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Ausgabe:

1963

Spalte:

745-748

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Staatsverfassung und Kirchenordnung 1963

Rezensent:

Liermann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 10

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tischen Religion versagt bei strenger Prüfung jedes Kriterium,
mit dem man ihre Überlegenheit zu erweisen versucht, weil es
keine absoluten und zeitlosen Wertmaßstäbe für die Beurteilung
von Religionen gibt.

Die Frage nach der Bedeutung der israelitischen Religion
kann deshalb sinnvoll nur im Blick auf diese Religion als ganze
gestellt werden. Das bedeutet aber nach allem bisher Gesagten,
daß dabei zugleich und wesentlich die Geschichte dieser Religion
ins Auge gefaßt werden muß, und zwar nicht nur der Anfang
dieser Geschichte, sondern auch ihr Fortgang. Die Bedeutung
der israelitischen Religion liegt, kurz gesagt, darin, daß sie die
unerläßliche und grundlegende Voraussetzung für das Entstehen
und die Entfaltung der christlichen Religion darstellt. Das ist
eine zugleich historische und theologische Feststellung. Unter
historischem Aspekt besagt sie, daß eben nur an dieser einen
Stelle im Alten Vorderen Orient sich in einer ganz bestimmten
geschichtlichen Konstellation diese Religion herausgebildet hat,
die alle die Elemente enthielt, die für die Entstehung und Geschichte
der christlichen Religion grundlegende Bedeutung gewonnen
haben. Es ist kein bloßer geschichtlicher Zufall, daß
gerade im Bereich der israelitisch-jüdischen Religion sich das ereignete
, was zum Entstehen des Christentums geführt hat.
Denn nirgends anders im Bereich der altorientalischen Religionen
waren die Voraussetzungen dazu gegeben. Und es ist von
daher gesehen auch kein bloßer Zufall, daß die übrigen altorientalischen
Religionen versunken und der Vergessenheit anheimgefallen
sind, bis ihre Überreste nach Jahrtausenden vom Spaten
der Archäologen wieder ans Licht befördert wurden, während
die israelitische Religion eine ununterbrochene, lebendige
Geschichte gehabt hat, indem sie in der christlichen weiterlebte
"". Damit ist aber zugleich auch die theologische Frage gestellt
: Die Bedeutung des Alten Testaments für die christliche
Kirche läßt sich nicht unter Absehen von diesem geschichtlichen

*°) Das eigenartige Phänomen der doppelten Nachgeschichte des
Alten Testaments, der jüdischen und der christlichen, kann in diesem
Zusammenhang nicht behandelt werden, so wichtig und bedeutsam
die dadurch aufgeworfenen Probleme gerade heute wieder sind.

Zusammenhang einsichtig machen, ja, sie gründet in ihm. Das
Alte Testament ist für die christliche Religion ein wesentlicher
Bestandteil ihrer Geschichte und damit ihres Wesen6. Sie kann
sich nicht von ihm trennen, ohne damit ihre eigenen Wurzeln
abzuschneiden; und sie hat auch nicht die Wahl, ob sie in anderen
antiken Religionen in gleicher Weise ihre Wurzeln finden
will, denn diese Wurzeln liegen faktisch hier und nirgends
sonst. Die Aufnahme von griechisch-hellenistischen Traditionen
, die dann in verschiedenen Stadien erfolgt ist, tritt
als neues Element hinzu und zeigt, daß auch das Wesen des
Christentums nicht abgelöst von seiner Geschichte — die eine
religionsgeschichtliche Betrachtung erfordert — erfaßt werden
kann. Die israelitisch-jüdisch-christliche Religionsgeschichte bildet
einen unlösbaren Zusammenhang.

Und schließlich ein Letztes: die Frage nach der theologischen
Bedeutung des Alten Testaments wird heute vielfach in
der Form gestellt, ob und inwieweit es sich hier um Offenbarung
handelt. Nach allem, was hier ausgeführt wurde, kann
diese Frage nun gewiß nicht so beantwortet werden, daß an
einem bestimmten Punkt oder an verschiedenen Einzcl-
punkten in der Geschichte der israelitischen Religion sich Offenbarung
ereignet habe. Nur das Ganze dieser Geschichte kann
als Offenbarung Gottes verstanden werden*1. Im Blick auf die
altorientalische Religionsgeschichte bedeutet das, daß mitten in
ihr und aus ihr heraus sich in der israelitischen Religion Gott
offenbart hat; aber nicht abgelöst von der Geschichte der anderen
Religionen oder gar gegen sie, sondern so, daß sie alle
auf die eine oder andere Weise an diesem Geschehen beteiligt
sind und ihren Beitrag dazu geleistet haben. Die Offenbarung
Rottes in der Geschichte Israels und seiner Religion ist unlösbar
verknüpft mit der Geschichte und Religionsgeschichte des
Alten Vorderen Orients; aber sie geht nicht darin auf, sondern
führt aus ihr heraus auf die weitere Geschichte der Offenbarung
hin.

