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Ausgabe:

1963

Spalte:

468-470

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Glöckner, Reinhard

Titel/Untertitel:

Der Mensch zwischen Ontologie und Personalismus in der philosophischen und theologischen Darstellung Paul Tillichs 1963

Rezensent:

Glöckner, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 6

468

europäischen Geistesgesdiichte besinnt; dazu würde nach Ansicht des
Verfassers ein nicht in der Methodologie des Neukantianismus verzerrtes
„verwissenschaftlichtes Denken" (vgl. die Husserl-Kritik
Adornos) gehören, wie es Kant in seiner Kritik reiner Vernunft ausgebreitet
hatte; ferner aber auch auf die erkenntnis-kritischen Quellen
dieser Geistestradition selber zu verweisen, die zuerst umfassend
von Luther in ,De servo arbitrio' konzipiert wurden. Freilich ist ein
von daher und nur so freies Denken zugleich das Glauben (nicht
der Glaube, wie Kierkegaard nie müde wird zu betonen) und nur
darin solche Freiheit Geschichte (,Zu der wir berufen sind, die uns
zur Lehre geschrieben ist') und die in ihrer .transzendentalen Apperzeption
' die Grenzen ihrer Historizität mit allen historischen Theoremen
überwindet. Am Anfang dieser Freiheit steht aber dann nicht
eine habituelle Rationalität (wie Max Weber meinte), sondern die
Geschichte selber, die nicht nur einmal ,den Juden ein Ärgernis und
für die Griechen eine Torheit' war und in der evangelischen Predigt
als Kontinuum der Geschichte — und ohne sie wird es keine erkenntniskritische
Freiheit und darin nur eine Geschichte als Mythos geben —
aber die Predigt vom Tod Gottes am Kreuz ist.

Fey, Reinhard: Arnos und Jesaja. Abhängigkeit und Eigenständigkeit
des Jesaja. Diss. Göttingen 1961. 108 S., 53 S. Anm., XVI S. Lit.

Karl Budde hat wiederholt auf den „unmittelbaren Einfluß der
Gedanken und Redeweise des Arnos auf Jesaja" hingewiesen, hat aber
an keinem Ort dieses Abhängigkeitsverhältnis gesondert untersucht.
Seine Anregungen blieben ungeprüft und unverwertet. Dabei ließe
bereits ein Einzelvergleich von Am 6,1—7 und Jes 5,11—13 erkennen
, wie eng Jesaja sich formal und inhaltlich an Arnos anschließt.
Über die allgemeine Traditionsverflochtenheit hinaus, an welcher die
Verkündigung beider Propheten teilhat, muß spezielle Abhängigkeit
Jesajas von Arnos behauptet werden. Das relativ geringe überlieferte
Vergleichsmaterial läßt immerhin erschließen, daß Jesaja mindestens
ein Drittel der uns erhaltenen Amoseinheiten gekannt hat.

Die Überprüfung der äußeren, sprachlichen Abhängigkeit Jesajas
von Arnos läßt sich unmöglich von der Klärung der inneren, theologischen
Beeinflussung trennen, wie es K. Groß und J. W. Miller in der
Anlage ihrer entsprechenden Arbeiten über Hosea - Jeremia bzw. Jere-
mia - Ezechiel versucht haben. Der Aufbau der Untersuchung Amos-
Jesaja ist bestimmt durch die Einsicht, daß ein Vergleich jeweils nur
charakteristische Merkmale für beide Seiten zutage fördern, nicht aber
zugleich die Funktion der herausgelösten Elemente sichtbar machen
kann. Es wird darum zunächst eine Skizze der Amosverkündigung
entworfen, mit deren Hilfe die Jesajasprüche planvoll gesichtet werden
können. Auf dem Hintergrund der damit für Arnos bereits gewonnenen
Ergebnisse treten in den anschließenden Einzelvergleichen,
Begriffsuntersuchungen und Strukturanalysen die theologischen Merkmale
der Verkündigung Jesajas um so deutlicher hervor. Ein Schlußteil
kann nunmehr, die aufgefundenen theologischen Motive und
Linien ausziehend, auch die Verkündigung Jesajas funktional nachzeichnen
und somit ihre Eigenart darstellen.

