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Ausgabe:

1963

Spalte:

547-552

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Asheim, Ivar

Titel/Untertitel:

Glaube und Erziehung bei Luther 1963

Rezensent:

Hahn, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 7

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den protestantischen Minimalismus hinausgeht — Gewänder,
Kerzen, Gesten — gleich das Schreckgespenst des Katholizismus
zu beschwören. Gegenüber dieser merkwürdigen Engigkeit und
Ängstlichkeit ist es durchaus förderlich, wenn einmal jemand
unbefangen von der evangelischen Freiheit Gebrauch macht, die
doch gut lutherisch ist. Es ist die Freiheit der Kinder Gottes,
die von der Knechtschaft der Elemente dieser Welt erlöst sind
und nun Gott fröhlich auch mit den geschaffenen Dingen dienen
können. Es täte der evangelischen Kirche gut, wenn sie
in ihrer gottesdienstlichen Gestaltung etwas mehr von dieser
Freiheit praktizierte.

Und doch können wir Ritters Konzeption nicht ohne
Fragen und Vorbehalte annehmen. Ist hier in dem Gegenschlag
gegen die protestantische Dürre des Guten nicht zuviel getan?
Gewiß will Ritter mit allem Gestalthaften, Dinglichen der Formgebung
dem einen dienen, das not tut. Aber sieht er den
Punkt, an dem das Schwergewicht sich verlagert, an dem die
peripheren dienenden Dinge das Zentrale zu überlagern beginnen
? Bei aller Freiheit, die wir der Welt der geschaffenen
Dinge gegenüber haben dürfen, gilt doch das entscheidende
Kriterium: ,,Mir ists nicht um tausend Welten, aber um dein
Wort zu tun." Wir können auch in der gottesdienstlichen
Formgebung die Fülle der Gestalten haben, aber wir müssen
sie „haben, als hätten wir sie nicht".

Weimar Wolfgang Sc h a n ? e

HEL1G10NSPÄDAG0GIK

i A s Ii e i m, Ivar: Glaube und Erziehung bei Luther. Ein Beitrag zur
v~ Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Pädagogik. Heidelberg
: Quelle & Meyer 1961. 331 S. 8° = Pädagog. Forschungen,
Veröffentlichungen d. Comenius-Instituts, 17. Kart. DM 19.50;
Lw. DM 22.—.

In einem im Jahre 1933 veröffentlichten Vortrag hatte
Martin Doerne gefragt: „Wie kommt das Werk der Erziehung
in Luthers reformatorischer Gesamtanschauung zu stehen . . .?"
(Asheiml4). Auf diese Frage versucht das Werk Asheims eine
umfassende Antwort zu geben. Das geschieht sehr gründlich,
methodisch vorbildlich und mit sorgfältig ausgewogenem Urteil.
Besonders geschickt hat der Verfasser die historische und systematische
Fragestellung miteinander verbunden. A. widersteht
der Versuchung, Luther von modernen pädagogischen Kategorien
her zu befragen. Das hat er etwa an der (ungedruckten)
Dissertation Hans Bernhard Kaufmanns „Grundfragen der Erziehung
bei Luther", Kiel 1954, auszusetzen, wobei er dem
Versuch Kaufmanns, „Luthers Gedanken zu pädagogischen
Einzelfragen auf dem Hintergrund eines prinzipiellen theologiechen
Problems, nämlich des Verhältnisses von Erziehung und
Erlösung, zu betrachten" (15), grundsätzlich zustimmt. Aber
auch gegenüber Edgar Reimers, „Recht und Grenzen einer Berufung
auf Luther in den neueren Bemühungen um eine evangelische
Erziehung", Weinheim 1958, grenzt sich A. ab, da
Reimers Luthers Erziehungsgedanken einseitig nur im Blick auf
die „Weltlichkeit der Erziehung", ohne Berücksichtigung der
eschatologischen Komponente des Schöpfungsglaubens Luthers,
dargestellt habe (16). Das Problem einer sachgerechten Verknüpfung
von Luthers pädagogischen Aussagen und seiner theologischen
Gesamtkonzeption kann daher nur so gelöst werden:
„Es muß der Weg beschritten werden, den Luther selbst
ging von der Theologie zur Pädagogik. Es muß m. a. W. gefragt
werden, wie Luther als Theologe überhaupt dazu
gekommen ist, sich zu den Fragen der Erziehung zu
äußern, wie er diesen Schritt theologisch begründet und mit
welchen Intentionen er ihn tut" (16 f.).

So spitzt sich alles auf die Frage nach dem Verhältnis von
Glaube und Erziehung in Luthers Erziehungsgedanken zu. Die
Antwort, die A. auf Grund eines umfangreichen Quellenstudiums
gibt — es werden nicht nur die sog. Schulschriften,
sondern auch die Katechismusschriften und Katechismuspredigten
6owie Vorlesungen, Predigten, Tischreden, u. a. auch de servo
arbitrio gewissenhaft ausgewertet — führt zu einer Entfaltung
der Theologie Luthers in nuce. Das Ergebnis ist nicht eine
„Pädagogik" Luthers, sondern eine präzise Antwort auf die

Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Erziehung bei
Luther.

