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Ausgabe:

1963

Spalte:

523

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Aland, Kurt

Titel/Untertitel:

Über den Glaubenswechsel in der Geschichte des Christentums 1963

Rezensent:

Nitzsche, Kurt A.

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Seite 1

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523

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 7

524

Fuchs, Ernst: Existcntiale Interpretation von Römer 7, 7—12 und
21—23.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 59, 1962 S. 285—314.
Grelot, Pierre: Jean VII, 38: eau du rocher ou source du Temple?

Revue Biblique 70, 1963 S. 43—51.
Käsemann, Ernst: Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 59, 1962 S. 257—284.

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES

Aland, Kurt: Über den Glaubenswechsel in der Geschichte des
Christentums. Berlin: Töpelmann 1961. 147 S. gr. 8° = Theol.
Bibliothek Töpelmann, hrsg. v. K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow
u. E. Schlink, 5. H. DM 12.-.

Dieser Studie liegen Vorlesungen des Verf.s an der Universität
Chicago im Jahre 1959 zugrunde. Die im Titel ange-
6prochene Weite des Themas, die „eine zusammenfassende Betrachtung
des Gesamtabiauf es" (Vorwort) verspricht, wird nur
zum Teil ausgefüllt. Über die Hälfte des Raumes ist der Ausbreitung
des Christentums in den ersten Jahrhunderten und
der Germanenmission gewidmet (14—73), dann folgt der Konfessionswechsel
in der Reformationszeit (73—94) und in der
Gegenwart (95—129), sowie Statistiken und Literaturhinweise.
Im letzten Teile beschränkt sich der Verf. auf die Konversionen
vom Protestantismus zum Katholizismus, während er die (heute
vielleicht wichtigeren) Übertritte zu Sekten und Pseudoreligi-
onen ebenso außer acht läßt wie die Übertritte vom Katholizismus
zum Protestantismus (die Betrachtung dieser „wird besser
von einem Katholiken durchgeführt — jedem steht die
Kritik an der eigenen Glaubensgemeinschaft besser an" [S. 97]
— wozu allerdings zu bemerken wäre, daß im Katholizismus
die „Perversion" kaum unter dem Gesichtspunkt der Kritik an
der eigenen Konfession behandelt werden würde). Auch der
Glaubenswechsel zwischen den großen Weltreligionen und in
der Heidenmission bleibt außer Betracht.

Die Motive des Glaubenswechsels gewinnt der Verf. paradigmatisch
in den ersten Kapiteln: echt religiöse Motive, die
vor allem wirksam sind, solange das Christentum in der Minderheit
ist, daneben später „nicht-theologische Motive", Gewalt
oder Opportunismus, je mehr die Minderheitensituation
schwindet. Hinsichtlich der Motive des Übertrittes zum Katholizismus
geht er von Essinger aus (der wiederum auf Vogelsanger
fußt - vgl. Sp. 63 f. ds. Jgs.), verändert aber dessen
Motivkreise, so daß er zu folgender Gruppierung der Übertrittsmotive
kommt: „1. Suchen nach Autorität, nach Sicherheit, Gewißheit
, Geborgenheit; 2. Suchen nach dem religiösen Erlebnis
einer anschaubaren, faßbaren Frömmigkeit (Ästhetik, Mystik,
Liturgie); 3. Einflüsse der Umwelt (gemischt katholisch-evangelische
Ehen, Begegnung mit beispielhaft lebenden oder wirkenden
Katholiken usw.)". Sie alle stehen unter dem „Hauptmotiv
": „Ungenügen oder Anstoß am vorgefundenen evangelischen
Christentum, das entweder seine Kräfte unzureichend
entfaltet oder nicht imstande ist, bestimmte Anfordernugen zu
erfüllen, ohne in der Lage zu sein, von der Illegitimität dieser
Anforderungen zu überzeugen bzw. sie in rechte Bahnen lenken
zu können" (S. 119). „Nicht-theologische Faktoren" läßt
Verf. hier außer Betracht, fügt aber den genannten Motiven
noch ein neues hinzu: „Romantisierende Schau der Geschichte,
insbesondere der Geschichte der Kirche" (123), das er bei Erik
Peterson und Heinrich Schlier wirksam sieht. Leider begnügt er
sich hier nur mit wenigen Andeutungen — es müßte außerordentlich
aufschlußreich sein, hier weiter zu denken, zumal
wenn man in Betracht zieht, welche Rolle ein solcher Kirchengedanke
in der römisch-katholischen Propaganda spielt, nicht
zuletzt auch beim Konzil.

Bensheim Kurt Nitzschke

Jeschke, Josef B., u. Frantisek M. Dobias: Unitas fratrum.

Zwei Beiträge aus der tschechischen Brüderunität. Berlin: Evang.