Abhängigkeit und Eigenständigkeit in Jesajas Verhältnis zu Arnos
lösen einander nicht zeitlich ab. Noch bis in seine spätesten Worte
hinein schöpft Jesaja Gehalte der Amosverkündigung aus, und schon
seit Beginn seiner Wirksamkeit setzt er sich zugleich kritisch mit ihr
auseinander.

Vor allem thematisch, weniger in der Durchführung, folgt
der frühe Jesaja dem Vorbild des Arnos. Die mehrmalige Zusammenziehung
thematisch verwandten Materials durch Jesaja verrät, daß er
stellenweise sehr bewußt auf die Amosverkündigung zurückgreift.
Auf der ganzen Linie entfaltet und verdeutlicht Jesaja seine Vorlagen
. Sinngemäße Wiedergabe einer Arnos-Aussage zieht er deshalb
bloßer Übernahme vor. An der Begriffsentwicklung der Stichworte
ftpTlt und läßt sich die zunehmende Distanzierung Jesajas von

Arnos ablesen.

In der Aneignung und Verarbeitung des theologischen
Gehaltes der entsprechenden Amosworte ist Jesaja sehr beweglich.
Aus dem Wechselverhältnis von Abhängigkeit und Eigenständigkeit
ergeben sich mehrere hermeneutische Grundformen: genaue Entsprechung
, Weiterführung, Motivverschiebung, Übertragung, Interpretation
des Arnos durch Arnos, einseitiges Verständnis, Selbstkorrektur, Verkehrung
ins Gegenteil.

Alle in den Einzelvergleichen hervortretenden Merkmale der
Verkündigung Jesajas haben einen gemeinsamen Beziehungspunkt :
Jahwes Erhabenheit. Für Jesaja bedeuten Rechtsbrüche mehr als soziales
Verschulden, nämlich Schädigung des Hoheitsbereiches Jahwes;
im Kultus sieht er nicht nur Ungehorsam, sondern die Verletzung der
Ehre Jahwes; menschlicher Hochmut ist, über das Vergehen am Mitmenschen
hinaus, Beleidigung der Majestät Jahwes. Sowohl in der Geschichte
als auch im Bereich des Rechts sieht Jesaja Jahwe handeln,
den Menschen aber die Absicht Jahwes verfehlen. Diese zentrale Be-

zogenheit und Konvergenz verschiedenster theologischer Aussagen
ist wesentliche« Kennzeichen jesajanischen Denkens.

Die Amosbotschaft ist eine unter vielen Überliefcrungsquellen,
aus denen Jesaja geschöpft hat. Niemals jedoch hat die Beeinflussung
durch Arnos oder durch irgendeine andere Tradition die Eigenart der
Verkündigung Jesajas unkenntlich gemacht. So sehr auch der Berufungsbericht
c. 6 die Kontinuität zu Arnos betont und so sehr
30,8 — 11 die Solidarität aller prophetischen Botschaft herausstellt,
Jesajas Verkündung ist von vornherein mehr als eine Wiederholung
vorgeprägter Aussagen. Eine bloße Gegenüberstellung von c. 6 und
30,8—11, von 8,11 — 15 und 1,2—3 genügt, die eigentümliche Spannweite
der Theologie Jesajas zu ermessen.

Im Heiligkeitsbegriff von Jes 6 wird das Urdatum der Verkündigung
Jesajas greifbar. Jahwe ist der unnahbar Heilige; Gericht und
VerStockung kennzeichnen sein Verhältnis zu Israel. Schon der frühe
Jesaja hält diese einseitige Auffassung nicht durch und spricht, wenngleich
vereinzelt, daneben von der Zuwendung Jahwes. Ein theologischer
Entfaltungsprozeß größten Ausmaßes beginnt sich abzuzeichnen.
Ausgangspunkt der Spätzeitverkündung ist das Wissen um die Israel
zugewandte Heiligkeit Jahwes; dem göttlichen Angebot entspricht die
Entscheidungsfreiheit des Menschen. Der Wandel in der Gottesauffassung
ist unverkennbar.

