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Ausgabe:

1963

Spalte:

451-453

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schempp, Paul

Titel/Untertitel:

Gesammelte Aufsätze 1963

Rezensent:

Echternach, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 6

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„VI. Geschichte, Auferstehung und Gesetz" (S. 138—154).
Die kardinalen Aussagen werden hier in folgenden Urteilen
zusammengefaßt: „Bei der Auferstehung Jesu Christi stehen
wir einer Anomalie gegenüber. Diese Auferstehung ist einzigartig
, sie hat keine Parallele. Sie ist der Ausgangspunkt für die
Interpretation der ganzen übrigen Geschichte der christlichen
Gemeinde" (138). Im Unterschied zu A. M. Ramsey's „Mirakel"-
Begriff (S. 150) möchte Niebuhr jedoch nicht den Wunderbegriff
auf die Auferstehung Jesu anwenden, denn „das schlösse ein,
daß die Auferstehung zu einer Klasse von Phänomenen gehört,
die durch ihre negative Beziehung zur Natur gekennzeichnet
ist. Aber die Auferstehung Christi verletzt nicht die Natur, sondern
nur den Tod. Sie ist eine abgekürzte Darstellung der ursprünglichen
Schöpferkraft, von der alle Geschichte geformt
wird und die jedem Begriff der Natur zugrunde liegt" (150).
Charakteristisch ist jedoch, daß hier auch der Ansatzpunkt für
eine legitime christliche Naturtheologie gegeben scheint.

Dieses komprimiert geschriebene Werk Niebuhrs enthält
eine Fülle vortrefflicher theologischer Beobachtungen und verdient
besondere Beachtung hinsichtlich seiner kritischen Analyse
der „historischen Kritik", welche die Theologie gezwungen
hat, „die Auferstehung Jesu von ihrer zentralen Stellung an die
Peripherie der christlichen Lehre und Verkündigung zu drängen,
weil der ursprüngliche Auferstehungsglaube den modernen Gesetzen
der Historizität strikt widerspricht" (9). Von nicht geringerer
Bedeutung sind seine im Zusammenhang damit stehenden
kritischen Urteile über Bultmanns Hypothesen, die er in
Kontinuität mit der „philosophischen Form" der „Erneuerung"
der neutestamentlichen Überlieferung seit D. F. Strauß erblickt.
„Die Überlieferung . .. wurde von der Kritik aufgelöst, nur um
in einer mehr .philosophischen' Form erneuert zu werden.
Dieses Phänomen ist ein Grundzug der biblischen Theologie
von David Friedrich Strauß' ,Das Leben Jesu' bis zu Rudolf
Bultmanns Aufsatz über die neutestamentliche Mythologie" (12).
„So wird alles Wissen von Gott auf einen rein formalen Begriff
nach der Art Kants reduziert, und zwar durch die Einschränkung
der Bedeutung auf solche Feststellungen, die von
einer phänomenologischen Analyse des inneren Selbst hergeleitet
werden" (51). „Bultmanns Konzeption des .geschichtlichen Ver-
stehens' macht eine Erfassung der gegenwärtigen Situation der
Kirche, in der für sie der Jesus der Geschichte problematisch
geworden ist, völlig unmöglich" (125). „Ohne eine historische
Basis in der Erinnerung ist der existentielle .Christus des Glaubens
' eine unaussprechliche Erfahrung der Religiosität" (125).

Die kritischen und positiven Überlegungen Niebuhrs dürfen
als für die theologische Arbeit, sowohl am Neuen Testament
wie systematisch, fruchtbringend und anregend gekennzeichnet
werden, eine bedeutungsvolle Leistung, die ernsthafte
Beachtung erfordert. Wer selbst aber eine „theologia resurrec-
tionis" stets als die entscheidende Mitte der Theologie angesehen
und sich um ihre Realisierung bemüht hat, wird dieses
Buch besonders dankbar begrüßen.

Erlangen Walter Künneth

Schempp, Paul: Gesammelte Aufsätze. Hrsg. v. Ernst B i 2 e r.
München: Kaiser 1960. 303 S. 8° = Theologische Bücherei, Neudrucke
u. Berichte aus dem 20. Jahrhundert, Bd. 10: Systematische
Theologie. Kart. DM 12.—.

Das Werk eines Verstorbenen zu rezensieren ist nicht ganz
leicht. Die Besprechung soll sich beschränken auf das, womit
er uns jetzt noch zum Gespräch nötigt. Dies um so mehr, als
von den 18 Aufsätzen mehrere aus Jahren und Situationen
stammen, die weit zurückliegen: eineT von 1932, drei aus den
Vorgängen und Fragen des Jahres 1933, mehrere aus den weiteren
30er Jahren, Ob ihre Veröffentlichung heute noch sinnvoll
war, erscheint in einigen Fällen fraglich. Unbedingt aktuell aber
ist in allen das vielschichtige Erbe des Luthertums. Gerade
diese Vielgestaltigkeit wird eindrucksvoll sichtbar — so daß
man am Ende fragen möchte, ob es überhaupt auf eine Formel
gebracht werden kann; ob es überhaupt in der Lage ist, eine
Konfession zu bilden oder vielmehr nur eine Fülle von logisch
nicht ausgleichbaren Impulsen auszustrahlen, die sich erst in
ökumenischer Weite entfalten und erst so fruchtbar werden
können. Etwas von der aufregenden Dynamik des eigentlichen

