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Ausgabe:

1963

Spalte:

584-586

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Studien zum Neuen Testament und zur Patristik 1963

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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583

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 8

584

Sünden der Welt, zugewendet im Opfer der Kirche, so mit
unserer Fürbitte für Lebende und Verstorbene verbunden ist,
daß diese Fürbitte als Erklärung nahegelegt erscheint"
(112). Sühneopfer als Fürbitte? Fürbitte als Sühneopfer? Da
bleibt doch der reformatorische Einwand in Kraft, daß wir Gott
nicht als solche nahen dürfen, die ihn erst (sei es durch Gebete,
sei es durch kultische Handlungen) mit uns versöhnen müßten,
nachdem er in Christus bereits ein für allemal mit uns versöhnt
ist. So 6ehr sich Karrer auch bemüht, dem Sühnopfergedanken
in der Messe einen vom Neuen Testament her vertretbaren
Sinn abzugewinnen, so wenig will es ihm doch letztlich gelingen
. Immerhin nehmen wir es gern zur Kenntnis, daß er sich
von dem aus Mirbts „Quellen..." bekannten Hirtenbrief des
Erzbischofs Katschthaler distanziert (499 f.; ähnlich S. 97,
Anm. 24: „Man möchte wünschen, daß auch gewisse Entgleisungen
katholischerseits, wie die Katschthalers aus dem Jahre
1905 über die Macht des Priesters, von protestantischer Seite
nicht immer wiederholt würden").

Ein anderer unerledigter Punkt der Kontroverstheologie
ist der Primat des Papstes und seine praktische (katholischerseits
allerdings bestrittene) Überordnung über Schrift und Tradition
. Auch Joseph Ratzinger (Primat, Episkopat und Successio
Apostolica) kommt hier trotz eifriger Bemühungen zu keinem
befriedigenden Ergebnis, wenn er schreibt: „Einen Episkopat,
der den Papst exkommuniziert, gibt es nicht und kann es
legitimerweise nicht geben, weil eine Katholizität, die auf Rom
verzichtet, nicht mehr katholisch wäre" (131 f.). Und: „Ein
ökumenisches Konzil, das sich gegen den Papst stellt, würde
sich eben dadurch als nichtökumenisch erweisen" (132). Es gibt
also in der katholischen Kirche einen Christen, der nicht exkommuniziert
, d. h. nicht in Kirchenzucht genommen werden
kann, der über den Gesetzen steht. Widerspricht nicht diese
Gleichstellung des obersten Bischofs mit einem weltlichen
Herrscher, diese Gleichgestaltung der Kirche mit einem weltlichen
Reich (societas perfecta!) trotz aller gegenteiligen Beteuerungen
dem geistlichen Wesen der Kirche? Das Decretum
Gratiani dachte in Sachen der Absetzbarkeit von Päpsten noch
anders als das heute geltende kanonische Recht, und die
Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts haben bekanntlich die
Absetzung von Päpsten noch praktiziert. Hier hat sich seitdem
ein Wandel im Sinne des Papalismus vollzogen, und es bleibt
abzuwarten, ob das zweite Vatikanum daran etwas ändern
kann. Aber schwerwiegender als die disziplinare Sonderstellung,
wenn auch eng damit verbunden, ist die unfehlbare Lehrautorität
des Papstes. Wolfgang Seibel (Dogma und Communio) geht
von dem Satz aus: „Kennzeichen der rechten Lehre ist zunächst
ihr Ursprung, dann erst ihr Inhalt" (156). Schon dieser Satz
ist in seiner Zuspitzung schwerlich haltbar, aber immerhin die
Ursprungsfrage, nämlich die biblische Begründung, ist bei der
Feststellung der rechten Lehre wichtig. Es ist der biblische
Christus, an den wir glauben. So weit sind wir einig. Der Dis-
sensus wird aber sofort offenbar, wenn Seibel folgert: „Der
einzige Maßstab der Wahrheit eines Glaubenssatzes ist sein
apostolischer Ursprung: Jene Sätze sind unfehlbarer Ausdruck
der Offenbarung Gottes, die von der in der Nachfolge der
Apostel stehenden Kirche als Inhalt ihres Glaubens verkündet
werden" (159). Wenn aber nun die „in der Nachfolge der
Apostel stehende Kirche" mit der in der Schrift offen dargelegten
apostolischen Lehre in Widerspruch gerät? Dann ist sie
eben trotz ihrer äußeren Legitimität nicht mehr die „in der
Nachfolge der Apostel stehende Kirche". Was heißt also in der
Nachfolge der Apostel stehen ?! In dieser Frage sind wir uns
nicht einig.

Wir brechen ab. Diese wenigen Proben zeigen bereits, wie
aktuell (im guten Sinn) das Theologische Jahrbuch ist. Obwohl
es sich in erster Linie an katholische Priester und Theologen
wendet, und obwohl einige Themen speziell auf diesen Leserkreis
zugeschnitten sind (z. B. Josef Low, Der neue Rubrik en-
kodex), ist es auch für den evangelischen Theologen ein wertvolles
Hilfsmittel zur Orientierung und zur eigenen Klärung.

