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Ausgabe:

1963

Spalte:

773-775

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Wenzel, Paul

Titel/Untertitel:

Das wissenschaftliche Anliegen des Güntherianismus 1963

Rezensent:

Hennig, John

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

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Gott, der den Menschen zuerst geliebt hat und dessen Liebe S. XVIII aufgeführte Liste von Zeitschriften und Zeitungen die
den Menschen zur Gegenliebe verpflichtet" (S. 124). Obwohl Organe umfassen soll, die an der Güntherkontroverse teil-
Schwarzhueber die Bedeutung des Glaubens und des gnädigen genommen haben, so ließe sie sich leicht auf die mehrfache
Handelns Gottes am Menschen da und dort nachdrücklich be- Länge bringen. Der Güntherianismus scheint, wenn auch inhalttont
, bleibt er dennoch auf weite Strecken dem Anthropo- lieh nicht ganz zu Recht, in einer Tradition zu stehen, die sich
zentrismus von Leß verhaftet. Aber in der Ausprägung durch den deutschen Katholizismus von Febronius über Hermes
eines mehr oder weniger typisch aufklärerischen Anthropozen- und Ronge zu Frohschammer, Döllinger, Schell und Autoren
trismus bestehen große Unterschiede zwischen Leß und Schwarz- unserer Tage hinzieht und die gegenwärtig in gewissen Forde-
hueber und noch größere zwischen Schwarzhueber und seinem rungen an das Konzil Ausdruck findet. Die Stellung G.s in die-
Salzburger Kollegen und Gegner Danzer. ser Tradition ist dadurch bezeichnet, daß in dem Indexdekret

Bei Schwarzhueber prägt sich die Toleranz der Auf- gegen ihn die außergewöhnlichen Worte beigefügt wurden:
klärungszeit in einer durchaus rechtgläubigen und grundsatz- ..Auetor ingenue, religiöse ac laudabiliter se subjecit". — Es ist
festen Form aus. Er benützt nicht nur eine protestantische mehr ein historischer Zufall, daß G. der erste katholische Autor
Vorlage, sondern spricht auch ganz offen seine Bewunderung war, der sich mit dem Kommunismus auseinandersetzte,
für protestantische Theologen aus: „Auch habe ich hier alles Zu den Verdiensten W.s gehört die Entdeckung einer voll-
benützet, was ich Zweckmäßiges nicht nur bey katholischen, ständigen Güntherbibliothek und von 431 Briefen von Günthersondern
auch protestantischen christlichen Sittenlehrern habe ianern im Kloster San Paolo fuori le mura und von 74 Nachfinden
können; und ich hoffe nicht, daß mich ein Vernünftiger richten über die Güntherbewegung enthaltenden Briefen in
dieses Geständnisses halber verargen werde. Es ist bekannt, Beuron. In Verbindung mit der Güntherbiographie von Knoodt
daß unsere irrenden Brüder in der Moral am wenigsten von illustrieren diese Briefe die ungewöhnliche Bedeutung persön-
dem katholischen Lehrsysteme abweichen, und leider ist es liche-r Elemente, erfreulicher und unerfreulicher, um G. Für die
auch unläugbar, daß ihre berühmteren Sittenlehrer diesen Theil Theologiegeschichte am wichtigsten ist W.s Veröffentlichung
der Theologie ungleich gründlicher und nützlicher behandelt derBrevis Synopsis errorum qui leguntur in
haben, als manche der neueren Moralisten und Kanonisten, mit scriptis A. G., wohl 1953 verfaßt, eine Widerlegung der
deren Büchern man sich schon eine geraume Zeit her behelfen Behauptung, die Verurteilung G.s sei aus unzureichender Kennt-
mußte" (Vorwort zu „Praktisch-katholisches Religionshandbuch nis seiner Werke erfolgt. Weitere Dokumente aus dem Geheimfür
nachdenkende Christen", Band IV, Salzburg 178 5). archiv des Vatikans zu G. will W. noch veröffentlichen.

Die Studie von Peleman gibt einen guten Einblick in das Der erste Teil von W.s Werk behandelt G.s Leben und
geistige Ringen an der Salzburger Hochschule jener Zeit und Werke, der zweite seine Schule nach ihren geographischen
Weit darüber hinaus. Der Verfasser ist den Quellen gründlich Schwerpunkten (Wien, Bonn, Breslau, Bamberg, Augsburg, Trier,
nachgegangen, läßt sie unbefangen sprechen und kennt auch die Braunsberg, Tübingen etc.), der dritte sein „Lehr- und Kampf-
einschlägigen geschichtlichen Studien über die betreffende Zeit. System".

