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Ausgabe:

1963

Spalte:

680-682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Ullmann, Walter

Titel/Untertitel:

Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter 1963

Rezensent:

Petry, Ludwig

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679

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 9

680

KIHCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, hrsg. v. K. D.
Schmidt u. E.Wolf. Band 2, Lfg. E: Geschichte des Frühmittelalters
und der Germanenmission. Von Gert Haendler. —
Geschichte der Slavenmission. Von Günther S t ö k 1. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1961]. IV, 91 S. gr. 8°. DM 12.60.

Die Frage nach der Periodengrenze zwischen Spätantike und
Frühmittelalter ist in der letzten Zeit viel durchdacht und verschieden
beantwortet worden. Für die Kirchengeschichtsschreibung
, die die Bekehrung der Germanen zum Christentum in
ihren Zusammenhängen sehen will, ist es auf jeden Fall ein
vertretbarer Standpunkt, wenn G. Haendler im Anschluß an
K. D. Schmidt davon ausgeht, daß „die Christianisierung der
Germanen. . . kirchengeschichtlich die Anfangsepoche des Mittelalters
" bildet, freilich auch in Kauf nehmen muß, daß die Anfänge
dieses Bekehrungsprozesses sich noch völlig im politischen
und kulturellen Rahmen des Imperium Romanum und in Zeiten
abspielen, die der Profanhistoriker keineswegs schon zum
„Mittelalter" rechnen darf und die auch das vorliegende Handbuch
dem 1. Bande, der die Antike behandelt, zuweist. So gliedert
H. seinen Beitrag in zwei Abschnitte: „Die Begegnungen
zwischen Germanen und Christentum im beginnenden Mittelalter
" und „Die Kirche im Zeitalter der Karolinger und der
Ausgang der Germanenmission", wobei mit der Christianisierung
und kirchlichen Organisation Skandinaviens über die
Karolingerzeit und damit über die herkömmliche Periodengrenze
des Frühen Mittelalters hinaus bis ins 12. Jahrhundert vorgegriffen
wird.

Für seine Aufgabe war H. wohl vorbereitet durch eigene
Arbeiten wie sein Buch über „Epochen karolingischer Theologie
" (1958) und Aufsätze zur Geschichte der Idee des päpstlichen
Primats („Die drei großen nordafrikanischen Kirchenväter
über Mt. 16,18-19", ThLZ 1956, S. 361-364; „Lateinische
Auslegungen zu Joh. 21, 17", in: Festgabe für Rudolf Hermann,
Berlin 1957, S. 78—92). So liest man mit besonderem Interesse
seine Darstellung der Karolingerzeit und namentlich ihrer
Theologie, freut sich aber auch allgemein über die wohlausgewogene
knappe Darstellung etwa Wulfilas und des Arianismus
oder der Mission in Deutschland. Dabei wird die Kirchengeschichte
nicht isoliert, sondern bei aller Wahrung ihres eigenen
Standpunktes zu ihrem Vorteil immer im Zusammenhang mit
der allgemeinen Geschichte gesehen. Die durchgehende Heranziehung
auch archäologischer und kunstgeschichtlicher Quellen
sei eigens hervorgehoben.

Andererseits lag die Aufgabe des Vf. nicht eigentlich auf
historiographischem Gebiet. Vielmehr galt es, die fast unübersehbar
angeschwollene Menge der Forschungen zur kirchlichen
und weitgehend auch zur profanen Geschichte kritisch zu
sichten und zusammenzufassen. Technisch ist H. dabei so verfahren
, daß er den einzelnen Kapiteln informierende Abschnitte
über Quellen und Literatur, oft geradezu kleine Forschungsgc-
schichten, voranstellte und am Schluß in Anmerkungsform Hinweise
auf Speziallirerratur und strittige Einzelfragen folgen
ließ. Der Leser erhält so eine vorsichtig abwägende Darlegung
des Forschungsstandes. Die reichhaltigen bibliographischen Angaben
sind dabei so eng mit dem Text verwoben, daß dieser —
freilich nicht immer zum Nutzen seiner Lesbarkeit — gelegentlich
den Charakter einer bibliographie raisonnee annimmt. So
ist eine Forschungsbilanz zustandegekommen, die dem Studierenden
, aber auch dem Forscher bei seiner Arbeit wertvolle
Dienste leisten wird.

