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Ausgabe:

1963

Spalte:

760

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Wolfram

Titel/Untertitel:

Das Wunder in der evangelischen Botschaft 1963

Rezensent:

Hegermann, Harald

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

760

tion nicht darauf zielt, „uns dieses Bild zu bewahren", denn
„ihr Zweck ist, uns in unfehlbarer Wahrheit die Verkündigung
der vom Herrn berufenen und mit seinem Heiligen Geist begabten
Zeugen durch die Kirche zu vermitteln" (S. 134). Jedoch,
diese Erkenntnisse, durch den ungeklärten Begriff der „unfehlbaren
Wahrheit" in 6ich mit ernsten Fragen belastet, werden
nicht so fruchtbar gemacht, daß in einem diakritischen Verfahren
die verschiedenen Linien der Erkenntnis der Wahrheit sichtbar
würden, sondern sie werden eingeschränkt durch die folgende
Behauptung: „Selbstverständlich erstreckt sich diese
Gabe der absoluten Zuverlässigkeit auch auf den historischen
Sinn und Aussagewert in den Fällen, wo die Hagiogra-
phen in diesem Sinn berichten wollen" — Wer stellt das
fest? — „Doch hier — Frage nach dem größten Gebot — scheint
ein socher Fall eben nicht vorzuliegen" (S. 134; vgl. auch S. 137,
Anm. 2 zum Johannes-Evangelium). Während uns in unserer
Arbeit die Erkenntnis vom kerygmatischen Charakter der Evangelien
und ihrer Überlieferung nach dem Sitz im Leben der
überliefernden und verkündigenden Gemeinde fragen läßt und
darum formgeschichtlich zu arbeiten zwingt, wobei die Frage
nach dem Anhalt der Verkündigung der Gemeinde an der
Wirklichkeit Jesu selbst uns in steigendem Maße begleitet, entsteht
bei B. eine zwischen den einzelnen Überlieferungen harmonisierende
Arbeitsweise, die zu hypothetischen Konstruktionen
und zu psychologisierenden Erwägungen führt statt zu
methodisch strenger Erörterung. Das macht weite Partien der
Arbeit beschwerlich lesbar. Daß sie mit großem Fleiß, reicher
Literaturkenntnis und umsichtiger Behandlung der Einzelprobleme
exegetischer Natur gearbeitet ist, sei ausdrücklich anerkannt.

B. erkennt zutreffend, daß die Überlieferungen von der
Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern verschiedene
Stadien widerspiegeln, die auf einen geschichtlichen
Ablauf hindeuten. B. bringt ihn bis zu einem gewissen Grade
in der Gliederung des Stoffes zum Ausdruck, die von dem
Ärgernis der Pharisäer ausgeht, Worte Jesu über und gegen die
Pharisäer sammelt, davon spricht, wie die Pharisäer Jesus versuchen
, um dann die letzten Auseinandersetzungen darzustellen
, nachdem vorher der Konflikt bei Johannes behandelt worden
ist. Der Zeit, in der Jesus die Pharisäer zu überzeugen und
um sie zu werben sucht und jede Provokation vermeidet, folgt
eine sich immer mehr zuspitzende Verschärfung der Gegensätze,
die bis zur Tötungsabsicht der Pharisäer gegenüber Jesus führt.
Zu diesem Zweck gehen die pharisäischen Gegner dazu über,
Jesus Fallen zu stellen und ihn zu beobachten. Hier tauchen
Probleme auf, auf die E. Stauffer in scharfsichtiger Weise in
seinem Aufsatz „Neue Wege der Jesusforschung" (Wissenschaftl.
Zeitschrift der Martin Luther - Universität Halle - Wittenberg
Ges.-Sprachwiss. VII, 2 (1958) S. 451—476) aufmerksam gemacht
hat, der von B. nicht mehr berücksichtigt werden konnte, der
aber ungleich schärfer konturiert als die oft unbestimmten Aussagen
Bs. B. spricht von einer „Zeit der Verhärtung". Ihr antwortet
Jesus mit der Weherede, während die vorhergehende
Frage nach der Davidssohnschaft den Grund der Verwerfung der
Pharisäer durch Jesus angibt, so in einer eigenartigen Historisierung
Beilner: „Zuerst wird das Versagen in der Glaubensfrage
aufgezeigt, nun die sittlichen Mängel" (S. 200). Doch auch
in dieser Zeit ist das Werben nicht aufgegeben, denn indem
Jesus in den Weherufen die Treue seiner Gegner gegen die
Vorschriften, Gewissenhaftigkeit und Eifer für den Gottcswillcn
hervorhebt, will er sie zur Umkehr rufen. B. kommt zu der
Feststellung, daß der geringe Erfolg des Erdenwirkens Jesu der
Gegnerschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten zuzuschreiben
ist; sie treiben zur Tötung Jesu, aber in der eigentlichen
Passionsgeschichte treten sie gegenüber der priesterlichen Gegnerschaft
zurück. Indem Jesus den Kampf gegen die Pharisäer aufnimmt
, kämpft er mit ihnen um sein Volk (S. 226). Die Frage
der Gegnerschaft zwischen Jesus und den Pharisäern ist eine
doppelte: sie ist einmal ein historischer Vorgang in der Geschichte
Jesu, und sie iet zugleich in der Auseinandersetzung
der judenchristlichen Gemeinde, die die Überlieferung mitformt,
ein kirchengeschichtlicher Vorgang. Diese beiden Momente müssen
schärfer auseinandergehalten und nebeneinander behandelt
werden, als dies bei B. geschieht.

