Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1963

Spalte:

611-613

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lohrmann, Walter

Titel/Untertitel:

Glaube und Taufe in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche 1963

Rezensent:

Brinkel, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

611

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 8

612

strafen behafteten Seelen gereinigt werden" (151). Und es gibt
eine ewige Hölle, die nun zwar gar nicht durch die Schrift bezeugt
ist, aber die doch Glaubenssatz ist, der in einer langjährigen
Tradition seine Begründung findet.

Die Darstellung des Strafzustandes nach dem Tode bewegt
sich bei dem Verf. in den üblichen katholischen Formen. Angenehm
berührt wird aber auch der kritische Leser von der Art
und Weise, wie diese Lehren vorgetragen werden. Nicht nur,
daß der Verf. des öfteren den Geheimnischarakter des Bereichs
dieser Lehren hervorhebt und auf die Notwendigkeit hinweist,
daß der Mensch in diesen Regionen des Glaubens auf Bild und
Analogie angewiesen ist. Er weiß darüber hinaus um „ungelöste
Fragen", die in der Tat die Gesamtproblematik seiner speziellen
Eschatologie enthüllen. Er zeigt, daß das Geheimnis der
Hölle nicht mit dem Hinweis darauf gelöst ist, daß Gott die
Liebe ist. Ungelöst bleibe auch die Frage, warum dem Menschen
überhaupt die Freiheit zum Sündigen gegeben ist. Und ungelöst
bleibt die Frage, warum Gott dem verstorbenen Todsünder
die Gnade der Erleuchtung und Verwandlung verweigert. Dem
kritischen Leser aber kommt gerade hier die Frage, ob diese
Lehre vom Gericht, Fegefeuer und Hölle nicht über Gebühr die
Bedeutung des lohnenden und strafenden Gottes für den christlichen
Glauben betont, so daß der Kernsatz dieses Glaubens
von der spontanen und unendlichen Liebe Gottes notwendig
zurücktritt. Der Verf. hat auch diese Problematik empfunden,
aber keinen Ausweg aus ihr gezeigt.

Er setzt sich mehrfach auch mit Gegnern der von ihm vorgetragenen
Lehre auseinander. Aber man hat immer wieder den
Eindruck, daß er die Theologen oder Denker, gegen die er polemisiert
, zu wenig kennt. Um nur zwei Beispiele zu erwähnen:
Kann man wirklich sagen, daß mit Schleiermacher die Lehre von
der Seelenwanderung „in manche protestantische Richtungen"
einzog? Mir ist nicht bekannt, daß Schleiermacher diese Lehre
in seine Glaubenslehre aufgenommen hat oder daß sie später
in der protestantischen Theologie eine Rolle gespielt hat. Und
kann man wirklich sagen, daß Kierkegaard und Jaspers in dem
Tode ein Letztes gesehen haben (140 ff.)? Auch nur ein oberflächlicher
Blick etwa in die Tagebücher des dänischen Theologen
oder in die letzten Veröffentlichungen des genannten Philosophen
hätten den Verf. eines Besseren belehren müssen.

Schmerzlich vermissen wir auch ein Eingehen auf die Frage,
was an der neutestamentlichen Eschatologie zeitgeschichtlich bedingt
ist und was von ihr heute zum eigentlichen Wesen des
christlichen Glaubens für den Menschen der Gegenwart gehört.
Diese Frage hätte den Verf. zu einer fruchtbaren Auseiander-
setzung mit den ganz neuen Ansätzen der eschatologischen Arbeit
der protestantischen Theologie führen müssen, wie sie etwa
bei Althaus, Brunner und Bultmann vorliegen.

Diese Auseinandersetzung fehlt bedauerlicherweise in dem
Buch, dessen Gedankenführung ausschließlich von dem kirchlichdogmatischen
Denken beherrscht ist und das daher wie die voraufgegangenen
Bände dieser Dogmatik einen guten Einblick in
die Eigenart jenes Denkens vermittelt.

Xie] Werner Schultz

Lohr mann, Walter. Glaube und Taufe in den Bekenntnisschriften
der evangelisch-lutherischen Kirche. Ein Beitrag zur theologischen
Besinnung über die Tauffrage heute. Stuttgart: Calwer [1962]. 79 S.
gr. 8° = Arbeiten zur Theologie, hrsg. m. A. Jepsen u. O. Michel
v. Th. Schlatter, 8. DM 7.80.

Lohrmann unterzieht die Tauflehre der evangelisch-lutherischen
Bekenntnisschriften einer kritischen Analyse. Die nach
seiner Meinung in ihr enthaltenen Widersprüche wie ihre dem
biblisch-reformatorischen Ansatz des sola fide z. T. widerstreitenden
Aussagen machen es freilich nach Lohrmann unmöglich
, diese Tauflehre heute weiter zu übernehmen. Es ist
vielmehr eine neue schriftgemäße Tauflebre und Taufpraxis zu
gewinnen, die den Glauben als unabdingbare Voraussetzung
zum Empfang der Taufe nicht mehr umgeht. Eine Darstellung
einer solchen neuen Tauflehre wird von Lohrmann nicht gegeben
, da es ihm in seiner Schrift vornehmlich darum geht, die
Tauflehre der ev.-luth. Bekenntnisschriften, die nach seiner
Meinung bisher einem biblisch-theologischen Gespräch über die

Taufe im Wege standen, als nicht mehr tragfähig für Tauflehre
und Taufpraxis zu erweisen. Das steht ihm jedoch fest, daß es
eine Säuglingstaufe nicht mehr geben kann, sondern nur eine
Taufe von Mündigen, die in einem Vertrauensverhältnis zu
Jesus stehen.