Halle/Saale Erdmann Sch o f t

Klostermann, Erich:] Studien zum Neuen Testament und zur
Patristik. Erich Klostermann zum 90. Geburtstag dargebracht, hrsg.
v. d. Kommission f. spätantike Religion6gesdiichte. Berlin : Akademie
-Verlag 1961. VIII, 378 S., 1 Titelb. gr. 8° = Texte und
Untersuchungen z. Geschichte d. altchristlichen Literatur, Bd. 77.
DM 51.—.

Erich Klostermann, der noch im hohen Alter fruchtbare
Arbeit leistet, wird durch die vorliegende Festschrift würdig
geehrt. Sie umfaßt ein ebenso weites Gebiet, wie die eigenen
Werke des verehrten Jubilars.

O. E i ß f e 1 d t, nach Klostermann der Senior der Hallischen
Fakultät, beginnt mit dem Aufsatz Toledot, der in gleicher
Weise der alt- und neutestamentlichen Wissenschaft dient
(Mt. 1,1). Der Text der betr. Stellen scheint meist einfach; aber
nicht einmal der Wortlaut ist immer sofort zu deuten; geschweige
denn daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Quellenschrift immer leicht erkennbar wäre.

E. Stauffer, Die Dauer des Census Augusti, behandelt
eine Frage, die er schon öfters erörterte, diesmal mit besonderer
Anschaulichkeit und Überzeugungskraft. Es handelt sich
um eine Art Streitgespräch zwischen dem Bonner papyrologi-
schen Institut, dem Mainzer althistorischen Seminare und dem
Seminare für Geschichte des Urchristentums in Erlangen. In
einer ganzen Reihe von Punkten (St. zählt ihrer sieben) ist eine
weitgehende Einigung bereits erzielt. Es handelt sich Lk. 2, 1
um die „Teilaktion" eines Census, der „das ganze römische
Reichsgebiet umfaßte". Er fand auch in dem „Vasallenstaat des
Judenkönigs Herodes" statt. Eine sippenmäßige Gruppierung
(Lk. 2, 3) kann hier nicht überraschen. Noch strittig ist vor
allem, wie lange der Census dauerte: hier klafft zunächst ein
Widerspruch zwischen Lukas und Josephus. St. bringt beachtliche
Gründe dafür bei, daß ein solcher Census lange Zeit in
Anspruch nehmen mußte.

O. Michel gibt eine sorgfältige, stoffreiche Erklärung
eines Teiles der Auferstehungsgeschichte im vierten Evangelium
, des Wettlaufs der beiden Apostel (Joh. 20, 3—9). Beachtenswert
z. B. der Hinweis, daß nach alttestamentlicher und
jüdischer Auffassung zwei Zeugen einen Tatbestand sicherstellen
.

H. Riesenfeld befaßt sich mit der Fragestellung von
1. Kor. 15 : nicht die Auferstehung der Toten, sondern der Tod
als Voraussetzung der Auferstehung. Dabei wird auf das
Gleichnis vom Weizenkorn 1. Kor. 15, 36 ff. und sein Verhältnis
zu Joh. 12, 24 eingegangen. So ergibt sich eine Möglichkeit
, dem ganzen Kapitel einen besonders anschaulichen Gedankengang
zu geben.

G. Bornkamm vermittelt ein besseres Verständnis des
Kolosser- und Epheserbriefes mit Hilfe des dort gebrauchten
Begriffes der Hoffnung. Der Begriff im Kol. wie im Eph. ist
nicht mehr im Sinne einer zeitlich gerichteten Bschatologie gemeint
; die Hoffnung ist vielmehr bereits verwirklicht. Daraus
schließt B., daß die beiden Briefe nicht zu dem ältesten BeStande
der Paulusbriefe gehören.

E. B a r n i k o 1 schreibt ein ganzes Buch über den „nicht-
paulinischen Ursprung der absoluten Obrigkeitsbejahung
Rom. 13, 1—7". Auch ich bin der Meinung, daß die Überlieferung
unseres Paulustextes nicht überall ursprünglich ist. Ich
halte 1. Kor. 1,2 für unmöglich; ebenso 1. Kor. 14, 33b—36,
aus Gründen der Denkrichtigkeit. Anscheinend ist bei der
Sammlung der Paulusbriefe (so l.Kor. 1,2), aber vielleicht auch
bei anderen Gelegenheiten „modernisiert" worden. Die Frage
muß einmal im Zusammenhang untersucht werden. B. bringt
für die Ausscheidung von Rom. 13, 1—7 eine Fülle beachtenswerter
Gründe vor: den Zusammenhang; den Inhalt, weil im
Verhältnis zum Staate keine Frage gesehen wird, im Gegensätze
etwa zu 1. Kor. 6, 1 ff.; die Gedanken, die sonst in der
frühen Kirche vertreten werden usw. B. empfiehlt, wenn man
die Vorstellung der ältesten Zeit ergründen will, auf die Predigt
Jesu zurückzugreifen (Mc. 12, 17), zumal da „die bei Hiro-
schima 1945 geworfene Atombombe die absolute Obrigkeits-
Bejahung von Rom. 13 widerlegte". Vgl. dazu jetzt Gerhard
Delling, Römer 13, 1—7 innerhalb der Briefe des Neuen Testaments
[1962].