Auch der Kölner Ordinarius für osteuropäische Geschichte,
Günther Stökl, hatte bei 6ciner Darstellung der Slavenmission
beachtliche Mengen von Literatur zu bewältigen. Die heidnische
Religion und die Bekehrungsgeschichte der Slaven liegen
weit mehr im Dunklen als die der Germanen. Die Schwierigkeiten
der kritischen Auswertung der wenigen Quellen sind daher
groß, und diese Auswertung hat lange darunter gelitten,
daß konfessionelle Gegensätze von Katholiken und Orthodoxen
— etwa in der Frage nach Kyrill und Method — zu Divergenzen
in der Auffassung führten, die auch heute noch nicht ganz ausgeglichen
sind, während andererseits durch die sowjetische Geschichtsschreibung
neue Streitfragen aufgeworfen wurden. So
wird man es dankbar begrüßen, daß H. nun eine sorgfältig
fundierte Gesamtdarstellung der Slavenmission vorgelegt hat.
Beginnend mit den „Voraussetzungen und Anfängen" im 8.
Jahrhundert, kommt er über „Die Slavenlehrer Kyrill und
Method" zur „Bekehrung der einzelnen slavischen Völker":
Bulgaren und Serben, Ostslaven (Russen), Tschechen, Polen,
Elb- und Ostseeslaven. Man wird sagen dürfen, daß schon die
Zusammenfassung eines so großen und in sich nicht einheitlichen
Fragenkomplexes ein hohes Verdienst des Vf. bleiben
wird. Kleinigkeiten wie die, daß die Verleihung des Patricius-
Titels an Boleslaw Chrobry von der neueren Forschung bestritten
wird und daß man Bamberg nach den Forschungen von
E. Frhrn. von Guttenberg nicht mehr ohne Einschränkung zu
den Missionsbistümern wie Magdeburg, Brandenburg usw. rechnen
darf, wären bei einer Neuauflage leicht zu korrigieren. Aber
entscheidend bleibt die zuverlässige Darstellung des Herganges
der Slavenmission, die bei aller Knappheit den Detailfragen
gerecht wird — vgl. z. B. die Darlegung des Status quaestionis
der Entstehung der glagolitischen Schrift — und die andererseits
auch dem Zusammenhang zwischen den einzelnen Missionsgebieten
(z. B. Böhmen und Polen im 10. Jh., oder Mähren und
Bulgarien) nachgeht und bei der Abwägung byzantinischen und
westlichen Einflusses in Rußland ihre Akzente knapp und
sicher zu setzen weiß. Man wird nach dem verheißungsvollen
Auftakt von Haendler und Stökl das Erscheinen der nächsten
Lieferungen des Mittelalter-Bandes mit Spannung erwarten
dürfen.

Tübingen Heinz Lowe

Uli mann, Walter: Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter
. Idee und Geschichte. Aus dem Englischen übertragen v.
G. Möser-Mersky. Graz-Wien-Köln: Styria [i960]. XLIII,
682 S. 8°. Lw. DM 38.50.

Fünf Jahre nach der englischen Erstausgabe („The Growth
of Papal Government in the Middle Ages") liegt dieses viel
erörterte Buch des Kirchenhistorikers in Cambridge in einer
vorzüglichen Übersetzung von Gerlinde Möser-Mersky vor; damit
haben auch jene deutschen Leser, welche für die Kenntnis
der Gedankengänge und Thesen Ulimanns bisher auf Anzeigen
in Fachzeitschriften1 und auf U.s temperamentvollen Einspruch
gegen F. KempP angewiesen waren, die Möglichkeit unmittelbarer
und ungekürzter Bekanntschaft mit diesem materialgc-
sättigten und — bei aller Anfechtbarkeit — lehrreichen Werk.
Die deutsche Ausgabe hat zugleich den Vorzug vor der
englischen, daß der Verf. in einem breiten Vorwort Stellung zu
den inzwischen vorgebrachten Bedenken und Einwänden nehmen
und seine Erkenntnisse teils modifizieren, teik präzisieren
konnte; ein zweiter Vorzug ist da6 einfühlsame Geleitwort des
Wiener Mediävisten Heinrich Fichtenau, der auf die spätmittelalterlichen
Spezialstudien U.s hinweist und sein Vorgehen als
einen „dritten Weg" zwischen historisierender und metahistorischer
Lösung des Problems vorstellt.

Die Absicht des Verf. war es, „die Entwicklung der päpstlichen
Regierungsautorität zu verfolgen", und zwar mit den
zeitlichen Grenzmarken Kaiser Gratian (Ende des 4. Jh.) und
Magister Gratian (Mitte des 12. Jh.). Er weiß um den Mangel,
daß seine Darstellung erst hinter Augustin einsetzt, und erhebt
nicht den Anspruch, eine Geschichte des mittelalterlichen Papsttums
oder der mittelalterlichen Kirche zu bieten: es geht ihm
vielmehr um „die Entwicklung deT Grundprinzipien, auf denen
die Regierungsautorität der römischen Kirche im Mittelalter
beruhte". Der juristische Tatbefund des Vicarius-Christi-Erbes,
das jeder Papst als Nachfolger des Apostels Petrus antritt, hat
für U. fünf Konsequenzen: 1. Die Kirche konnte nur mit
Mitteln des Rechts ihrem Ziel näher gebracht werden. 2. AI«

') Ohne Ansprudi auf Vollständigkeit seien genannt: H. M-
Klinkenberg in der Zeitschr. f. Rechtsgesch., Kanonist. Abt. 43, 1956.
S. 417-424, G.Opitz im Deutsch. Ardi. 13, 1957. S. 572 f., F. Kcmpf
in „Miscellanea Historiae Pontificiae" 21, 1959, S. 117 — 169 und
Th. Mayer in der Hist. Zeitschr. 192, 1961, S. 646—648.

') In der Hist. Zeitschr. 191, i960, S. 620—624.