In seiner Gottesbezeichnung „Heiliger Israels" vereint Jesaja die
Gegensätze: die Dialektik von exklusiver und inklusiver Heiligkeit
Jahwes bestimmt seine Botschaft. Trotz der Ablehnung, die vornehmlich
dem Heilsangebot Jahwes und dem Aufruf zum Glauben widerfährt
, hält Jesaja dennoch an seiner ambivalenten Gottesbezeichnung
als an einer unverrückbaren Gegebenheit fest und kehrt nicht zu
einem a priori wie Am 9, 7 zurüdc.

Im Zuge dieses Entfaltungsprozesses verläßt Jesaja mehr und mehr
die einheitlich an der exklusiven Heiligkeit Jahwes ausgerichtete Amosverkündigung
, er durchbricht, und zwar von Anfang an, das kollektive
Urteil über Israel sowie die Ansage totalen Gerichts, und er geht von
der z w e i taktigen Verkündigungsweise des Arnos (Schuld Israels —
Gericht Jahwes) zu einem theologisch umfassenderen Dreisatz über
(Heilsangebot Jahwes — Ablehnung Israels — Gericht Jahwes).

Glöckner, Reinhard: Der Mensch zwischen Ontologie und Personalismus
in der philosophischen und theologischen Darstellung bei
Paul Tillich. Diss. Jena 1962. 176, XV S.

Mit besonderer Berücksichtigung der Erkenntnistheorie kommt in
dieser Dissertation Tillichs Prinzip der Einheit des Seins als in dynamischer
Offenheit gebrochener Unmittelbarkeit zur Darstellung und
zur Überprüfung anhand einiger von anderen Autoren vorgelegter
Kritiken bzw. Einheitsvorstellungen.

Nach der Vorklärung der Begriffe Ontologie und Pcrsonalismus
in ihrer Bedeutung bei Tillich und nach dem Aufweis der den
Determinismus bzw. die Freiheit betreffenden Strukturen beider Begriffe
wird der Mensch als der bei Tillich so gesehene Träger von
sowohl Ontologie als auch Freiheit in den Mittelpunkt der Untersuchung
gerückt.

In der Darstellung der philosophischen Aussagen Tillichs steht
zu Beginn sein Einheitsprinzip. Die Unmittelbarkeit von Seiendem zum
Sein ist nicht kontinuierlich deduzierbar, sondern sie geschieht im
dynamisch offenen und darum Geschichte fordernden Sprung. Die Unmittelbarkeit
ist nicht zerstört, aber gestört; die Einheit des Seins
ist nicht zerbrochen, aber gebrochen. Die Gebrochenheit der Seinseinheit
als indirekte Unmittelbarkeit des Seins zu Seiendem zeigt «ich
unter den Bedingungen der Existenz als Entfremdung des jeweils
Seienden von der Essenz. Der Mensch weiß sich darum entfremdet
von seiner Essenz, seiner wesenhaften Formung, der Forderung seines
Wesens im Gewissen, und er weiß sich gebunden an die Existenz
und doch der Existenz gegenüber als frei. So ist das menschliche
Personsein zu verstehen als Sein in endlicher Freiheit. Als zentriertes
Seiendes gegenüber dem Sein zeichnet sich das menschliche Scins-
zentrum als geistig aus. Geist aber zeigt sich u. a. als Vernunft, als
Vernunft in der doppelten Weise von ontologischer und technischer
Vernunft. Darum ist selbst das Werkzeug des Denkens, die Sprache,
gebunden an die tiefdeutige Aussageweise in Symbol und Mythos. Da
die Verbindung von ontologischer Vernunft als Zugang zur Tiefe des
Seins mit technischer Vernunft als strukturergreifender und -formender
ratio nicht zwangsläufig einsichtig konstruierbar, sondern im
Sprung dynamisch offen ist, wird als wesentlich für das Sein des
Menschen in Freiheit die Bedeutung der gebrochenen Unmittelbarkeit
in der Einheit des Denkens an dieser Stelle betont. Freiheit wird an
dieser Stelle verwurzelt gesehen und darum als sprunghafte Offenheit
und als Ausdruck der Zweideutigkeit des Seins aufgewiesen in der
Bindung der Freiheit des Menschen an die Bedingungen der Endlichkeit
. Menschliches Personsein als endliche Freiheit und als ontolo-
gischc Frage nach dem Sein wird somit bei Tillich als Frage nach dem