Der Grund der Auseinandersetzung aber liegt nach B. in
der Verweigerung der Anerkennung des Anspruches Jesu durch
seine pharisäischen Gegner, ist also ein solcher der Christologie.
Da er dahin präzisiert wird, es 6ei der Anstoß an der Gottgleichheit
Jesu gewesen, der zu der Auseinandersetzung geführt
habe, muß das Bild des Geschehens notwendig verzeichnet werden
. Es ist gewiß richtig, daß, weil die pharisäischen Schriftgelehrten
sich als religiöse Autorität fühlten, sie der Vollmacht
Jesu widersprachen (S. 6); aber schon wenn diese Vollmacht als
messianisch bezeichnet wird, ohne daß der Begriff des Messiani-
schen geklärt wird, entstehen Fragen (vgl. S. 34). Wie in
Luk. 7, 39 f. „mit dem unendlich höheren Anspruch der Gottgleichheit
" geantwortet werde, bleibt undurchsichtig, denn das
ist kein exegetisches Ergebnis, sondern eine dogmatische Prämisse
. B. selbst kann sie nicht durchhalten, denn im gleichen
Zusammenhang spricht er von der nicht ausreichenden Gerechtigkeit
der Pharisäer, deren „zu wenig" in dem Mangel an Liebe
besteht. Das ist zutreffend beobachtet, an dieser Stelle muß eingesetzt
werden, denn aus dieser Kritik Jesu an seinen Gegnern,
die sich seinem Weg der Barmherzigkeit in den Weg stellen,
wächst heraus die Frage nach seiner Vollmacht, die dann allerdings
zu einem springenden Punkt wird. B. nennt S. 118 Überheblichkeit
der Pharisäer und das Beharren und sichere Ruhen
auf dem eigenen Heilsweg den „Urgrund der Auseinandersetzung
zwischen Jesus und den Pharisäern"; es wird also deutlich,
daß es eine Reihe von Gründen gibt, die einander zugeordnet
werden müssen, ohne daß man die Traditionen der synoptischen
Evangelien vom johanneischen Prinzip der Gotteinheit und
-gleichheit Jesu interpretieren müßte (S. 159).

Es wären eine Reihe von Einzelfragen zu stellen, Formulierungen
kritisch zu beleuchten — wie kann man z. B. von Jesus
als dem „absoluten religiösen Menschen" sprechen (S. 130) oder
von dem „später doch wieder zu leistenden Glauben an die Tatsache
der Auferstehung" (S. 179)? —, es muß genügen: Die Bedeutung
der vorliegenden Arbeit besteht darin, daß sie sich,
wenn auch vorübergehend, so doch deutlich, über theologische
Grundlagen katholischer Bibelwissenschaft ausspricht, das Material
zur Frage der Auseinandersetzung mit dem Pharisäat erneut
ausbreitet unter weitgehender Berücksichtigung der Literatur
und die einzelnen Stadien zu markieren sucht; die Lösungen
freilich, die gegeben werden, vermögen nicht zu befriedigen.

Eiicnsdi Waller (; r u n 4 in ■ n n

Herrmann, Wolfram: Das Wunder in der evangelischen Botschaft.

Zur Interpretation der Begriffe blind und taub im Alten und
Neuen Testament. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [ 1961 ]. 32 S. gr. 8°
= Aufsätze und Vorträge zur Theologie u. Religionswissenschaft,
hrsg. v. E.Schott u. H. Urner, H. 20. Kart. DM 1.80.

Zunächst zeigt H. im AT und besonders bei Deutero-
jesaja einen festen, übertragenen Gebrauch der beiden Begriffe
auf. Im Verstockungsgericht wird das Volk unfähig zu sehen
und zu hören, d. h. „Jahwes Tun und Reden zu verstehen und
zu erkennen" (11). Durch sein rettendes Eingreifen aber will
Jahwe „die Blinden zu Sehenden machen" (13), und dies gehört
auch zu dem Auftrag des Gottesknechtes (Jes. 42, 5— 7
u. Ö.). Im NT bildet die übertragene Verwendung der beiden
Begriffe „einen wesentlichen Bestandteil der Bildersprache" (17)-
Vor allem besteht an zentralen Punkten wie Matth. 11*1
vgl. Jes. 35,5; Luk. 4, 18 f. vgl. Jes. 61, 1 f. eine deutliche
Verbindung mit wichtigen Belegen des übertragenen Gebrauch«
bei Deuterojesaja. Hier wird das Heilswirken Jesu programma-
tisch beschrieben, und die Frage ist daher berechtigt, ob damit
nicht auch die eigentlichen Heilungsgeschichten, die an sich von
körperlich Blinden und Tauben handeln, ins Übertragene akzentuiert
werden. Wörtliche und übertragene Bedeutung sin»
jedenfalls in Joh. 9, 39 beisammen. Diese Sicht der Dinge >5t
durchaus zu erwägen. Die kleine, aber gehaltvolle Studie >st
jedenfalls ein interessanter Beitrag zum Gespräch.

HöblinKcn Harold II c fr r in nun