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Ausgabe:

1963

Spalte:

536

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wagler, Roland

Titel/Untertitel:

Der Ort der Ethik bei Friedrich Gogarten 1963

Rezensent:

Schrey, Heinz-Horst

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Theologische Literaturzeitung 8 8. Jahrgang 1963 Nr. 7

536

Problematik" (S. 59) fruchtbar zu machen. Trotz schwerwiegender
Bedenken (unkritisches Denken Augustins und der
Antike — heutige Emanzipation der Philosophie von der Theologie
und der Naturwissenschaft von der Philosophie) wird
dann der etwas hastige Versuch unternommen, „die augusti-
nische Konzeption der seminalis ratio, abgelöst vom damaligen
Weltbild darzustellen" und „ihre Ausbaufähigkeit für die
Gegenwart zu demonstrieren" (S. 60). Und zwar betont H. von
der Position aus, daß der Samengedanke den ewigen Ideen
Gottes gegenüber postexistent, dem Samen gegenüber inexistent
und dem Samenprodukt gegenüber präexistent ist, daß die
augustinische seminalis ratio, die formal logischerweise erweiterungsfähig
sei, „eine fundamentale Erkennbarkeit des Seienden
" involviere. In dieser Sicht begreife sich die Entdeckung
von Naturgesetzen „als wachsende Teilhabe des Geistes an den
der Natur mitgeteilten und in ihr inexistierenden Gottesgedanken
". Da der Samengedanke zugleich Kausalgedanke ist, muß
die „fortgesetzte Beteilung der Welt seitens Gottes nicht bloß
formal (platonisch), sondern auch kausal" aufgefaßt werden.
Die Samengedanken wirken sich als Ursachgedanken natürlich
auch „innerweltlich" aus; es zeigt sich, daß Gott die Welt nicht
nur mit Sein, sondern auch mit Werden ausgestattet hat (S. 61).

Natürlich bleibt, wie H. selbst betont, vieles an dieser
Herausarbeitung und Weiterführung augustinischen Gedankengutes
fragmentarisch und problematisch; es müßte wohl erneut
im Zusammenhang der gesamten Entwicklungslehre des Kirchenvaters
überprüft werden, auch von der Seite der Naturwissenschaften
her.

Halle/Saale Hans-Joachim D i es ne r

Bollnow, Otto Friedrich: Die Lebensphilosophie. Berlin-Göttingen
-Heidelberg: Springer-Verlag [1958]. VI, 154 S. kl. 8° = Verständliche
Wissenschaft, Bd. 70. Lw. DM 7.80.

Otto Bollnow versucht in diesem kleinen Band aus dem
Engpaß der Existenzphilosophie wegzukommen, indem er die
Ansätze der Lebensphilosophie, aus denen sie hervorgegangen
war, wieder in voller Breite zu entfalten versucht. Die Radikalisierung
der existentiellen Fragestellung wurde durch eine zu
große Verengung der Problembasis erkauft; „gegenüber der
Sorge, der Angst und der Verzweiflung darf man die Möglichkeit
des Vertrauens, der Hoffnung, der Dankbarkeit nicht länger
beiseitestoßen, sondern muß sie als Lebensphänomene mit
gleichem metaphysischen Rang anerkennen", sagt der Verf. in
seiner Einleitung. Über dieses Anliegen kann man sich nur
freuen, denn es gelingt dem Verf. tatsächlich, einen erstaunlich
weiten Horizont über die Existenzphilosophie hinaus zu
öffnen, wobei er sich mit der ganzen zeitgenössischen Anthropologie
in Konfrontation mit der klassischen Lebensphilosophie
(Klages, Simmel, Dilthey, Nietzsche, Bergson, Ortega y Gasset)
auseinandersetzt. Das Buch bekommt dadurch den Charakter
einer Einführung in die moderne Anthropologie, die in ihrer
Kürze und Prägnanz, in ihrer Lebendigkeit der Darstellung, in
ihren vorzüglich ausgewählten Beispielen auch aus der neueren
Literatur (Proust, Gide, Malraux, Rilke, Sartre) ein Spiegelbild
des modernen Lebens bietet, das imstande ist, auch viele Licht-
reflexe dieses Lebens aufzuweisen. (Suche nach Wahrheit,
Lebensgestaltung in der Form als Ausdruck der Kunst, die
Selbstgestaltung im Schöpferischen, die Bejahung von Schmerz
und Gefahr, usw. ). Wir möchten diese Schrift auch für den
Theologen als Orientierung über die neuere Anthropologie
herzlich empfehlen.

Basel Hendrik van Oyen

Adams, E. M.: Anxiety and Despair.

The Journal of Religion 42, 1962 S. 243—247.
Berger, H. H.: Aristoteles' formulering van het voorwerp van de

metafysiek.

Tijdschrift voor Filosofie 24, 1962 S. 215—241.
Gornall, Thomas: A Note on Imagination and Thought about
God.

The Heythrop Journal 4, 1963 S. 135—140.
H o 1 ] a k, J.: De structuur van Hegels wijsbegeerte.
Tijdschrift voor Filosofie 24, 1962 S. 3 51—403.