Verlagsanstalt [i960]. 55 S. gr. 8° = Aufsätze und Vorträge zur

Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. v. E. Schott u. H. Urner,

H. 12. Kart. DM 2.70.

Es ist sehr zu begrüßen, daß der Vortrag von J. B. Jeschke,
des Professors für Praktische Theologie in der Comenius-Fakultät
in Prag über den „Hirtendienst in der alten Brüderunität"

und der Beitrag des Professors F. M. Dobias über „die ökumenische
Weite in der Theologie der Böhmischen Brüder" einem
weiteren Kreise zugänglich gemacht worden sind. Denn Forschungsarbeit
in der Kirche der Böhmischen Brüder ist uns aus
sprachlichen Gründen schwer zugänglich. Neben dem Werk von
Rudolf Rican, Die Böhmischen Brüder (ihr Ursprung und ihre
Geschichte, Berlin o. ]., nach 195 8), dem ein Kapitel über die
Theologie der Brüder von Amedeo Molnär beigefügt ist, machen
die beiden Beiträge, die von Hans Urner eingeführt sind, uns
in kurzen Zügen mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung
bekannt und heben wesentliche und für unsere Gegenwart bedeutsame
Gegenstände aus der Geschichte und der Theologie
der Böhmischen Brüder hervor. „Sie (die Brüderunität) 6ah in
der Gemeinde denjenigen Ort in dieser Welt, wo Gottes Befehle
gehört werden sollen und wo sich alles Leben ihrer Mitglieder
nach den gnädigen Geboten Gottes richten soll. Christus
als das einzige Haupt der Kirche 6oll in seiner Souveränität
herrschen, und seine Herrschaft soll sich darin erweisen, daß
konkrete Menschen in ihrem Beruf, in ihrem Lebenswandel, wer
sie auch seien, den Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber auf
sich nehmen sollen" (S. 37). Es tritt klar heraus, daß das
Gemeindeleben in all seinen Verzweigungen das die Brüder
hauptsächlich unterscheidende Merkmal gewesen ist, daß in der
gegenseitigen Verantwortlichkeit das allgemeine Priestertum tatsächlich
ausgeübt — mehr als theologisch begründet — wurde
und daß mit dem „neuen Anfang", zu dem die Brüder sich
entschlossen, ein neuartiges Amt geschaffen wurde, das mit
„Hirtendienst" zutreffend beschrieben und im Unterschied zu
aller Hierarchie als ein geordnetes Laienpriestertum angesehen
werden kann.

Joseph Müllere Geschichte der Böhmischen Brüder (3 Bde.
1922 ff.) ist noch immer das Standardwerk. Jeschke setzt aber
einige neue Akzente: er weist hin auf den Widerspruch gegen
die „Schwertgewalt" in der Kirche, die Bedeutung der „Schwestern-
ältesten", das Verhältnis der Böhmischen Brüder zu Martin
Buccr, den (überwundenen) Einfluß des asketischen Armutsideals
des Mittelalters, und den Versuch, sich von der feudalen
Gesellschaftsordnung zu emanzipieren. Überraschend ist die
stark negative Beschreibung der Ergebnisse des Hirtenamtes.
Hier sind Ansatzpunkte für eine weiterführende Diskussion wie
auch hinsichtlich der Unterscheidung zwischen einer tschechischen
und einer Weltreformation und der Beurteilung des gegenseitigen
Verhältnisses. „Luthers innerlichste Erkenntnis und
Überzeugung von der Rechtfertigung aus dem Glauben und aus
deT Gnade allein war für 6eine neuen Anhänger in Böhmen ein
Schritt vorwärts. Die Brüder haben besonders später diese Erkenntnis
völlig anerkannt. Aber die Zentralfrage der tschechischen
Reformation und auch der Brüder war doch von Anfang
an anders gestellt. Die Heilsgewißheit hat sie gequält, aber die
Frage nach dem Willen Gottes trat bei ihnen in den Vordergrund
. . . Während die Brüder das Gesetz Christi gelten lassen
wollten, ist die Reformation Luthers durch die alleinige Gnade
bestimmt" (S. 30 Anm.). Ob nicht die Äußerung des Comenius
„So sind wir daheim selber unter uns unfruchtbar geworden
(wie es mit jedem Ding zu geschehen pflegt, dessen Inneres
schwach wird, daß es auseinanderfällt)" (S. 36) auch im Blick
auf diesen Unterschied gedeutet werden darf? Immerhin haben
die Lieder der Böhmischen Brüder evangelischer Erkenntnis in
hohem Maße bleibenden Ausdruck verliehen.

Die ökumenische Weite in der Theologie der Böhmischen
Brüder wird nach Schriften des Comenius, aber auch älteren
Dokumenten, in dem Beitrag von F. M. Dobias dargestellt. Als
Kennzeichen der wahren Kirche erscheinen Gehorsam, Liebe und
Leiden, ihre Einheit wird als in Christus selbst bereits gegeben,
der Weg in das eigene Kirchentum oder richtiger zur eigenen
Gemeindegestaltung als in der „Not der Erlösung" und in der
Sehnsucht nach der Gemeinschaft der Heiligen begründet angesehen
. Es liegen hier m. E. Ähnlichkeiten mit den Einheitsgedanken
im Pietismus vor. Die Unität habe in dreifacher
Weise zu einem „ökumenischen Klima" in einer wahrlich unökumenischen
Zeit beigetragen: Absage an konfessionelle Exklusivität
, sorgfältiges Zuhören und Eintreten für religiöse Frei-