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Ausgabe:

1963

Spalte:

543-547

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Ritter, Karl Bernhard

Titel/Untertitel:

Die eucharistische Feier 1963

Rezensent:

Schanze, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 7

544

Ritter, Karl Bernhard: Die eucharistische Feier. Die Liturgie der
evangelischen Messe und des Predigtgottesdienstes. Hrsg. in Verb,
mit der Evangelischen Michaelsbruderschaft. Kassel: Stauda 1961.
518 S. 4°. Lw. DM 80.—; Ldr. DM 116.—; Perg. DM 150.-.

Der Vorläufer dieses stattlichen Agendenwerkes war K. B.
Ritters Buch „Gebete für das Jahr der Kirche", das in 2. Auflage
i. J. 1948 erschien. Der Vergleich beider Werke zeigt, daß
in der Zwischenzeit mit großer Intensität sowohl an der theologisch
-geistlichen Fundierung wie an der konkreten liturgischen
Gestaltung weitergearbeitet worden ist. Die Grundtendenz ist
6ich aber gleich geblieben. Das Werk ist nicht nur in seiner
schönen äußeren Gestalt, sondern auch in der Durchführung
seiner Intentionen eindrucksvoll und verdient ein genaues
Studium, das freilich erst durch praktische Erprobung beweiskräftig
werden könnte. An diesem Punkte aber tritt ein
Charakteristikum dieser Agende zutage: sie setzt — wenigstens
in ihren entscheidenden Partien — Gemeinden voraus, die in
der landeskirchlichen Wirklichkeit heute kaum zu finden sind.

Der Verfasser macht einleitend auf den eigenartigen Tatbestand
aufmerksam, daß diese Privatagende in einem Augenblick
erscheint, da die offizielle Agendenarbeit der Kirchen zu
konkreten Ergebnissen und amtlichen Beschlüssen gekommen
ist. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir seine Arbeit auf dem
Hintergrunde der neuen Agenden sehen und sie vor allem als
ein kritisches und weiterführendes Wort zu der Lutherischen
Agende I verstehen, an deren Vorarbeiten der Verfasser als
Mitglied der Lutherischen Liturgischen Konferenz selbst mit
tätig gewesen ist. — Ritters liturgisches Bemühen steht insofern
unter günstigeren Bedingungen als die Agendenarbeit der offiziellen
Kirche, als er nicht genötigt war, allenthalben Vorsicht
und Rücksicht zu üben auf unterschiedliche landeskirchliche
Wünsche, auf widersprechende Vorstellungen von gottesdienstlicher
Gestaltung, auf immer erneute Durchsiebungen in Synoden
, Konferenzen und Kommissionen, bei denen es fraglich ist,
ob der schließlich erzielte Kompromiß wirklich gestaltkräftig
und überzeugend ist. Ritters Arbeit, hinter der ein im wesentlichen
gleichgesinnter Kreis (die Michaelsbruderschaft) steht,
wirkt demgemäß mehr wie aus einem Guß und zeigt ein
klareres persönliches Profil. Auf der anderen Seite macht sich
in Ritters Arbeit das Fehlen eines regulativen Faktors bemerkbar
, wie ihn die nüchterne Wirklichkeit der durchschnittlichen
Gemeinden bildet.

In ihrer Grundstruktur entspricht Ritters Agende denen
der lutherischen Kirchen. Bs macht sich aber gegenüber der
Lutherischen Agende eine charakteristische Akzentverschiebung
geltend. Wir kennzeichnen diese in drei Punkten.

1. Schon der Titel des Buches „Die Eucharistische Feier"
- zeigt, daß hier das Sakrament eine betonte Mittelpunktstellung
bekommt. Und zwar das Sakrament des Altars nicht nur als
Vergewisserung der Sündenvergebung, sondern als Eucharistia,
als communio, als Vorgabe des eschatologischen Freudenmahls.
Das bedeutet nicht, daß die außersakramentale Verkündigung
entwertet werden soll. Ritter bietet auch brauchbare Vorschläge
für den reinen Predigtgottesdienst. Er vertritt im Unterschied
zur Lutherischen Agende die Meinung, daß ein sakramentloser
Gottesdienst lieber nicht nach der verkürzten Meßform, sondern
nach einer eigenen liturgisch bescheidenen Form gehalten
werden sollte. Das Werk ist also weitschichtig und durchaus
offen für vielerlei liturgische Möglichkeiten. Dazu gehört auch,
daß im Anhang Aufforderungen zum Kyrie und Gloria angeboten
werden für Kirchen, die hinsichtlich dieser Stücke dem
Brauch der Altpreußischen Union folgen. Im übrigen bestreitet
Ritter grundsätzlich die „unbiblische Trennung oder gar Gegenüberstellung
von Wort und Sakrament" (16,30).

