Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1963

Spalte:

440-441

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Der Lübecker Christenprozess 1943 1963

Rezensent:

Schmidt, Kurt Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

439

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 6

440

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und Johann Arnos
Comenius. Und nun darf ich die Leser dieser Zeitschrift
zum fleißigen Studium des Bandes ermuntern.

Hannover-Kleefeld Hermann Schuster

i V a 1 j a v e c, Fritz : Geschichte der abendländischen Aufklärung.

Wien-München: Herold [1961]. 378 S. gr. 8°. Lw. DM 29.80.
Liebing, Heinz: Zwischen Orthodoxie und Aufklärung. Das philosophische
und theologische Denken Georg Bernhard Bilfingers.
Tübingen: Mohr 1961. VII, 132 S. gr. 8°. Kart. DM 14.50.

Die beiden Arbeiten zur Aufklärung erschienen gleichzeitig
. Ihre Gegenüberstellung ist reizvoll, weil sich schon äußerlich
gesehen kaum größere Gegensätze denken lassen, als sie in
dem posthum herausgegebenen Überblick eines bekannten
Kulturhistorikers und der Spezialuntersuchung eines Habilitanden
zum Ausdruck kommen.

Fritz Valjavec (f 10. 2. 1960) starb viel zu früh und von
vielen betrauert vor der Drucklegung seiner Aufklärungsschrift.
Ihre Anfänge liegen über zwei Jahrzehnte zurück und ihre
Durchführung unteilag vielen äußeren Hemmnissen. Mit einer
bekannten geschichtsphilosophischen These, wie sie insbesondere
von röm.-katholischen Verfassern heute noch mitunter
vertreten wird, schreibt V. der gesamten Aufklärung eine
„einheitliche Weltanschauung" zu. Ihre Praemissen sind die
Homo-mensura-Regel und die Eudämonie als schlechthinniges
Wertgesetz. Im syllogistischen Schlußverfahren läßt sich dann
apriori ableiten, wie sich d i e Aufklärung (in welchen Regionen
, Vertretern, Kulturbereichen auch immer) verhalten muß
und welche Ziele sie mit dem alleingültigen Mittel einer mathe-
matisch-technisch-utilitaristischen Ratio anstrebt. Das füllende
Material der Namen, Buchtitel, Angaben aus älteren Sammelwerken
, Sekundärurteile wie eigener literarischer Funde kann
in den Augen des Lesers dann leicht in dieses Syllogismusgefüge
geraten und von 6einer Konstellation überprägt werden. Unter
dem Titel „Abendländische Aufklärung" hätte man gerade von
V. gern eine eingehende Darstellung der Aufklärung in Südosteuropa
erhalten; der Titel wird jedoch in der Einleitung bereits
auf England - Deutschland - Frankreich eingeschränkt. Von
neuerer Literatur erscheinen noch die Namen von Groethuysen,
Stephens und Hazard. Ihre Arbeiten werden zu Beginn als
„grundlegend" bezeichnet, der Inhalt jedoch nicht verwertet.
Desungeachtet wird man mit tiefer Achtung und nicht ohne Bewegung
vor dem Überblick 6tehen, den sich der begabte Verf.
mit ungewöhnlicher Kraft und einem alle Hemmnisse immer
wieder überwindenden Willen über jene Epoche verschaffte,
deren innere und äußere Differenziertheit und weitgehende Un-
erforschheit einer Gesamtdarstellung noch lange Widerstand
leisten werden. Mit Achtung muß man auch dem Versuch begegnen
, in der Sammlung der Materialien „banale" Quellen
heranzuziehen und die einfeitige Darstellung nach einzelnen
Epochenge6talten im Prinzip zu überwinden. Hier ist ein echter
Durchbruch versucht worden, und hier kann man mit wertvollen
Hinweisen rechnen.

In umgekehrter Verfahrensweise vermeidet Heinz Liebing
alle allgemeineren Aussagen so konsequent, daß keine inhaltlichen
Angaben über die im Titel genannten Größen Orthodoxie
und Aufklärung erscheinen. Eine Einzelgestalt geistiger
Höhenlage, der Tübinger Philosoph und Theologe G. B. Bilfinger
(der als späterer Stuttgarter Konsistorialpräsident den württembergischen
Pietismus 1743 in die Kirche zurückführte) wird in
den Blick gefaßt. Die Untersuchung beschränkt sich auf die
Veröffentlichungen B.s aus der Tübinger Wirksamkeit und hier
wiederum auf die Fragen, wie Bilfinger 1.) den Wolffianismus
als Philosophie verteidigte und 2.) ihn der Theologie zum
Zwecke des Nachweises ihrer Wissenschaftlichkeit dienstbar
machte. Die schließlich gestellte Frage, ob Bilfinger im zeitgeschichtlichen
Rahmen seine Aufgabe gelöst habe, wird zu 1)
offen gelassen, zu 2) bejaht. Da der zeitgeschichtliche Rahmen
(vielleicht um der äußeren Begrenzung der Schrift willen) praktisch
keine Darstellung findet, werden für manche Leser die
Gedanken Bilfingers verhältnismäßig blaß und abstrakt im
freien Raum stehen bleiben. In ihrem Interesse würde man sich
eine stärkere Interpretation des Verstehens wünschen, die über