) Vgl. dazu W. Pannenberg (Hrsg.), Offenbarung als Geschichte,
!'6i (1963J); K. Koch, a.a.O.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN . „. . ff ( A , _ c .

' 2. Heinz Brunotte wirft in seinem Aufsatz „Sacerdo-
'Sniend, Rudolf:] Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe tium und Ministerium als Grundbegriffe im lutherischen Kirchenfür
Rudolf Smcnd zum 80. Geburtstag am 15. Januar 1962, hrsg. v. recht" die Frage auf, „ob und wie sich die göttliche Einsetzung
K Hesse, S. Reicke, U. Scheuner. Tübingen: Mohr 1962. des Amtes bei Luther mit seiner Lehre vom allgemeinen
"I, 466 S. gr. 8°. Lw. DM 54.-. Priestertum vereinigen lasse". Obwohl dem sacerdotium omnium
Die Festgabe für den führenden deutschen Rechtsgelehrten mit dem ministerium dieselbe Aufgabe, die Verkündigung,
Rudolf S m e n d, dessen tiefgründigen Arbeiten die Jurisprudenz übertragen ist, ist eine klare Scheidung zwischen beiden mög-
Inipulse von bleibendem Wert zu verdanken hat, enthält, wie lieh. Brunotte sieht sie in der vocatio zur öffentlichen
es der Arbeitsrichtung des Jubilars entspricht, Beiträge auf dem Wortverkündung, die allein dem ministerium gegeben ist, wäh-
Gebiet der Allgemeinen Staatsichre, des Staatsrechtes und des rend die Inhaber des allgemeinen Priestertums „bei Luther hin-
Kirchenrecht6. In der vorliegenden Besprechung werden nur die sichtlich ihrer Verkündigungsbefugnis auf den nichtöffentlichen
kirchenrechtlichen Arbeiten behandelt. Sic dürften für den Bereich beschränkt sind. ... Alle gläubigen Christen sind sacer-
Lescrkreis dieser Zeitschrift von besonderem Interesse sein. dotes, . . . Amtsträger (des Amtes als göttlicher Stiftung) . . .

Ein von den Herausgebern in den Teil „Staatsverfassung" aber nur die rite vocati". Daraus ergibt sich die Notwendigkeit
^"Veordnctcr Aufsatz von Richard Bäum Ii n „Staatslehre und der Unterscheidung zwischen Kirchenämtern, die unmittel-
K'rchenrcchtslchre, über gemeinsame Fragen ihrer Grundproble- b a r der Wortverkündigung dienen, und solchen, die dazu nicht
matik" berührt beide Gebiete und ist deswegen gleichfalls in berufen sind. Zu den ersteren gehören alle geistlichen Ämter
dcr vorliegenden Besprechung zu berücksichtigen. Er kann, eben- im engeren Sinne, aber auch die Ämter der Lektoren, Katechese
wie die übrigen neun rein kirchenrechtlichen Beiträge aus ten usw., zu den letzteren Kirchenvorsteher, Synodale, Laien-
*jaurngründen nur kurz charakterisiert werden, obwohl er gleich mitgliedcr kirchenleitender Organe, Kirchenbeamte und -ange-
den anderen einschlägigen Arbeiten einer ausführlichen Würdi- stellte aller Art. Brunotte erhebt für die kirchenrechtliche Praxis
gUn8 wert wäre. der Gegenwart die Forderung, daß diese klare, auf reformato-
1- Bäum 1 in hält mit Recht „ein beziehungsloses Neben- tische Grundbegriffe zurückgehende Unterscheidung in der Geeinander
von Staatslehre und Kirchenrechtslehre" - trotz aller serzgebung der lutherischen Kirchen, insbesondere in ihrem
£ci'te so sehr betonten Eigenständigkeit auch des evangelischen Verfassungsrecht, berücksichtigt werde.

K|rchenrcchts - für nicht möglich. Er sucht und findet gemein- 3. Der Beitrag von Hans Dombois „Historisch-kritische
*a,nc „Strukturmomentc" kirchlichen und weltlichen Rechts in Theologie, Recht und Kirchenrecht" verlangt vom Leser inten-
dcr Geschichte der beiden Rcditsgcbicte. Sic berühren sich so sives Mitdenken. Er geht davon aus, daß „von jeher im Zen-
stark, weil sie aus einer historisch gegebenen Schidcsalsgemcin- trum der Schriftauslegung und des theologischen Denkens Rechtsschaft
von Kirche und Staat herausgewachsen sind. Das führt begriffe gestanden haben", und daß dieser Sachverhalt im Be-
J* dem Ergebnis, daß trotz aller Eigenständigkeit kirchlicher reiche der heutigen historisch-kritischen Theologie, insbeson-
Ordnung nie die „Herausnahme des Kirchenrechts aus dieser dere bei ihren beiden markanten Vertretern, Rudolf Bultmann
Zeit" realisiert werden kann und darf. und Emst Käsemann, „eine dramatische Zuspitzung" erfah

ren