Der größte Teil der Erörterung in Lohrmanns Schrift ist
der Interpretation der Taufaussagen Luthers im Großen und
Kleinen Katechismus und in den Schmalkaldischen Artikeln gewidmet
. Dabei meint er folgende Aporien und Widersprüche
bei Luther feststellen zu müssen:

1. Hatte Luther in seiner Frühzeit die unablösbare Zusammengehörigkeit
von Taufe und Glaube vertreten, wobei er
zugleich für eine symbolisch-spiritualistische Deutung der Taufe
offen war, so tritt später in seiner Auseinandersetzung mit der
Schwärmerei — in dieser Situation sind ja auch die Taufaussagen
der Katechismen geschrieben — eine Linie in seiner Tauflchrc
auf, die eine objektive Gültigkeit und Wirksamkeit der Taufe
auch ohne Glauben behauptet, wobei freilich bei Luther ungeklärt
bleibt, was eigentlich die Gabe einer ohne Glauben
empfangenen Taufe ist.

2. Es bahnt sich bei Luther eine Zweigleisigkeit hinsichtlich
des Heils an: Einerseits kann Luther das Heil ganz auf den
Glauben stellen, andererseits empfängt nach ihm der Getaufte,
auch wenn er nicht glaubt, das ganze Wesen der Taufe. Es liegt
bei ihm eine Tendenz vor, die die Taufe zu einem Gnadenmittel
macht, durch das das eine Gnadenmittel, Christus in
seinem Wort, eingeschränkt wird.

3. Luthers Lehre vom die ganze vita christiana umfassenden
Taufbrauch in der täglichen Buße entspricht nicht den paulini-
schen Aussagen von der Taufe in Rom. 6, nach denen mit der
Taufe die Getauften ein-für-alle-mal nicht mehr vom alten
„einst", sondern vom neuen „jetzt" bestimmt sind. Wohl bezieht
sich der christliche Glaube ständig auf die Taufe, wiederholt
diese aber nicht ständig.

4. Ihre Zuspitzung erfahren die Widersprüche und Unge-
löstheiten in Luthers Tauflehre in dem, was er zu der von: ihm
unreflektiert übernommenen Kindertaufe sagt. Um für sie die
Zusammengehörigkeit von Glaube und Taufe durchzuhalten,
nahm Luther in seiner Frühzeit einen stellvertretenden Glauben
der Kirche bei der Kindertaufe an, obwohl er damit zu der von
ihm sonst behaupteten Unvertretbarkeit im Glauben in Widerspruch
geriet. Später stellte er in der Auseinandersetzung mit
den Schwärmern die Fiktion eines Kinderglaubens heraus. Im
Großen Katechismus verteidigte er das Recht der Kindertaufe
mit einem rational-pragmatischen Erfahrungsbeweis, daß nämlich
Gott vielen, die als Kinder getauft sind, den Heiligen Geist
gegeben hat, welcher Pragmatismus nach Lohrmann der tiefste
Punkt von Luthers gesamter Theologie ist. Auch tauchen bei
seiner Verteidigung der Kindertaufe bei ihm sonst nicht übliche,
synergistisch klingende Formulierungen auf. Ja er, der sonst die
Christen allenthalben zum eigenen Studium der Schrift angehalten
hat, rät, sich nicht mit der Kindertaufe zu befassen. Gerade
bei der von ihm effektiv verstandenen Kindertaufe gerät
Luther in eine falsche Taufautomatik hinein.

Mit Fr. Schröter (Taufe und Kindertaufe in den Luth. Bekenntnisschriften
. In: Beitr. zur Ev. Theologie. Bd. 2, München
1940) sieht Lohrmann aber dann doch bei Luther einen sich
seinem sola fide einordnenden Ansatz einer schriftgemäßen
Tauflehre sich auftun, vornehmlich im zweiten Teil seiner Ausführungen
über die Taufe im Gr. Katechismus. Dort lege Luther
dar, daß die Taufe ein „äußerlich Ding" sei, dessen sich der
cognitive Glaube des Täuflings versichert, weil aller Glaube
etwas haben müsse, auf dem er fuße. Dieser Ansatz verrate eine
bei Luther sonst durch Konservativismus und Traditionselemente
überdeckte Bewußtseinsschicht, in der „eine Intention zu einer
Taufe lebte, die ein von Gott gewirktes Vertrauensverhältnis
voraussetzte".

Melandithons Aussage über die Taufe in der CA und
Apologie sowie die Taufaussagen in der FC werden von
Lohrmann vergleichsweise kürzer behandelt. Wohl knüpfe
Melanchthon an Luthers Tauflehre an, aber was bei Luther
praktisch seelsorgcrlich gesagt war, werde bei ihm ontologisch-