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Ausgabe:

1963

Spalte:

534-535

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Holl, Adolf

Titel/Untertitel:

Seminalis ratio 1963

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 7

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Theologie in der gegenwärtigen protestantischen Theologie gende Beweise für das Dasein Gottes sind, für unzählige den-
<H. Bouillard, S. 95 ff.), wobei K. Barth besonders berücksichtigt kende Menschen unserer Zeit diese Beweiskraft in keiner Weise
wird - sein Name kehrt auch sonst auf manchen Seiten des haben? Was ist es um den Gottesbeweis, daß es ihm denen
Buches wieder; und endlich ein Beitrag von J. -H. Walgrave gegenüber, denen er doch gerade beweisen s o 111 e, so ergchen
über die Frage eines Gottesbeweises vom sittlichen Bewußtsein kann? (Vgl. G. Marcel, Du refus ä l'invocation S. 233). Be-
und der Werterfahrung aus (S. 109 ff.). Es folgen als dritte merkenswert auch die wiederholt und von verschiedenen VerGruppe
(Les conditions requi6es aux approches du mystere de fassern ausgesprochene Erkenntnis, daß eine gewisse cxistenzi-
Dieu) drei Aufsätze, die angesichts der Tatsache, daß die eile Bereitschaft und Fragestellung erwacht sein muß, um sich
Gottesbeweise in ihrer klassischen Form in dem geistigen Klima auf die Frage nach der Wirklichkeit Gottes überhaupt einzu-
der Gegenwart so weithin unüberzeugend wirken, nach den lassen, und dann noch einmal eine Bereitschaft und ein EntGründen
dieses Sich-ihnen-Versagens, und positiv nach den Schluß, den Gedankengang, der zu ihrer Bejahung führt, wirk-
existenziellen Bedingungen auch einer rationalen Gotteserkennt- lieh anzunehmen. Der Leser, der nicht an die katholische Lehre
nis fragen. Interessant ist hier besonders der Aufsatz von von der grundsätzlichen Möglichkeit eines rationalen Gottes-
P. Colin (Le theisme actuel et les preuves classiques de l'exi- beweises gebunden ist. fragt sich angesichts solcher Erkennt-
stence de Dieu, S. 135 ff.,) über die Kritik von Denkern wie nisse freilich, warum dann überhaupt noch von „Beweis" ge-
M. Blondel und G. Marcel an der traditionellen, der aristoteli- sprochen wird. Aber auf der andern Seite kann die Lektüre die-
schen Metaphysik verhafteten Form der Beweise und ihre Ver- ses Werkes dem evangelischen Theologen, wenn er als Gegner
suche, neue Wege des Denkens zur Gottesgewißheit zu finden. der natürlichen Theologie allzu freudig zu dem Zugeständnis
A. Dondeyne weist im folgenden Beitrag (S. 147 ff.) eine vor- bereit sein sollte, daß der Atheismus „rein rational betrachtet"
philosophische, noch unrcflcktierte, aber zur Reflexion drängende ebenso vernünftig ist wie der Gottesglaube, auch zu nützlicher
Erfahrung der Dascinsproblematik als existenzielle Bedingung Besinnung dienen. Wir werden unsererseits das Unternehmen
eines zur Bejahung Gottes führenden metaphysischen Denkens des Gottesbeweises nicht erneuern wollen. Wir sollten aber
auf. Es folgt der Beitrag von D. De Potter über den metaphy- mit den Autoren dieses Werkes darin einig sein, daß das Dasein
6ischen Charakter des Gottesbeweises und das zeitgenössische des Menschen in der Welt auf der praktischen wie auf der ge-
Denken (S. 167 ff.). Mit der vierten Gruppe (Les voies vers danklichen Ebene und bis ins Wissenschaftstheoretische hinein
Dieu) erreicht das Werk seinen Höhepunkt: die Ncuauslegung in Aporien steht, die die Frage nach der Wirklichkeit Gottes
des Gottesbeweises auf dem Hintergrund der vorangestellten faktisch sind — auch da, wo diese Frage sich selbst verErwägungen
über die geistige Situation, in der eine solche Neu- schweigt, sich mißversteht oder ihre Beantwortung anderswo
auslcgung heute geschieht. Hier steht voran eine eindringende sucht.

und umfangreiche, vordergründig-klischeehafte Vorstellungen Erlangen Wilfried Joest
durchstoßende Exegese der klassischen „fünf Wege" des Thomas

durch L. Charlier (S. 181 ff.). Es folgen einige bemerkenswerte Holl, Adolf: Seminalis Ratio. Ein Beitrag zur Begegnung der Philo-

Aufsätze, in denen von Ausgangspunkten moderner Welt- und sophie mit den Naturwissenschaften. Wien: Herder [ 19611. 66 S.

