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1963

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 8

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hier die oben erwähnten römischen Ordensregister. Aus ihnen
und aus anderen Belegen fällt auch viel Licht auf die akademischen
und finanziellen Beziehungen der englischen Provinz zu
Italien.

Eine große Zahl von Zeugnissen hat ihren Ursprung in den
Kompetenzstreitigkeiten zwischen Pfarrklerus und Bettelorden —
so ein Faszikel a. d. J. 1404, „das längste Dokument der englischen
Augustinergeschichte"; es ist in Nr. 669—672 wiedergegeben
. Von besonderem Interesse sind Stärke- und Querschnittangaben
. 1 335 zählten der Konvent zu Lincoln 36 und
der Konvent zu Canterbury 18 Mitglieder. Aus einer Madrider
Handschrift stammt die Übersicht über die 33 Konvente des
Ordens in der Provinz England i. J. 13 87; sie waren in vier
„Limites" — von Oxford, Cambridge, York und Lincoln — zusammengefaßt
. Einer der englischen Ordensprovinziale war
Thomas Penketh, der sich in seiner Osterpredigt 1484 in London
6ehr für König Richard III. einsetzte und später deshalb
„als einziger Augustiner" bei Shakespeare Erwähnung fand
(Richard III, 3. Akt, 6). Die Aufhebung der Ordensprovinz mit
ihren am Ende 34 — 35 Niederlassungen, die im Durchschnitt
wohl nur noch etwa sieben Fratres zählten, wurde vom Juni 15 38
bis zum März 15 39 durchgeführt. Auch darüber veröffentlicht
Rev. F. Roth viel Material und fügt dem einige Zeugnisse über
Märtyrer des Ordens in der englischen Provinz bei. Doch wird
man von diesen Fällen nur den des seligen John Stone (Lawrence
Stone bei Knowles a.a.O., III, 364) als unbezweifelbar ansehen
können.

An dem mit so bewunderswerter Hingabe, Findigkeit und
Akribie bearbeiteten Quellenwerk dürfte nur in Kleinigkeiten
etwas zu berichtigen oder zu ergänzen sein. So sollte man nicht
schon zum Jahr 1278 vom „Dauphin of France" sprechen, da
dieser Titel mit dem Territorium Dauphine erst 1349 an das
französische Königshaus kam (zu S. 7). Der Vater des Priors
von Mindelheim Georg von Teck war natürlich nicht ein Herzog
von Bayern, sondern Herzog Friedrich IV. von Teck (zu
S. 319). Der in Nr. 375 genannte Ordensbruder Geoffrey de
Maldon unternahm 1336— 1340 im Auftrag König Eduards III.
vier große Gesandtschaftsreisen ins Reich; ihr Anlaß lag in den
Bemühungen um ein englisches Bündnissystem am Beginn des
Hundertjährigen Krieges mit Frankreich (vgl. den Druck der
Reiseabrechnung in meinem Buch über „Die Könige von England
und da6 Reich 1272 - 1377, 1961, S. 423-428). Die Verwendung
von Ordensbrüdern im diplomatischen Dienst blieb
freilich Ausnahme; gewöhnlich bediente man sich der ranghöheren
Stifts- und Domherren. Doch hat der unauffällig reisende
Frater Geoffrey de Maldon offensichtlich eine Vertrauensstellung
eingenommen. Er war nicht der einzige Augustiner, auf
den sich die Politiker in Kriegsläuften verließen. Als im Kampf
zwischen Lancaster und York i. J. 1459 Richard Neville, Graf
von Salisbury, sich nach dem Gefecht von Blore (Bloore) Heath
vom Feinde löste, ließ er einen treuen Augustiner zurück, der
zur Täuschung des Feindes die Nacht hindurch Schüsse abgeben
mußte; den erzürnten Leuten der Gegenseite sagte der
wackere Frater am nächsten Morgen, er habe sich damit nur
Mut machen wollen (Nr. 8 55. Vgl. auch P. M. Kendall, War-
wick the Kingmaker, 1957, S. 52).

Heidelberg Fritz Trautz

Gauss, Julia: Glaubensdiskussionen zwischen Ostkirche und Islam

im 8.—11. Jahrhundert.

Theologische Zeitschrift 19, 1963 S. 14—28.
Gross, Julius: Abälards Umdeutung des Erbsündendogmas.

Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgeschichte XV, 1963 S. 14—33.
Örsy, Ladisias: Irregulär Ordination in Gratian's Decretum.

The Heythrop Journal 4, 1963 S. 163—173.
Sproemberg, Heinrich: Die Gründung des Bistums Arras im

Jahre 1094.

Standen en Landen XXIV, 1962 S. 1—50.
Ward, Leo R.: Notes on Academic Freedom in Medieval Schools.

Anglican Theological Review 45, 1963 S. 45—54.
Weißenberger, Paulus: Der „Hl. Ernst von Nerresheim" —

eine geschichtliche oder legendäre Gestalt?