Begriffe und Begriffsverknüpfungen hinweg die gemeinte Wirklichkeit
und von dieser aus die Begriffe und Formulierungen in
ihrer konkreten, historisch bedingten Folgerichtigkeit einsichtig
machte. Jedoch berühren diese Anmerkungen den wirklichen,
großen Wert der Schrift nicht, der sich ihr Verf. lange gewidmet
hat und die als Vorarbeit zu einer Geschichte der Evg.-
theologischen Fakultät Tübingen gedacht ist. Mit Recht bringt
Verf. zum Ausdruck, daß ohne solch monographische Grundlagen
größere Zusammenhänge eigentlich nicht dargestellt werden
sollten. Man muß ihm für die stichprobenartige Aufarbeitung
eines der sprödesten Bereiche des 18. Jhdts. dankbar sein,
jenes (echten) theologischen Wolffianismus, über den immer
wieder geredet wird, ohne daß bei der Mehrzahl der Autoren
eine reale Vorstellung über den Inhalt besteht, über den sie
Sach- und Werturteile abgeben.

Marburg/Lahn Wolfgang P h i 1 i p p

O'^W i n t e r h a g e r, Jürgen Wilhelm, Dr. phil. D.D.: Kirchen - Unionen
des zwanzigsten Jahrhunderts. Zürich-Frankfurt/Main: Gotthelf-
Verlag [1961]. 253 S. 8°. Kart. DM/sfr. 12.50.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildeten sich fünf
Kirchen aus solchen verschiedener Lehrtradition neu, zwischen
1950 und 1960 entstanden sogar 16 neue Unionskirchen. Ein
deutliches Zeichen, wie stark die Tendenz zur Wiedervereinigung
heute geworden ist! Sie selbst und vor allem ihre Ergebnisse
werden von uns in Deutschland viel zu wenig beachtet.
Diese Lücke macht das Buch von Winterhager lebhaft bewußt.
Es weist zunächst darauf hin, daß man in ökumenischen Kreisen
zwei ganz verschiedene Unionstypen entwickelt hat: einen
„historischen", in dem „die Glaubensentscheidungen der Väter
nicht aufgehoben (sind), sondern bekräftigt und bereichert
werden durch die Berührung mit Traditionen, die aus anderen
Situationen und dementsprechend aus anderen Glaubensentscheidungen
erwuchsen" (Nathan Söderblom) und einen „dynamischen
", in dem die alten Denominationen „absterben" und ein
neues Leben in der Einheit begonnen wird (Bischof Palmer 1937).
Als Typ für die dynamische Union schildert W. ausführlich die
Südindische Union, als Typ für die historische Union die Vereinigte
Kirche von Kanada. Die südindische Kirche hat weithin
Beachtung gefunden bei uns, die kanadische kennt kaum jemand.
Schon daß W. auch sie in unser Blickfeld rückt, ist verdienstlich
. Es ist aber auch zu hoffen, daß das Buch unsere Vorstellung
von „Union" erweitert. Natürlich erschöpfen die beiden dargestellten
Typen nicht alles Unionsgeschehen. Aber unsere Begriffe
Consensus-Union und Verwaltungs-Union tun es auch
nicht. Ak Vorarbeit zu einer notwendigen „Theologie der
Unionen" ist das Buch zu begrüßen.

Hamburg-Grofiflottbek Kurt Dietrich Schmidt

Pelke, Else: Der Lübecker Christenprozeß 1943. Mit einem Nachwort
von St. Pfürtner. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag [1961L
275 S., 7Taf. 8°. Lw. DM 16.80.

Am 10. Nov. 1943 wurden die Lübecker katholischen
Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und
ihr Freund, der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink,
die vom Volksgerichtshof im Juni 1943 wegen Hetze gegen den
nationalsozialistischen Staat zum Tode verurteilt waren, in Hamburg
durch Enthauptung hingerichtet. Das anzuzeigende Buch
enthält l) einen sehr plastischen Bericht über die Vorgänge,
insbesondere auch über die geistliche Hilfe, die ihnen in der
Gefangenschaft zuteil wurde, dann über den Prozeß und über
die Hinrichtung; 2) eine Schilderung der vier Gestalten. Da es
sich um schlichte junge Priester handelt, ein schwieriges Unterfangen
, das aber meisterhaft gelöst ist, indem wirklich vier
lebensvolle und zugleich glaubhafte Bilder der Persönlichkeiten
vor uns entstehen, liebevoll auf Grund der sorgsam gesammelten
Nachrichten gezeichnet. Der Zweck des Buches ist zugleich,
zu erreichen, daß ihre Namen in das offizielle Martyrologium
Romanum aufgenommen werden, womit sie automatisch als
Heilige anerkannt würden, und zwar, wie besonders ein Nachwort
von Stephanus Pfürtner O. P. unterstreicht, alle vier, auch
der evangelische Pastor. Das würde ein für das konfessionelle
Zueinander außerordentlich weitreichender Akt 6ein, zu dem