Selbsterfahrungen aus geradezu ncuformulierte Gottesbeweise gr. 8°. DM 8.—; ö. S. 48.—.

vorgelegt werden, die freilich ihrerseits als Interpretationen der Holl befaßt sich in dieser Arbeit mit einem zentralen Be-
fttnf viae von verschiedenen Gesichtspunkten aus verstanden griff der augustinischen „Entwicklungslehre", der in den letzsein
wollen. J. de Financc geht dabei aus von der Erfahrung ten Jahrzehnten - der Verf. konzentriert sich auf den Zeitraum
der menschlichen Freiheit (S. 229 ff.), F. Capitte von der fcrtan- zwischen den beiden großen Augustinus-Jubiläen 1930 und
Hing des menschlichen Scheiterns (S. 245 ff.), St. Breton von der 1954 _ starke Beachtung gefunden hat. Er setzt sich deshalb
tinheitsintention des philosophischen Denkaktes, die zu dem in mehreren Kapiteln (vier „Teilen", denen ein knappes Abfaktischen
Zerfallen in verschiedene und gegensätzliche „Philo- kürzungs- und Literaturverzeichnis angefügt ist) mit der Darsophien
" in einem aporetischen Verhältnis steht (S. 251 ff.). Stellung und Deutung dieses „Fachausdruckes" in der For-
Endlich versucht J.-D. Robert in sehr interessanten Ausruh- schung auseinander und versucht vorsichtig, einen Mittelweg
Hingen einen formellen Gottesbeweis aus dem Postulat eines zwischen der modernisierenden Richtung, die Augustin als
letzten Fundamentes der wissenschaftlichen Wahrheit (S. 267 ff.). geistigen „Vater Lamarcks und Darwins" (S. 33) sieht, und
Die fünfte Gruppe (Dieu de la philosophie et Dieu de 1» WJ einer rückwärtsgewandten Gruppierung, die ihn als Feind jedes
greift die Frage auf, wie sich in Unterschied und Zusammenhang Evolutionismus anspricht, einzuschlagen. Im Anschluß an
eine metaphysisch-rationale Gotteserkenntnis zu der Glaubens- Albert Mitterers Werk (Die Entwicklungslehre Augustins, Wienerkenntnis
Gottes aus seiner Heilsoffcnbarung verhält - eine Freiburg 1956) arbeitet er vor allem eine klarere Definition
Frage, die aber auch in den vorhergehenden Aufsätzen schon des Terminus „ratio seminalis" heraus, der nicht als „Ur-
imtner wieder sich zu Wort gemeldet hatte. Zwei Beiträge dieses keime", „Keimkräfte" oder „Samengründe" gefaßt werden
Schlußtcilcs sind ihr unmittelbar gewidmet: Cl.-J. Gcfrre, darf, sondern „Samengedanke oder -idee" (S. 42) bedeutet. Die
Theologie naturelle et revelation dans la connaissance de Dieu seminalis ratio hat dementsprechend „sämtliche Entwicklungs-
un (S. 297 ff.) und H.-D. Robert, Connaissance et inconnais- Vorgänge vom Samen bis zum Samenprodukt zum Inhalt"
sance de Dieu au plan de la raison (S. 331 ff.). Dazwischen steht (s 4?) und ^ operatjo Gottes zur Voraussetzung, der den
der interessante Aufsatz von H. Cornelis über die Theodizee Samengedanken (= Entwicklungsgedanken) gewiesen Element-
"11 indischen Denken (S. 319 ff.). Verbindungen mitteilte. Augustin wahrte damit „die Erst-
Auch wenn man als evangelischer Theologe dem Unter- ursächlichkeit Gottes im vollen Umfang, erkannte jedoch auch
nehmen des Gottesbeweises überhaupt und seiner thomistisdien (jem Q^j,^ (jn unsercm pa]l der seminalis ratio) eine eigene
form im besonderen kritischer gegenübersteht als die Teil- (Entwicklungs-) Ursächlichkeit zu". H. stellt von hier aus fest,
lehmer dieses Symposions, wird man in der in diesem Werk faß Augustin zumindest im Operationsfeld der seminalis ratio
niedergelegten Gedankenarbeit eine imponierende Leistung ^ Ursächlichkeit Gottes mit der Ursächlichkeit der Gesehen
. Das gilt für viele einzelnen Beiträge; es gilt aber ebenso schöpfe.. nabe „konkurrieren' lassen" (S. 45), womit er die
für die großzügige und umsichtige Methodik, mit der diese Re- scheinbare Alternative Schöpfung - Entwicklung aufhob.
Interpretation des Gottesbeweises im Milieu des g^™^1.C" H. setzt sich dabei ausführlich mit der Inkompetenz und
Denkens im Ganzen angelegt und aufgebaut ist. Das WJ» dem Dogmatismus bisheriger Deutungen auseinander und warnt
trotz der Vielzahl der Themen und Verfasser e.nen einhegen ^ ^ kurzschlüssigen geistesgeschichtlichen Parallelen.
Wist. Es ist bei a er Anlehnung an Thomas vorbildlicn rrei ja a„„„c.;„ j„m j,m,i;„.„
von dem Ton rcpristinicrcndcr Apologetik, aufgeschlossen für Von der Feststellung aus, daI Auju.t.n ^- dem *****
j,„ n ,, ,r , r, ■ — - c„ •„,. uompAfnswert, Weltbild entsprechend — die Entwicklung nur im phylogene-
Je Probleme des modernen Denkens. ^^SßStaS ^en Bereich geleugnet habe (Schöpfungsgeschichte!), nicht
wie stark versch edene Verfasser sich von der durch O. Maren 1 oereitn geieuguei r s j, ' ...
gestellten Frage bewegt zeigen: Wie ist es möglich, daß Ge- aber im ontogenetischen wirft er die Frage auf, ob es möglich
dankengänge, die uns - den katholischen Christen - überzeu- sei, d,e Naturphilosoph.e Augustins für die „gegenwart.ge