Bei dem einen oder anderen Werturteil kann man wohl geteil- Die fo]eemJe„ Anmerkungen zu W.s zweitem Kapitel sind
»er Meinung sein, z.B. über die Einstellung von Leß bezuglich nicht als Kritik gedacht, sondern als Hinweis darauf, daß mit
der Hcilsmöglichkeit von Juden, Mohammedanern und Heiden W. das Thema der Stellung des Güntherianismus in der Geistes-
js. 118 f.) oder bezüglich der Abschaffung der alttestamentlichen geschichte des 19. Jahrhunderts noch keineswegs erschöpft ist.
^esetze (S. 122). Aber überall merkt man, wie sehr der Ver- Unter den Anhängern G.s erwähnt W. nicht A.Berlage, der im
»*er darauf bedacht ist, sich auf jenes Mindestmaß an eigener Erscheinungsjahr seiner Dogmatik an G. schrieb: „Alles ver-
^cllungnahme zu beschränken, das zur Sichtung der geschieht- danke ich philosophisch Ihnen". W. Kaulich, V. Knauer,
"chen Gegebenheiten nötig erscheint. V. Kreutz und J. Sengler. Im Literaturverzeichnis, das von
i™ Bernhard Häring Güntheranhängern auch nicht rein güntherinaische Werke auf-
W.n.el, pBul: Das wissenschaftliche Anliegen des Güntherianis- SmÄ? ^1 Üft W- G « r tn e r Hebbel. Fre»nd).
m«s. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. f,'6,.Welt. lhIen Gegensätzen Geist und Natur
Essen: Ludgerus-Verlag 1961. XVII, 254 S., 1 Titelb. gr. 8° = '1852) und C. F. H o c k, „Cartesius und seine Gegner (1835).
Beiträge i Neueren Geschichte d. kath. Theologie, Bd. 1. DM28.-. ^ v'e'en von W. genannten Personen um G. wäre außer der
, Günther wurde von einem seiner Schüler als „der katho- ™J ,au* W ü r z b a c h heranzuziehen. Unter den Lexikon-
üsche Antipode von Hegel" bezeichnet. Daß er erst anläßlich «ber G erwähnt W nicht die von Knoodt (von G.
»eine, loo Todestages eine umfassende und unvoreingenom- *bst™ ^*h™V*57J"*?m)' u?.Z l*
*ene Würdigung erfährt, hat drei Gründe. Sein umfangreiches ^j^f rub" ™- au* Webers des spateren altka h. B.Werk
ist in einem zu jener Zeit zwar vielfach beliebten, aber 6*0 8; ..Geschichte der „eueren Philosophie (1873)), und
dem Gegenstand wenig zuträglichen weitschweifig Jean-Pauli- f°'ch;mt„essa„tlst die Behandlung G.s in der RGG
Menden Stil geschrieben (hier S. 180 ff.), dessen gezwungener J ™ • -Andra 2. Aufl. Fendt - und nicht Moog der altkath.
Humor wenig zu der Schärfe der Polemik paßt. Seine Lehre wur- Kr . w denJArt'^1 ?nO0<lt S*™b ~( ^ AufL Mar°n)-
de von 1857 an (Denzinger, Enchiridion no. 1655) £jter .de" Werken der Gunther,««.- waren ferner zu nennen
Schlich verurteilt und während der zweiten Hälfte des 19. bis f r1' 'h « Lehre von der Bestimmung des .Menschen
n, die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts fast ausschliesslich von 842> und Mertens „Hauptfragen der Metaphysik (l 840),
Altkatholiken vertreten. Nichtkatholische Betrachter anderer- ™* *w,de™e a" den von WA ?ar "wah"te" V ?1 k "
'ei* konnten sich allenfalls zu einer allgemeinen Anerkennung ? uYth.: »n Günthergegnern werden auch n.cht Hast, Denz.nger
?« Großartigkeit von G.s Unternehmen, die katholische Glaubens- £ Schmid, W. v. Schutz und die Protestanten Baur und
eh/e d"'ch das Medium des deutschen Idealismus (oderumge- £ob«* sowie, wenigstens nicht im Literaturverzeichnis die
kehrt) auszudrücken, kaum aber zu einer Beschäftigung mit von Diennger, Frings, H.tzfelder und Mattes
meinem System im einzelnen durchringen (immerhin widmete ihm a nt-

Uberweg-Oesterreich noch mehr als zwei Seiten). Unter der sekundären Literatur ist, da es nur wenige G.

, Heute ist der Güntherianismus am ehesten geistesgeschicht- a,,e>n gewidmete Studien gibt, J. Flegel „A. G.s Dualismus

'* zugänglich. G. stand mit einer ungewöhnlich großen Zahl vor» Geist und Natur, aus den Quellen dargestellt' (Breslau

bedeutender Zeitgenossen, nicht nur Theologen und Philoso- |8?°) zu erwähnen. Bemerkenswert ist die Würdigung G.s in

Pben, sondern auch Staatsbeamten und Künstlern, äußerlich oder v- pb. Gumposch „Die philos. Lit. der Deutschen" (1851),

jnnerlich In freundschaftlicher oder gegnerischer Beziehung. b. 511 und der Abschnitt über die Günthergegner in R o s k o-

K'eutgcn behauptete, daß zu einer Zeit die Hälfte derer, die vanys „Romanus pontifex" iv, 804-811. Hurters „No-

im katholischen Deutschland mit der Wissenschaft befaß- menclator", Reuschs „Index" und Grabmanns „Gesch.

*en, Giintherianer waren. G. und seine Schüler nahmen jede d. kath. Theol." sollten genannt werden. Ich konnte 1930 im

Gelegenheit wahr, in die Breite zu wirken; wenn die hier Archiv des altkath. Bischofs in Bonn die Unterlagen der