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Ausgabe:

1963

Spalte:

658-659

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die hellenistische und römische Zeit 1963

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 9

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grief." Der Historiker brauche eine andere Analyse und Defini- schnitte über den Kosmos und die Tierkulte hingewiesen. Das
tion des Religiösen. Verständnis der „alten Religionen" (H.-H. von Veltheim nennt
Brede Kristensen unterscheidet hierbei zwei Typen religiöser sie in seinen großen Asienbüchern die Religionen des ungeteilt-
Orientierung: „alt" und „modern". Alt ist das Grunderlebnis offenen Lebens) ist wirklich erstaunlich. Auch die neuesten
der antiken Völker vor der in ihnen beginnenden rationalisti- Werke von Jean Gebser weisen ja auf die Notwendigkeit hin,
sehen Aufkärung: das Bewußtsein, daß die Transzendenz in uns bei der dringenden Notwendigkeit des Verstehens außer-
die Immanenz hineinrage, daß wir 6tändig von Mysterien um- europäischer Völker von unseren rationalistischen europäischen
geben seien. Diese Auffassung überlebt z. B. auch die sophi- Denkschemata zu lösen, um die eigenartige, völlig anders
stische Aufklärung in der Antike und läuft neben allen orientierte Religiosität der auch für ihre immanenten Haltungen
Rationalisierungsprozessen nebenher, sie beherrscht das Den- ganz in der Transzendenz verwurzelten und von ihr umgebenen
ken des Mittelalters bis zur Hochscholastik, wo der aristote- Völker neu sehen zu lernen. Brede Kristense« ist mit einer
lische Denktyp und damit eine neue Rationalisierung die besonderen Divinationsgabe gerade für diese in rationaler
Oberhand gewinnt. Es entsteht das moderne Bewußtsein der Begrifflichkeit schwer wiederzugebenden Sachverhalte in seinem
Dominanz und Eigenständigkeit menschlicher Ratio, die die Werk als Bahnbrecher vorangegangen. Daß so etwas möglich
Natur mehr und mehr beherrscht. Aber ist nicht heute auch war, deutet vielleicht an, daß auch in unseren Kultur- und
wieder eine Ahnung unerkennbarer irrationaler Lebenstiefen in Glaubenskrisen sich ein solcher Wandel anbahnt. In der zwei-
der Grundlagenkrisis moderner Wissenschaft im Kommen? Mo- ten Hauptabteilung „Anthropologie" ist es besonders der Ab-
derne Naturwissenschaft fragt, was ist Kraft, Energie usw.? schnitt über die „Seele" und das „Lebensgesetz des Menschen",
Sind nicht Schwerkraft oder Zentrifugalkraft neue mythologische die aufschlußreich sind. Wie schon in der „Kosmologie" wird
Ausdrücke, die über diese Immanenz rationalen Verstehens hier die eigenartige Konzeption der „alten" Völker vom Leben
hinau6weisen ? Aber selbst wenn wir heute wieder einen neuen als einer mystischen Energie und schöpferischen Kraft, die auf dem
mysterienhaften Seinsgrund zu ahnen scheinen (z. B. der Zoo- Walten rätselhafter transzendenter Mächte, die unser hiesiges
löge Portmann: Je weiter wir in der Wissenschaft fortschreiten, Leben in jedem Augenblick bestimmen, beruhen, herausgear-
desto mehr sind wir von Rätseln umgeben; vgl. auch Pascal: beitet. Es wird bei der Lektüre immer mehr die Ahnung spür-
Mit wachsendem Wissen wächst auch das Nichtgewußte und bar, daß es sich bei den religiösen Orientierungsweisen „alt"
also die Notwendigkeit des Glaubens), wir erleben im Unter- und „modern" um zwei subtile nebeneinandergehende Seelen-
schied zum Typ der religiösen Orientierung alter Kulturen vor- haltungen handelt, bei denen die irrationale in den europäisch-
läufig immer noch den mystischen Seinsgrund als ein und technischen Kulturen in den Hintergrund gedrängt wurde
denselben, können generalisierend ihn immer wieder nur (gleichsam als „primitiv" verdrängt und wie beim Sieg des
auf denselben Gott zurückführen, der im Grunde schon von Patriarchats über das Matriarchat abgewertet), während bei den
rationalen Begriffen geprägt ist. Nicht so der gänzlich anders noch kulturträchtigen außereuropäischen Völkern diese urgeartete
religiöse Orientierungstypus etwa des Polytheismus, sprüngliche religiöse Seinshaltung noch ihr Recht behauptet. Für
den unüberwindliches modernes Mißverstehen als „primitiv das von uns gar nicht mehr vorstellbare In- und Miteinander
betrachtet. Er hat genau solchen Eigenwert wie der Mono- von Jenseits und Dieseits in jedem Lebensvollzug liefert auch
theismus. Er ist Ausdruck für eine legitime Gläubigkeit, die das Kapitel über den Tod und das über das soziale Leben eineine
Fülle numinoser Erlebnisse nicht wie bei uns generalisiert, drucksvolle Beispiele.

