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Ausgabe:

1963

Spalte:

696-697

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Baden, Hans Jürgen

Titel/Untertitel:

Gott ist im Detail 1963

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 9

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kämpfen gilt. Der Ketzer ist vielmehr „das Salz, ohne das die
Kirche ihre Kraft einbüßen würde" (S. 128).

Holm betont, daß der Protestantismus unablösbar mit
einer traditionskritischen Einstellung verbunden ist, die sich bei
der theologischen Arbeitsmethode darin zeigt, daß von der
Exegese und dem wissenschaftlichen Wahrheitsbewußtsein her
sowohl Dogmenkritik als auch Schriftkritik betrieben werden.
Ein Beispiel für die letztere ist die Anwendung des Mythosbegriffes
, definiert als „Metaphysik, welche die Form der
Historie angenommen hat" (S. 186), auf biblische Texte. Holm
betrachtet Bultmanns Entmythologisierungsprogramm als ein
wissenschaftlich legitimes Anliegen (vgl. S. 246) und verteidigt
es gegen den Einwand, daß der Mythos die Sprache der Religion
sei und die Entmythologisierung daher zur Auflösung der
Religion (bzw. des Christentums) führen müsse. In Abweichung
von Bultmanns Terminologie schlägt Holm vor, die Mythen
als „Symbolrede" aufzufassen. „Die Entmythologisierung ist
eine Notwendigkeit, wenn man die Mythen als Berichte wirklicher
Ereignisse versteht, aber ziemlich überflüssig, wenn die
Mythen von vornherein als Symbolrede betrachtet werden"
(S. 190).

Es scheint jedoch fraglich, ob damit das Entmythologi-
sierungsproblem einer Lösung wirklich näher gebracht worden
ist. Denn der in einzelnen mythischen Texten vorliegende Anspruch
, als Bericht historischer Ereignisse zu gelten, wird ja
de facto nicht nur durch den Vollzug der Entmythologisierung,
sondern auch durch die Bezeichnung des betreffenden Textes
als „Symbolrede" zurückgewesen. Diese Schlußfolgerung ergibt
sich aus den Prämissen des Verfassers, der zwischen Symbol
und Wirklichkeit unterscheidet und mit dem Begriff der
„Symbolrede" sagen will, daß es sich „nicht ... um historische
Fakten, sondern nur um ideologische Wertungen" handelt
(S. 190). Wie Holm selbst zugibt, impliziert die Bezeichnung
eines Textes als „Symbolrede" seine Entmythologisierung.
Wenn dies aber der Fall ist, wird die Entmythologisierung ja
nicht „überflüssig", sondern das Problem verlagert sich auf die
Frage, welche Texte unter den Begriff der „Symbolrede" fallen
und wie diese Texte zu deuten sind. Die Deutungsfrage kann
nach Holm nicht definitiv und mit objektiven Kriterien entschieden
werden. „Ein Mythos kann in einer bestimmten
Periode als Symbolform für das Unbedingte wohlgeeignet sein,
während er zu anderen Zeiten und unter anderen Verhältnissen
dazu als absolut ungeeignet betrachtet werden kann und dies
bedeutet, daß er seinen ,Sitz im Leben' verloren hat" (S. 192).

Bedenken rufen m. E. die Ausführungen über die Escha-
tologie hervor. Daß Holm die neutestamentliche Naherwartung
als durch den Geschichtsverlauf widerlegt betrachtet und die
futurische Eschatologie wegen ihres mythisch-apokalyptischen
Charakters ablehnen würde, war zu erwarten. Stimmt er in
dieser Hinsicht mit Bultmann weitgehend überein, so vermeidet
er jedoch dessen Lösungsversuch eines Rückverweises von
der Universalgeschichte auf die Geschichte des Individuums.
Den kritischen Erwägungen Holms fällt letztlich auch die individuelle
Jenseitseschatologie zum Opfer. Als Resultat ergibt sich
schließlich eine agnostische Haltung, der die Ewigkeitshoffnung
fehlt, weil sie die Faktizität des ewigen Lebens weder bejahen
noch verneinen will (vgl. S. 450).

Holms Darstellung, die hier und da den dänischen Humor
erkennen läßt, zeichnet sich durch einen klaren und eleganten
Stil aus. Sie erfüllt die Ansprüche, die man an ein gutes Lehrbuch
zu stellen pflegt und ist in besonderem Maße dazu geeignet
, die gebildeten Laien mit wichtigen Grundgedanken des
protestantischen Christentums vertraut zu machen. Auch wenn
man mit Holm in der Beurteilung mancher theologischer Probleme
und dogmatischer Sachverhalte nicht einig ist, stellt doch
seine Dogmatik eine beachtliche Leistung dar, die von hoher
intellektueller Redlichkeit zeugt. Es wäre wünschenswert, daß
sein Werk durch eine Übersetzung auch dem deutschen Leserkreis
zugänglich gemacht würde.

