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Ausgabe:

1963

Spalte:

764-766

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Einleitung. Allgemeiner Teil. Die Zeit der Karolinger 1963

Rezensent:

Sproemberg, Heinrich

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763

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

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auch von Jesus aufs stärkste betont und geradezu als Maßstab
benutzt, nach dem er Moses' Gesetz beurteilt (Mc. 12, 28 usw.).
Mit dem Vergeltungsgedanken gehört es nicht zusammen. Es
ist bezeichnend, daß das Judentum der alten Zeit es kaum fertig
brachte, das Gebot der Nächstenliebe oder gar der Feindesliebe
ernsthaft zu verwirklichen. Das zeigen uns jetzt wieder die
Rollen von Qumran. Aber bereits das Gesetz fordert Nächstenliebe
(Lev. 19, 18)1

Ich wünsche dem Buche viele eifrige Leser. In einen kurzen
Text sind zahlreiche Probleme gebettet. Diese Fragen und
ihre rechte Beantwortung sind für unsere Zeit von besonderer
Wichtigkeit.

Ahrenshoop Johannes Le i p o 1 d t

Hessen, Johannes, Prof. D. Dr.: Augustins Metaphysik der Erkenntnis
. 2., neubearb. Aufl. Leiden: Brill 1960. X, 297 S. 4°. Lw. hfl.
18.—.

Die zweite Auflage des bekannten Werkes des Kölner
Philosophen folgt der ersten (1930) erst fast nach Ablauf einer
Generation. Grund genug, um ein neu geschriebenes Werk zu
erwarten; tatsächlich setzt sich der Verf. ständig mit den neueren
Forschungsergebnissen zu seinem Thema auseinander, hält
jedoch an allen Grundpositionen 6einer Konzeption fest.

Einleitend verfolgt H. den „geistigen Werdegang" Augustins
und kennzeichnet dessen Philosophie als „Synthese von
Piatonismus und Prophetismus", unter Hinweis auf seine
Arbeit „Platonismus und Prophetismus", München 195 52. Hier
sind viele wertvolle Beobachtungen zu verfolgen; bedauerlicherweise
verzichtet H. aber auf die Auseinandersetzung mit
solchen „Neuerscheinungen" wie Courcelle, Marrou oder
O'Meara, worunter besonders die oft betonte historische
Grundlegung des Buches leidet.

H. wendet sich dann dem „menschlichen Erkennen im allgemeinen
" zu und beleuchtet das anthropologische Problem bei
Augustin (hier fehlt eine Auseinandersetzung mit Dinkler).
Bei Analyse des Wahrheitsproblems stellt H. fest, daß Augustin
bereits Descartes' Fragestellung, die Begründung der Erkenntniswahrheit
, gelöst habe (S. 29). Dies klingt indes ahistorisch
und geht auch aus den zitierten Quellenstellen so nicht hervor.
Dann wird die Gleichung: personifizierte Wahrheit = Gott hergestellt
, womit die für sich bestehenden Ideen (die intelligible
Welt des Platonismus) zu Schöpfungsgedanken Gottes werden
(S. 37). Diese richtig gezeichnete Linie muß man wohl auch im
Zusammenhang mit der .egozentrischen Methode' Augustins
sehen, der eine .theozentrische' entspricht: Er ist von hier aus
zur Konzentration auf die Seele und auf Gott gezwungen,
während die Außenwelt über Gebühr zurücktritt (dies gilt
allerdings für die praxisgerichteten Schriften des Kirchenvaters,
insbesondere für die meisten Briefe und Sermone«, nicht).
Seine Philosophie ist eben nach Windelband „die Metaphysik
der inneren Erfahrung" (S. 51), die auf einem allerdings sehr
gewundenen Wege entwickelt wird; dies zeigt H. im ersten
Buch vor allem an der „Theorie der göttlichen Erleuchtung"
und im zweiten am Problem der mittelbaren Gotteserkenntnis
oder des augustinischen Gottesbeweises sowie am Komplex der
unmittelbaren Gotteserkenntnis (mystische Gottesschau).

H. faßt den Gottes- oder Veritas-Beweis in die Formel
intelligibilia = veritas = Deus und betont, daß der Fortschritt
von den incommutabiliter vera zur veritas incommutabilis
keinen Sprung aus der logischen in die ontologische Ordnung
bedeute: „Denn die incommutabiliter vera liegen bereits in der
ontologischen Ebene. Als etwas Umwandelbares sind sie ein
wahrhaft Seiendes" (S. 126). Eine Analyse der Geschichte des
augustinischen Gottesbeweises (Anselm, ältere Franziskanerschule
, Thomas, Descartes, Leibniz, Neukantianismus) schafft
die Voraussetzung für eine kritische Würdigung: H. betont vor
allem, daß man bei Augustin weniger von einem Gottesbeweis
als vielmehr von einer „rationalen Begründung des Gottesglaubens
" (S. 170) sprechen solle. Dementsprechend lehnt er
auch den von manchen Forschern geforderten kosmologischen
Gcttesbeweis für den Kirchenvater ab, dem er indes eine kos-
mologische Betrachtungsweise konzediert (S. 178).