sondern jedes auf einen anderen Bereich autonomer göttlicher Bei dem Hauptabschnitt über den Kultus kommt er einSubstanzen
zurückführt. "Polytheism is the conception ot the leitend noch einmal auf das „Heilige" von Rudolf Otto kritisch
divine which corresponds to the infinite vanety in the mystery zu sprechen. Es sei vielmehr umgekehrt zu fragen: Was ver-
of being. . . This pluralistic notion of the mystery of hie s anlaßte dig a]ten bestjmmte Zdtenj Bilder Qrte al>
expressions is induced by the religious sense of nature, a sense heilig herauszuheben? Nur so kann man sich der Seelenhaltung
which the Ancients had very strongly but which we have lost. dieser >a]ten.. Frommi keit wenigstens approximativ nähern.
D.ese Religiosität umfaßt sowohl Kosmologie wie Anthropo- Die vorgefaßten ß jffe unserej. „modernen« rationalisierten
og.e denn in beiden Bereichen zeigen sich göttliche■ Energien Frömmigkeitstypus können uns den Zugang nur verbauen,
(des Todes und Lebens z.B.) wirksam. Eine andere Welt dringt Reidl£ Literaturangabcn jn dcn Anrnerkungen sowie eine Liste
•n die immanente ein und macht alle rationalen Kalküle sinn- der publikationen yon w Brede Kristensen untermauern das
'Os. Das ist das Grunderlebnis dieses „alten ' religiösen Urien- Ganze.

tierungstypus, den wir nun nicht wieder, von uns aus interpre- So erscheinen mir ^ zahlrddlen Ein2elergebnisse des

betend, rationalisieren und mißverstehen dürfen. Sonnenunter- AutQrs ^ ^ verhdß 0„e Bc6tätigung der Fruchtbarkeit

^ki,1^ "*ufganS' di,e uns heute noch über das naturwissen- sdnes eigenständigen NeUansatzeS einer Religionsphänomeno-

schafthehe Phänomen hinaus mit mystischen Schauern erfüllen, ^ ejner konkret£ren Ab ung zur Religionsphilosophie

geben uns eine schwache Erinnerung an diese religiöse Verhal- und 6omit ^ ^ entsdlddender Bdtrag zur LÖ6ung der noch

tcnswe.se: "It is simply foolish to call this feeling a primitive immer offenen Fragg. Wje verhaiten wir uns angesichts der

and naive superstition. We gain a different coneept of the Zusammenspannung paradoxer Gegensätze: Historie und Syste-

no'y when we take the Teality of the believer's faith as ou/r matjk Sarnm]ung und Ordnung in der Religionssystematik ?

starting pojnt, than when we choose to take the essence ot Zugleich erscheint dies Werk als ein Anzeichen beginnenden

religion in general as the starting point. This reality proves to Wiederauflebens der alten Irrationalität ursprünglicher Religion

De selr-sUbsistent and absolute. It is beyond all our rational audl bej un$ wo ^ verdrängt war.

criticism. Unsere einzige Schwierigkeit besteht in einem adä- BerIin Liselotte Richter
quaten Verstehen dieses religiösen Grundgefühls.

Brede Kristensen führt seinen Gesichtspunkt nun aus unter N i I s s o n, Martin P., Prof.: Geschichte der griechischen Religion.
dreigroßenHauptabschnitten: Die verschiedenen religiösenErlebnis- II. Bd.: Die hellenistische und römische Zeit. 2., durchges. u. erweisen
im Bereich der Kosmologie, der Anthropologie und der gänzte Aufl. München: Beck 1961. XX, 745 S. m. 5 Abb., 16 Taf.
konkreten Erscheinungsweisen des Kultus Es ist sehr reizvoll gr. 8° = Handbuch d. Altertumswissenschaft, fortgef. v. H. Bengtson,
|ta sehen, wie der Autor im einzelnen seine Grundsätze an dem V.Abt., 2. Teil. DM 56.-: Lw. DM 62.-.

uberreichen historischen Tatsachenmaterial das ihm zu Gebote Dem ersten Bande der neuen Auflage von Nilssons großsteht
, durchführt. Die engere Fühlungnahme mit den realen artigem Werke (ThLZ. 87, 1962, 583 ff.) ist jetzt der zweite
rnanomenen zusammen mit seiner eigenständigen Methode, gefolgt, mit dem nunmehr das Ganze wieder abgeschlossen ist.
weniger starre Begriffe zum Leitfaden zu nehmen als lockere Da dieser Band zum ersten Mal vor nicht mehr als zehn Jahren
kulturhistorische Apercu« zu Ordnungsprinzipien zu machen, erschienen war, brauchte in ihm noch weniger geändert zu
rührt zu sehr interessanten Ergebnissen die hier im Detail werden als in dem anderen. So sind nicht nur die Grundlinien
nicht wiederzugeben sind. Der Leser sei vor allem auf die Ab- erhalten, wie sie in dieser Zeitschrift 76, 1951, 721 ff. skizziert