Laad Gottfried Hornig

Baden, Hans Jürgen: Gott ist im Detail. Gütersloh: Gerd Mohn
[1962]. 213 S. 8". Lw. DM 14.80.

Man freut sich des herzhaften Plädoyers für das ,Detail'.
Daß da jemand gegen alle Großspurigkeit im Reden und Denken
zu Felde zieht, gegen alles Konstruieren von ,oben' Sturm
läuft, um dadurch dem Einzelnen, Besonderen, dem Kleinen und
Einmaligen gerecht zu werden, das gewinnt nicht nur unsere
lebhafte Sympathie, sondern darf für sich in Anspruch nehmen,
etwas Wichtiges, geradezu Nötiges, auszusagen. Dies um so
mehr, als in der Darstellung sichtbar wird, wie eine Ehrenrettung
des Detail zu einem Rettungswerk an unserem ganzen
Denken werden kann, weil dieses die Wirklichkeit des Seienden
überhaupt und insbesondere des Menschen selbst verfehlt,
wenn es über Prinzipien und Ideen die konkrete Einmaligkeit
innerhalb der Schöpfung übersieht.

Der Verfasser gliedert seine Darstellung übersichtlich, indem
er uns zuerst mit der ,Welt des Detail' konfrontiert und
dieses dabei als Baustein der Erfahrung zur Geltung bringt, um
zugleich den idealistischen, religiösen, ja, auch künstlerischen
Verrat am Detail zu geißeln. In einem zweiten Teil geht es um
eine .religiöse Rechtfertigung' des Details, die durch eine besondere
Erörterung der Schöpfungslehre, der Flei6chwerdung
Gottes und eines mystischen Glaubensverständnisses geleistet
werden soll. Das Ganze wird in einer Sprache geboten, deTen
Glanz, Wendigkeit, ja, Schmiegsamkeit und darum Ausdrucksfähigkeit
Bewunderung erregt und so ein vorzügliches Instrument
darstellt, die oft tief eindringenden und eindringlichen
Gedanken des Verfassers funkelnd, in einem sprühendem Lichte
vor uns auszubreiten. Manchmal wird man freilich das Gefühl
nicht los, die Freude an dieser Kunst nehme das Denken in
ihren Schlepp.

Denn dem Denken wird einiges zugemutet. Schon beim
Sprung vom .Trost der Dinge' (S. 133) zum .Detail' als einer
.personalen Kategorie' (145) muß man trotz der sehr schönen
Beschreibung der Personhaftigkeit menschlicher Existenz darauf
verzichten, eine Erklärung für den Übergang von Sache zu
Person zu bekommen. Denn so wichtig die vielen und besonderen
Details für die Einmaligkeit der Person sind — liegt Geheimnis
und Eigentlichkeit des Menschen in seiner Detailliertheit
? Nun wird aber noch mehr in diesem Buche angezielt,
nämlich eine .Theologie des Detail' (8 3)! Insoweit der Verfasser
es versteht, die Wichtigkeit des Detail in der Wirklichkeit
der Schöpfung herauszuheben, wird man ihm gerne folgen, auch
wenn man wieder bei einem allzu selbstverständlichen Übergang
, nämlich den von einer Rede von der ,Güte Gottes' und
der von der ,Güte des Geschaffenenen' (118) stutzig werden
möchte. Vor allem aber bleibt wieder die Antwort aus, warum
Gott nur im Detail sei. Warum ist er nicht auch im Kosmos,
oder in jenem .Umgreifenden', warum ist er nicht im Makrokosmos
, wenn er im Mikrokosmos ist? Sobald man diese Frage
stellt, will einem die eifrige Verdammung allen Pantheismus
und Panentheismus (89) doch etwas vorschnell erscheinen, einfach
, weil sich beide von sonstigen Aussagen des Verfassers her
recht nahelegen. Oder liegt die Antwort in des Verfassers
Beschwörung der Heischwerdung Gottes (139 ff.)? ,Gott offenbart
sich im Detail, soll heißen in der Gestalt, darüber hinaus
in der Geschichte des Jesus von» Nazareth. Jedes Stück dieser
Geschichte — jedes Detail — ist durchtränkt von der Präsenz
der Offenbarung' (163/64). Aber dann erhebt sich aufs neue
die Frage: wird nun jedes beliebige Detail innerhalb der Schöpfung
von dieser Offenbarung her so qualifiziert, daß ,in' ihm
,Gott' ist?

Statt einer Antwort werden wir auf den .gnostischen Blick
verwiesen, denn dieser .gewahrt am Grunde des Details den
Plan des Ganzen' (71), was da allerdings auf die Wirklichkeit
de6 Seienden gemünzt ist und als We6enseigentümlichke>t
künstlerischer Erkenntnis bezeichnet wird. Später wird er allerdings
ausdrücklich mit dem christlichen Glauben identifizier
(161), der seinerzeit wieder als ,Optik des christlichen ^n0StK
kere' (121) umschrieben werden kann. Glaube ist demnach
Schau, er enthält als .christliche Gnosis eine neue Optik e