Jeuken, M.: De biologische evolutie met haar wij6gerig perspectief.

Bijdragen 24, 1963 S. 21—58.
Kern, I.: Die drei Wege zur transzendental-phänomenologischen

Reduktion Edmund Husserls.

Tijdschrift voor Filosofie 24, 1962 S. 303—349.
Krüger, Gerhard: Die Existenzphilosophie von Karl Jaspers.

Universitas 18, 1963 S. 147—155.

M üller-Lauter, Wolf gang: Zarathustras Schatten hat lange
Beine . . .

Evangelische Theologie 23, 1963 S. 113—131.
Peperzak, Ad.: Kan de verlichting ons verlichten?

Tijdschrift voor Filosofie 24, 1962 S. 243—278.
Tillich, Paul: Religionsphilosophie. Stuttgart: Kohlhammer [1962].

119S. kl. 8° = Urban - Bücher, die wissenschaftl. Taschenbuchreihe,

hrsg. v. F. Ernst, 63. Kart. DM 4.80.
Vogel, C. J. de: Participatie en causaliteit.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 17, 1962 S. 122—132.
Westermann, Claus: Die Illusion des Atheismus. Über das Phänomen
der elementaren Verwurzelung des Menschen in Gott.

Zeitwende XXXIV, 1963 S. 91—100.
Wolfs kehl, Otto: Jüdische Einflüsse auf das Geistesleben des

Abendlandes vom Mittelalter bis zum Pietismus.

Neue Sammlung 3, 1963 S. 45—59.

ETHIK

W a g 1 e r, Roland, Dr.: Der Ort der Ethik bei Friedrich Gogarten.

Der Glaube als Ermächtigung zum rechten Unterscheiden. Hamburg:
Reich 1961. 104 S. 8° = Theol. Forschung, wiss. Beiträge z. kirdil.-
evang. Lehre, hrsg. v. H.-W. Bartsch, F. Buri u. G. Harbsmeier, XXIV.
Kart. DM 8.—.

Wagler unternimmt es, aus dem Gesamtwerk Gogartens
synoptisch alle Aussagen zusammenzutragen, die etwas über die
ethische Frage aussagen. Der Titel eines der Hauptwerke
Gogartens gibt die Überschrift ab für den ersten Abschnitt:
Der Mensch zwischen Gott und Welt. Damit ist die auch für
die Ethik maßgebende Situation angesprochen, indem der
Mensch als Person ein Verhältnis zu Gott, zum Du und zu sich
selbst hat, als geschichtliches Wesen aber zugleich sich mit
seinem In-der-Welt-sein auseinandersetzen muß. Die Bedeutung
des Glaubens für das ethische Problem sieht Wagler darin
, daß wir durch den Glauben die Ermächtigung zum rechten
Unterscheiden gewinnen, nämlich im Sinne der reformatorischen
Rechtfertigungslehre zwischen unserem Gottesverhältnis, in dem
es unmöglich ist, daß wir uns einen eigenen Stand verschaffen,
und unserem Weltverhältnis, in dem die Sachlichkeit und die
Vernunft den rechten Weg zu weisen haben. Der Schlußteil der
Arbeit bringt Fragen und Kritiken anderer Theologen zu Wort
(R. Prenter, W. Joest, H.Ott, H. Diem und P. Althaus). Dabei
ergibt sich als grundsätzliche Erkenntnis, daß diese Kritiker von
anderen ontologischen Voraussetzungen ausgehen, als sie bei
Gogarten vorliegen. Jede Auseinandersetzung mit Theologen
müßte mit philosophischen Voraussetzungen beginnen, denn in
jeder theologischen Stellungnahme ist immer schon bewußt oder
unbewußt entschieden, in welcher Weise man sich der Philosophie
bedient. Diese an sich richtige Erkenntnis müßte durch
die andere noch ergänzt werden: daß durch das je verschiedene
Glaubensverständnis entschieden wird, welcher philosophischen
Voraussetzungen sich der Theologe bedient. Die Studie kann
als gute Einführung in die gesamte Theologie Gogartens gelten
, wenngleich der Autor sich zu sehr mit sainem Gegenstand
identifiziert, um kritisch Distanz zu ihm zu gewinnen. An einer
Stelle scheint mir eine von Barth herkommende Eintragung in
Gogarten vorzuliegen, nämlich wo der Autor behauptet, Gogarten
habe das politische Wächteramt der Kirche gelehrt
(S. 61 f.). Bezeichnenderweise fehlen dort auch die Gogarten-
Zitate, die sonst reichlich vorkommen. Zu dem, was soeben
über die kritische Distanz gegenüber dem Gegenstand gesagt
wurde, würde auch gehören, daß man deutlich macht, was aus
dem Prinzip der Hörigkeit praktisch-politisch gefolgert werden
konnte: die Anerkennung des Führerprinzips. Daß der Ontotogie
Gogartens eine sozialkonservative ontische Vorentscheidung
zugrunde liegt, wäre eine Erkenntnis gewesen, die bei
größerer kritischer Distanz vom Autor hätte herausgearbeitet
werden können.

Tübingen Heinz-Horst Schrey