubigen die mitgebrachten Gabenopfer niederlegten.
Diese Gaben waren vornehmlich für den Unterhalt der Bedürftigen
bestimmt und wurden gemäß Matth. 25, 40 als Gaben an
Christus selbst verstanden. Die Darbringung von Geschenken
an Christus ist auch das Bildprogramm in Cimitile. Auch
die damalige Sitte der Anbringung eines Vorhangs an den
Altarschranken hatte eine biblische Begründung. Sie ergab sich
offensichtlich aus Jesu Worten über das Almosengeben in der
Bergpredigt (Matth. 6, 1). Durch den Vorhang wollte man also
die Gabendarbringung den Blicken der Gemeinde entziehen.
Wir können also aus der Apsismalerei entnehmen, daß um
900 der Altar in bzw. unmittelbar vor der Apsis noch die Funktion
des Gabenopfertisches hatte, auf dem die Gläubigen im
Offertorium ihre mitgebrachten Naturalgaben niederlegten.

Ganz anderer Art ist das Fresko an der Stirnwand des
Gemeinderaumes oberhalb und zu beiden Seiten der Apsis. Es
stellt den in seiner Herrlichkeit thronenden Christus dar, umgeben
von den apokalyptischen Wesen, d. h. den „König
Christus" (griech.: Christos Basileus). Die übrigen Fresken der
Wände des Gemeinderaumes haben Themen des heilsgeschichtlichen
Wirkens Christi zum Gegenstand: Darstellung Christi im
Tempel, Berufung der Apostel Petrus und Andreas, Judaskuß
und Gefangennahme, die Kreuztragung, Christus am Kreuz,
Descensus ad inferos, der Engel mit den Frauen am Grabe, die

') Klauser, Theodor: Die konstantinischen Altäre der Lateranbasilika
, in: Römische Quartalschrift 43 (1935) S. 179—186.

Erscheinung vor den beiden Marien, Erscheinung vor den
Aposteln im Beisein des Thomas, die Hinführung Petri zur
Kathedra ( = Begründung des Hirtenamtes bzw. Konstitution
der. Kirche unter dem Primat Petri), in der unteren Zone die
Bilder von Heiligen: Eusebius, Magdalena, Symeon Stylites,
Cosmas und Damian, Januarius und Benedictus, Anastasia,
Pantaleon sowie zwei nicht mehr bestimmbare weibliche
Märtyrinnen. Gesamtprogramm der bildlichen Darstellungen ist
also die Errichtung des Reiches des „Königs Christus", der
thronende „König Christus" und die Bezeugung der Herrschaft
des „Königs Christus" durch die Darstellung seiner Gefolgsleute
, d. h. der Glaubenszeugen. Kurz gesagt: Gegenstand der
Darstellungen ist die Königsherrechaft Christi. Dieses Bildprogramm
ist eine hinreichende Begründung der Tatsache, daß dieses
kleine gottesdienstliche Gebäude von jeher „Basilika"
(abzuleiten von dem griechischen Worte Basileus = „König")
genannt worden ist.

Der Mittelpunkt des Gebäudes wird durch das Medaillonbild
Christi bestimmt, das, von vier Engeln getragen, sich im
Scheitelpunkt des Deckengewölbes befindet. Dieses Bild befand
sich über dem Tisch des Herrn, über dem Abendmahlstisch, und
bezeichnete diesen als den Ort der Gegenwart Christi. Wir
haben damit in der Basilica dei Ss. Martiri aus dem Deckengemälde
noch auf die alte Aufstellung des „Tischs des Herrn"
inmitten des Kirchengebäudes zu schließen, von der in altchristlicher
Zeit der Kirchenvater Augustinus in Sermo CXXXII
berichtet: Mensa Christi est illa in medio constituta.

So bieten die Fresken des genannten Kirchengebäudes, die
von Hans Belting in vorzüglicher Weise erläutert werden und
in ausgezeichneten Abbildungen wiedergegeben sind, weitreichende
kunsthistorische, ikonologische und liturgiegeschichtliche
Aspekte, die da6 vorliegende Buch hinsichtlich der vorgelegten
Ergebnisse wie auch hinsichtlich der weiteren Auswertungsmöglichkeiten
äußerst wertvoll erscheinen lassen.

Cuxhaven Alfred W e c k we r t h

Henze, Anton: Moderne christliche Malerei. 118 S. m. Abb. i-

Text u. a. 16 Taf.
— Moderne christliche Plastik. 103 S., 32 Taf. Aschaffenburg: Pattloch

[1961/62]. 8° = Der Christ in der Welt, eine Enzyklopädie, hrsg.

v. J. Hirschmann. XV. Reihe: Die christliche Kunst, Bd. 6 u. 7.

Hlw. je DM 4.50.

Im Rahmen der von P. Johannes Hirschmann S. J. edierten
Enzyklopädie „Der Christ in der Welt" erscheint audi eine
Reihe von 10 Taschenbänden zum Themenkomplex „Die christliche
Kunst". Der Autor der o. a. angezeigten Bände, Anton
Henze. ein Schüler von Martin Wackernagel, ist bereits durch
zwei Gesamtdarstellungen („Kirchliche Kunst der Gegenwart"
und „Neue kirchliche Kunst") und durch eine gründliche Monographie
über die Wallfahrtskirche von Ronchamp als Sachkenner
ausgewiesen. Seine Aufgabe, diesmal für eine allgemeinverständliche
enzyklopädische Reihe zu schreiben, hat Henze
erstaunlich treffsicher gelöst. Die geforderte anspruchsvolle
Popularisierung bringt ihn höchstens im Blick auf die Malerei
in sachliche Schwierigkeiten. Die historische Herleitung der
„modeirnen christlichen Plastik" ist demgegenüber eindeutig
und knapp. Freilich hat das seinen Grund in der Sache selbst.
Im Unterschied zur Malerei blieb das christliche Thema in der
Plastik ja fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch unbekannt.
Noch in der Stilphase des Expressionismus war es eine zufällige
Randerscheinung. Henze kann sich folglich darauf beschränken,
auf 20 Seiten diesen Weg durch Allegorie, historisierende
Denkmalskunst, Naturalismus und Impressionismus bis za*
Gegenwart zu verfolgen. Breiten Raum indessen nimmt die
Darstellung zeitgenössischer Plastik ein. Mit dieser Disposition
entspricht Henze fraglos der hohen Bedeutung heutiger Plastik,
soweit sie „christliche" Gegenstände thematisiert, denn heute
sind „die Wälder von Standbildern der Apostel und der Heil''
gen. die im 19. Jahrhundert den Kirchem-aum verdunkelten, gelichtet
" (49). Das bestimmende Thema der „christlichen P'a^
stik" unserer Tage ist der Gekreuzigte geworden, der Dekret''
zigte im Bildtypus des Schmerzensmannes, wie er seit