Die schon berührte enge Verbindung von Gott und
Menschengeist ( = Seele) ist auch Voraussetzung der mystischen
Gottesschau bei Augustin. Worte wie „Noli foras ire, in
teipsum redi; in inferiore homine habitat veritas" (De vera
rel. 72) kennzeichnen den .Sachverhalt', daß Gott in der Seele
wohnt, wie umgekehrt die Seele in Gott ist. Gott ist dabei
„seinem Wesen nach erhaben über unseren Geist und ist ihm
andererseits doch in gewissem Sinne immanent. Die göttliche
Wesenheit ist sowohl eine superna als eine interna" (S. 191).
Einkehr in das Innere oder Emporsteigen auf der Stufenleiter
der Schöpfung lassen zur Gottesschau gelangen (S. 192), die
auch unmittelbar, als eine direkte Bewußtseinsberührung mit
Gott, erfolgt (S. 194). Es besteht dann nur noch ein Gradunterschied
zur visio beatifica. Das dritte Buch widmet H. einem
Vergleich der augustinischen und der thomistischen Lehre vom
menschlichen Erkennen. Er zeigt hier besonders die tiefgreifenden
Unterschiede und Widersprüche auf, die entstehen
mußten, als Thomas den Gegensatz zwischen Augustinismus
und Aristotelismus aus apologetischen Gründen einzuebnen
versuchte (S. 247 u. ff.). Im Hin und Her des Ontologisten-
streites wurde immer wieder — oft sehr verworren — auf die
„thomistische Interpretation der augustinischen Erkenntnistheorie
" zurückgegriffen (S. 284), die H. selbst natürlich ablehnt
.

So kann er abschließend im Anschluß an Geyser feststellen,
daß „zwischen der Illuminationslehre des hl. Augustinus und
der Erkenntnistheorie des hl. Thomas von Aquin . . . trotz der
Harmonisierungsbestrebungen des letzteren ein wesentlicher
Unterschied" bestehe, der vor allem durch den Gegensatz zwischen
einer mehr voluntaristischen und einer mehr intellektua-
listischen Denkart bedingt sei (S. 290 f.).

Halle/Saale Hans-Joachim D i e« n c r

Beranger, Louic: Sur deux enigmes du De Trinitate de Didymc
l'Aveugle.

Redierches de science religieuse LI, 1963 S. 255—267.
Diesner, Hans-Joachim: Gildos Herrschaft und die Niederlage bei
Theucste (Tebessa).

Klio. Beiträge zur Alten Geschichte 40, 1962 S. 178—186.
Margerie, Bertrandde: L'interet theologique du „De Mortalitate"
de Saint Cyprien.

Sciences Ecclcsiastiques XV, 1963 S. 199—211.
Re f o u 1 6, Francois: La distinetion „Royaume de Dieu-Vie eterncllc"
est-elle pelagienne?

Recherdies de 6cience religieuse LI, 1963 S. 247—254.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Jacob, Karl, Prof. Dr.: Quellenkunde der deutschen Geschichte im
Mittelalter (bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts). I.: Einleitung,
allgemeiner Teil, die Zeit der Karolinger. 6. Aufl., bearb. v.
H. Hohenleutner. II.: Die Kaiserzeit (911 — 1250). 5. Aufl.,
neubearb. v. H. Hohenleutner. Berlin: de Gruyter 1959/61-
127 S. u. 141 S. kl. 8° = Sammlung Göschen, Bd. 279 u. 280.
Je DM 3.60.

Die Neuauflage der altbekannten kleinen Quellenkunde ist
sehr fleißig gearbeitet. Der leider bereits verstorbene neue Bearbeiter
hat sich besondere Mühe gegeben, die neueste Spezial-
literatur heranzuziehen, worin ein bedeutender Wert dieser
Neuauflage besteht. Auch dieser Abriß stand vor der Aufgabe,
der völlig neuen Situation auf dem Gebiet der Quellenkunde
gerecht zu werden. Ursprünglich waren es in erster Linie die
mittelalterlichen Geschichtsschreiber, die darin behandelt wurden
. Je weiter nun die mittelalterliche Geschichtsforschung fort-
schritt, um so höher wurde die Bedeutung der Hilfswissenschaften
und auch der Nachbarwissenschaften für die Erkenntnis der
mittelalterlichen Geschichte. Dem mußte auch in der Quellenkunde
Rechnung getragen werden1. Bei der Neuausgabe der
grundlegenden Quellenkunde von Wattenbach haben wir zuerst

") Vgl. z. B. die Ausführungen von F. Vercautcren in Bd. VI der
Rclazionni des X. Internationalen Kongresses in Rom 1955, i.69f*
über die Notwendigkeit, die Geschichte unter ökonomischen, soziale11
und religiösen Gesiditspunkten insgesamt zu betrachten.