Luther teilt sich durch dies Buch dem Leser mit — und das ist
auf alle Fälle etwas. — Unter diesem Gesichtspunkt sei besonders
auf den Aufsatz „Das Abendmahl bei Luther" hingewiesen
. Die entscheidenden Impulse werden sehr deutlich und mit
prägnanten Formulierungen herausgestellt: „ Seine scheinbare
Spitzfindigkeit und Rechthaberei ist in Wirklichkeit der vorbehaltlose
Respekt de6 Hörens und Gehorchens" (88). „Es geht
immer um die Vergewisserung der Wahrheit und zugleich Wirklichkeit
der Gegenwart Christi" (89). Weil es kein Menschenwerk
ist, ist es unabhängig vom Spender und Empfänger, von
ihrem Glauben und ihrer Würdigkeit; gerade aus dem Kampf
gegen die Meßopferlehre folgt zwingend die manducatio indig-
norum (89 f.). Darum duldet das Abendmahl überhaupt keinen
menschlichen Maßstab der Beurteilung, weder die Vernunft,
noch das Bedürfnis, noch die Frage nach dem Nutzen (90).
Ebenso deutlich wird das Motiv der Inkarnation (91) herausgearbeitet
und von hier die Leiblichkeit (100) und mit ihr die
Beziehung zur Auferstehung (105). Soweit sind die Ausführungen
Schempps trotz allem, was seither über diese Fragen geschrieben
wurde, immer noch aktuell. Dagegen dürfte die
Auseinandersetzung mit der katholischen Opferlehre durch die
neuere Diskussion überholt sein. Ebenso zentral wird an anderer
Stelle die Kindertaufe mit dem „Sola gratia" begründet
(147 f.). Auch das „Gutachten" anläßlich eines 1947 geplanten
„Tages der kirchlichen Einheit" (122 ff.) ist in der heutigen
Zeit mit ihren Versuchungen zu einer oft etwas kritiklosen
ökumenischen Verbrüderungssucht eher noch aktueller geworden
, besonders in seiner klaren und zentralen Abgrenzung
gegen alle Formen erlebnisgegründeten Freikirchentums: „Der
Angefochtene ist im Stich gelassen, denn er soll ja selber entscheiden
, wo die wahre Kirche ist, und der Selbstgerechte ist
gekräftigt..." (124). Auch die Abhandlung „Schuld - Sühne
— Heil" (171 ff.) ist in mehrfacher Hinsicht aktuell: Der Sühnecharakter
der innerweltlichen Strafe (wobei Sühne und Vergeltung
scharf zu unterscheiden sind) erschließt erst den Blick auf
das Sühnewerk Christi. Sehr umfassend wird die Frage erörtert
„Ist Luthers Stellung zum Staat heute revisionsbedürftig?"
(221 ff.) und verneint. In diesem Problemkreis schneiden sich
eigentlich alle Linien von Luthers Theologie. Hier trifft seine
abgründige Schau in die Tiefen der Sünde zusammen mit seinem
unzerstörbaren Schöpfungsglauben. Besonders eindrucksvoll
wird die abgrundtiefe Wesensverschiedenheit von Staat
und Kirche sichtbar. „Der Staat schafft nämlich eine Scheinwirklichkeit
des Menschen und kann gar nicht mehr als das tun.
Wenn die wahre Wirklichkeit des Menschen zutage tritt, dann
herrscht Umsturz und Anarchie" (249). Darum der hilflose
Grimm Luthers gegen das beginnende Staatskirchentum! Trotzdem
bleibt die Frage offen, ob die inzwischen eingetretene
Wandlung zum modernen National- und Weltanschauungsstaat
genügend berücksichtigt worden ist.

Problematischer erscheint mir der Aufsatz „Die christliche
Freiheit nach Luther" (295 ff.). Er zeigt beispielhaft die Schwierigkeit
jeder Lutherinterpretation: daß jede „Theologie Luthers"
einseitig bleiben muß, daß man mit durchaus richtigen Zitaten
ungefähr alles beweisen kann (zumal, wenn man nicht genau
die Sprechrichtung beachtet). So dürfte die Grundthese, daß es
für Luther vor allem die absolute Freiheit Gottes sei, die jede
menschliche Freiheit ausschließe, doch wohl nur eine Perspektive
neben andren bedeuten. Schon in „De servo arbitrio .. ." (das
man nie anführen sollte, ohne die Vorgeschichte von der 13.
Heidelberger These über die „Assertio omnium articulorum . . ."
mit ihrer starken Differenz zwischen dem deutschen und dem
lateinischen Text zu beachten) ist der Tatbestand viel komplizierter
, und auf CA XVIII wird nur flüchtig eingegangen. Besonders
klar tritt die Problematik dieser Schau heraus, wenn dieser verabsolutierte
und abstrakte Begriff der göttlichen Freiheit ausgespielt
wird gegen jede Art von Gestaltung, Ordnung und kirchlicher
Form (217 ff.) - bis hin zu dem Satz, daß „auch Ehe,
Einigkeit, Friede, Kirche, Ordnung" gottlose Bindungen der
Welt sein können (219). Hier wird offensichtlich die frühe dialektische
Theologie in Luther hineininterpretiert. Dementsprechend
wird die Bedeutung der Schrift „Von der Freiheit eines.