Tübinger Theol. Quartalschrift 142, 1962 S. 465—475.

KIRCHENGESCHICHTE: REFORM ATIONSZEIT

Wallmann, Johannes: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard
und Georg Calixt. Tübingen: Mohr 1961. VII, 165 S. gr. 8" =
Beiträge z. historischen Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, 30. DM 18.—.
Seit Troeltsch sind wir daran gewöhnt, die altprotestantische
Orthodoxie als eine geistige Einheit zu sehen und die
philosophischen und theologischen Unterschiede unter den protestantischen
Vätern als Varianten innerhalb ein und desselben
Denkgebäudes zu betrachten (so zuletzt noch H. E. Weber). Daß
diese Unterschiede doch ein größeres Gewicht besitzen und auch
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die weitere Entwicklung
der evangelischen Theologie gehabt haben, zeigt die
theologiegeschichtliche Untersuchung von Johannes Wallmann
(Zürcher Diss. 1960), die deshalb nachhaltige Aufmerksamkeit
beanspruchen darf.

Verf. weist nach, daß es d e n altprotestantischen Theologiebegriff
nicht gegeben hat. Vielmehr lassen sich deutlich zwei
nebeneinander herlaufende, sich bisweilen überschneidende Linien
im Verständnis der Theologie feststellen (2 f., 17 ff.): Die
eine führt von Luther über Johann Gerhard zu Spener; hier
wird die Gleichartigkeit von Glaubenserkenntnis und Theologie
betont, der ausdrückliche Bezug auf die Kirche hingegen fehlt
im Theologiebegriff. Die andere Linie verläuft von Melanchthon
über Calixt zu Semler; hieT werden Glaube und Theologie voneinander
abgehoben und andererseits die kirchliche Funktion
der Theologie herausgestellt. Im Theologiebegriff Johann Gerhards
und Georg Calixts hält Verf. jene wichtige Entwicklungsphase
fest, in welcher nach der Begegnung mit dem Neu-
aristotelismus in der altprotestantischen Theologie die wissenschaftstheoretische
Besinnung auf das Wesen der Theologie einsetzte
.

Im L Kapitel (Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard)
wird nach einem geschichtlichen Rückblick J. Gerhards Verständnis
der Theologie als doctrina de Deo und als habitus
deoodoTO? entfaltet. Im II. Kapitel (Der Theologiebegriff bei
Georg Calixt) wird der Theologiebegriff Calixts nach den drei
Problemkreisen „Theologie und Glaube", „Theologie und Vernunft
" und „Theologie und Kirche" auseinandergelegt und dem
Theologiebegriff J. Gerhards gegenübergestellt.

Im einzelnen zeigt Verf., wie um 1600 die protestantische
Theologie unter dem Eindruck der aristotelischen Wissenschaftslehre
(Zabarella) zur Neufundierung der christlichen Lehrwissenschaft
im Kreis der Wissenschaften genötigt wird. Die
Aufgabe wird bei J. Gerhard und Calixt auf sehr verschiedene
Weise gelöst. Für J. Gerhard ist die Theologie nur eine
accuratior divinorum mysteriorum cognitio (41), die sich deshalb
von der Glaubenserkenntnis nicht wesensmäßig unterscheidet
. G. versteht sie als habitus {teoodoros , zu erwerben
durch „oratio, meditatio, tentatio" (62 ff.). So sichert er im
Sinne Luthers die unvergleichliche Eigenart der theologischen
gegenüber aller anderen Erkenntnis, gleicht andererseits aber
die Theologie als habitus und doctrina (verstanden als Form
menschlichen Bewußtseins, nicht als „Lehre", 70) in ihrer
Struktur den rationalen Wissenschaften an.

Demgegenüber bietet Calixt eine Lösung, die bereits
als Vorverweis auf die spätere, aufklärerische Unterscheidung
von Theologie und Glaube interpretiert werden kann (102).
Calixt geht von der Artverschiedenheit von Glaube und Theologie
aus und bestimmt die Theologie als einen mit den
natürlichen Mitteln des Verstandes zu erwerbenden habitus,
der nicht jedem Glaubenden vonnöten ist, für den auch nicht
der Rechtfertigungsglaube, sondern lediglich eine „fides acqui-
sita" die notwendige Voraussetzung bildet (107 ff.). So versteht
er die Theologie im Gegensatz zu J. Gerhards Glaubenswissenschaft
als den Erkenntnishabitus einer Offenbarungsgelehrsamkeit
(etwa im Sinne von Speners „Gelehrsamkeit von
theologischen Gegenständen", 118). Damit wird die Theologie
„humanisiert" und zugleich rationalisiert. Die lutherische
Tradition der theologia crucis erscheint abgestreift, die Theologie
ist als rationale Wissenschaft neben anderen begründet
(117 f.). War sie bei J.Gerhard noch gottgeschenktes Erkennen
, so ist sie hier rationale Durchdringung der vorgegebenen