Das eigentliche Interesse aber gehört der „Eucharistie",
dem in der Sakramentsfeier gipfelnden Gottesdienst. Für diesen
werden drei im Aufbau gleiche Formen geboten, die
„gesprochene", „gesungene" und „festliche". Kennzeichnend
für Ritters Konzeption sind folgende Punkte:

a. D«s Confiteor vor dem Eingangspsalm ist obligatorisdi, ebenso
das Laudamus nach dem Gloria.

b. Das fakultative Credo steht weder nach der Evangelienlcsung

noch nach der Predigt, sondern eret nach dem Offertorium als das
zur Präfation überleitende „Lobopfer" (208).

c. Das Offertorium (der „Opfergang") ist in doppelter Weise
aufgebaut: als Dankopfer der Gemeinde und als Darbringung der
Abendmahlselemente, über denen ein Segensgebet gesprochen wird
mit Betonung des Ineinander von irdischer und himmlischer Gabe.

d. Der Kern der Handlung ist das an das Sanctus sich anschließende
eucharistische Hochgebet, in dem die Einsetzungsworte, die
Anamnese („Das Gedächtnis der Erlösung"), die Epiklese (,,Die Bitte
um den Heiligen Geist"), die Fractio panis mit Elevation und zum
Abschluß das Vaterunser verbunden sind. Ritter wendet sich hier bewußt
ab von dem Brauch der lutherischen Reformation, die in herber
Einseitigkeit Vaterunser und Einsetzungsworte aus diesem Gefüge
herauslöste und als monumentale Blöcke stehen ließ. Was in der
Lutherischen Agende in der Form B der Abendmahlsliturgie nur
zurückhaltend ermöglicht wird, kommt bei Ritter zur vollen Entfaltung
.

e. In der Postcommunion findet sich die Lesung des (verkürzten)
Johannesprologs zwischen Dankgebet und Schlußkollekte, also nicht
wie in der römischen Messe nach der Entlassung. — Mit der Entlassung
verbunden ist ein „Sendungswort". —

Dieser kurze Überblick über einige wesentliche Besonderheiten
zeigt, welches starke Gewicht die Ausgestaltung des
eigentlichen Sakramentsaktes bekommt und wie dringlich das
Bemühen ist, durch die Wiedergewinnung altchristlichen Traditionsgutes
der Mahlfeier ihr Profil zu geben. Ritter praktiziert
hier in breiter Form, was in der liturgischen Diskussion der
letzten Jahre kräftig gefordert wurde (vgl. z. B. Peter Brunner,
Leiturgia I, 340—361) und dem auch die Lutherische Agende
sich nicht grundsätzlich verschlossen hat. Offen bleibt bei Ritter,
ob der konsekratorische Akt in den Einsetzungsworten oder in
der Epiklese zu finden ist. Beide sind mit Segensgestc und
signatio crucis verbunden. Man hat den Eindruck, daß hier
manches mit Absicht in der Schwebe gelassen worden ist.

Im Blick auf Luthers Kritik am Meßkanon, die sich in
erster Linie auf den Opfergedanken bezog und um dieses
Infektionsgiftes willen hier radikale liturgische Operationen
vornahm, wird man fragen, ob die Erneuerung des eucharisti-
schen Gebetes durch Ritter dieser Gefahr entgangen ist. Er
formuliert im Bezug auf das Opfer sehr behutsam: Durch
Christi Blut gereinigt nahen wir „dem Thron deiner Gnade in
der Kraft dieses reinen, heiligen allgenugsamen Opfers. In der
Gemeinschaft dieses heiligen Mahles bringen wir das Lobopfer
unseres Dankes . . . dar" (235). Ebenso wie beim Offertorium
ist hier der Gedanke an die eigene sühnende Leistung deutlich
vermieden (17). Es ist aber nicht zu übersehen, daß Ritters
„eucharistische Feier" einen wesentlich anderen Tenor hat als
Luthers reformatorische Meßordnungen. Das wird noch deutlicher
, wenn wir uns dem zweiten wesentlichen Kennzeichen
dieser Agende zuwenden.

2. Ritter betont in seiner grundlegenden Einführung „Von
der Aufgabe der liturgischen Bewegung" (15), daß das ..liturgische
Geschehen den ganzen Menschen nach Geist, Seele und
Leib angeht, ihn in allen seinen Schichten umgreift und in Anspruch
nimmt". Gegenüber der im Protestantismus üblich gewordenen
Verkürzung der „Verkündigung" auf akustische Belehrung
möchte er die verschüttete Ganzheit von Wort, Handlung
, Gebärde und Zeichen wiedergewinnen. In einem zweckfreien
, aber sinngeladenen Handeln soll die „liturgische Dimension
" wiedergewonnen werden, die durch das pädagogisierende
Mißverständnis des Gottesdienstes verloren gegangen ist und
sogar theologisch verdächtigt wird. Ritter steht hier - ohne es
auszusprechen — in schärfster Antithese etwa zu der Abwertung
des „Kultischen" bei Otto Weber und Götz Harbsmeier. Daß er
sich bei seinem Versuch, die Dimension de6 „Mysteriums"
_ er verwendet gern diesen vielschichtigen und unscharfen Begriff
— wiederzugewinnen, nicht nur auf Paul Tillich, sondern
auch auf Karl Barth beruft (15), ist nicht ohne Reiz. Hinter
all diesem Bemühen steht eine bestimmte Sicht der natürlichen
Dinge in ihrem Bezug zur Heilsoffenbarung, die theologisch
noch schärfer präzisiert werden möchte.

Negativ äußert sich diese Grundtendenz des Buches in
manchen temperamentvollen Äußerungen über die „Eintrocknung
der gottesdienstlichen Feier", die „Intellektualisierung durch