In drei Gedankenkreisen bzw. Arbeitsgängen versucht A.
das Thema zu entfalten.

In Teil I: „Die Erziehung als menschliche Verantwortung
und Möglichkeit" wird entwickelt, daß das Evangelium über die
Fragen der Erziehung nicht belehrt (27) und daher die Theologen
nicht „als Sachverständige in Erziehungsfragen" auftreten
können. Deus dedit rationem, ut regamus corporales res, edu-
care liberos, administrare domos . . . (27, Anm. 26). Das heißt:
„Die Erziehung ist ein „weltlich ding" und gehört in das „reg-
num rationis" " (29). „Die Erziehung ist Aufgabe und damit
auch Möglichkeit des vernünftigen Menschen, wenn er nur erziehen
will" (30). Durch das Evangelium soll nicht die Erziehung
„verchristlicht" werden (31). Die Predigt des Evangeliums
bezeugt keine christliche Erziehungslehre, aber sie
„weckt", „befestigt" und „bestätigt" „die freie Verantwortung
des Menschen" (34, auch 26, 30). Darin sieht A. mit Recht
„den aphoristischen Charakter der pädagogischen Äußerungen
Luthers" (36 f.) begründet. Seine pädagogischen Gedanken sind
„eigentlich nichts anderes ... als eine Widerspiegelung zeitgenössischer
Ideen und Praktiken" (41). Luthers Aussagen sind
„christliche Vermahnungen", denen, wie A. sehr schön deutlich
macht, „eine Innenseite und eine Außenseite eignet" (41).
Betrachtet man ihre Innenseite, so sind Luthers Erziehungsgedanken
„christliche Appelle", die ihren Ort innerhalb der
Theologie und Ethik Luthers haben. Im Blick auf ihre Außenseite
weisen Luthers pädagogische Aussagen „auf die Erziehungspraxis
und Erziehungsweisheit seiner Zeit" hin (ebd.). Luther
will — so Asheim — die Erziehungsgedanken seiner Zeit,
die er für eine „Frucht von Vernunft und natürlichem Recht"
ansieht (42, 31 ff.), nicht theologisch begründen — das Evangelium
kann nur das „gute Werk" der Erziehung „bestätigen"
(42) —; ihm geht es ausschließlich um die Frage des Verhältnisses
von Glaube und Erziehung. Was für eine Erziehungswirklichkeit
steht Luther vor Augen? Darauf gibt der Verf. im
2. und 3. Kapitel dieses Teiles, „Die Erziehung in der Familie"
und „Die Erziehung in der Schule", Antwort. Im Unterschied
zu heute sieht Luther „das Zentrum und den Kernpunkt aller
Erziehung" (44) in der Familienerziehung. Dabei ist es so,
„daß der grundlegende Aspekt, worunter Luther die Erziehung
sieht, der Regimentsaspekt ist: denn wie alles, was im Hause
geschieht, so spielt sich auch die Erziehung im Rahmen eines
Regimentes ab. Auch die Eltern sind, in Analogie zu den
Obrigkeiten in Land und Kirchs, eine Art Obrigkeit" (45).
Zum Regiment der Eltern gehört die Erziehung. „Erziehen heißt
einfach, ,die kinder regieren' " (ebd). Das tun sie auf geistliche
und weltliche Weise, stellen doch die Eltern geistliche und
weltliche Obrigkeit in einem dar (46).

Mit diesem Hinweis auf die (doppelte) Regimentsfunktion
der Eltern in ihrem erzieherischem Tun gibt Luther eine handfeste
theologische Begründung für das pädagogische Handeln der
Eltern. (Von hier verstehe ich nicht Asheims summarische Ablehnung
des Satzes, Luther habe eine Pädagogik vertreten —
sagen wir besser: habe pädagogische Aussagen gemacht, die auf
besonderen theologischen Voraussetzungen aufgebaut sei.
Siehe 42). Im Anschluß an die Auslegungen von Eph. 6,4
und Kol. 3, 21 wird der „goldene Mittelweg der Erziehung"
zwischen Strenge, die zur Tyrannei (5 3) und Liebe, die zur Laxheit
(54) entarten können, in der Sicht Luthers aufgezeigt. Entscheidend
für den Reformator, daß ein Vater sein Kind so erzieht
, „ut kind behalt ein Zuversicht ad patrem" (56, Anm. 50).
Das Ziel der Erziehung liegt nicht in irgendeinem Bildungsideal.
Es besteht darin, daß wir die Kinder „zu gottes dienst.. . wey-
sen und regiren..." (58), d.h. aber, die Kinder dahin führen,
daß sie in ihrem Stand Gott dienen, indem 6ie ihren Eltern
gehorchen, die an Gottes Statt stehen (59).

Mit diesem Hineinführen in den Stand schließt sich Luther
an die traditionellen Erziehungsformen der Gesellschaft an, in
der er lebte. Es ist bei ihm nicht die Rede von einer Formung
des Menschen zum wahren Menschentum oder zur sittlichen
Persönlichkeit (63).