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1963

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 6

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der Bibeldeutung der protestantischen Theologen gewidmet sind.
Das Buch des Jesuiten Luigi Bini verzeichnet bereits fünfzehn
katholische Aufsätze über das Entmythologisierungsproblem in
der Sicht Bultmanns und über zwanzig Arbeiten, die der Exegese
Cullmanns nachgehen. Wenn auch dieses Verzeichnis
Lücken aufweist, hat es den Vorteil, auf bisher weniger berücksichtigte
Beiträge in romanischen Sprachen aufmerksam zu
machen.

Bini verfolgt ein doppeltes Anliegen: er will Cullmanns
Interpretation der neutestamentlichen Botschaft in Konfrontation
mit der Fragestellung Bultmanns klarlegen und dann fragen, inwiefern
der katholische Theologe den betreffenden Lösungen
der beiden protestantischen Neutestamentier beipflichten kann.
Das Interesse eines solchen Unternehmens ist offenbar, und
Bini erweist sich als sachkundiger Kenner der schwierigen
Problematik. Wie bekannt, liegt die Schwierigkeit in der Tatsache
, daß die beiden in Frage gestellten Theologen keine gemeinsame
Begriffssprache sprechen. Es ist ein Verdienst der Arbeit
Binis, daß sie trotz des Hindernisses, das Bultmanns Übernahme
von Kategorien der Existentialphilosophie in die Exegese
bedeutet, am Dialog doch nicht verzweifelt.

Im ersten Teile seiner Untersuchung (L'interpretazione del Nuovo
Testamento, S. 3—98) bietet Bini ein Bild des Entwicklungsganges der
Cullmannschen heilsgeschichtlichen Konzeption mit wertvoller Bloßlegung
der methodischen Prinzipien des elsässischen Neutestamentiers
(Voraussetzung der Geschichtlichkeit der „Sache" der urchristlichen
Botschaft, normative Bedeutung der ältesten Glaubensbekenntnisse,
Absage an jede Philosophie). Er stellt dann die Frage, wie Cullmann
das Bultmannsche Entmythologisierungsprogramm, wie Bultmann die
Cullmannsche heilsgeschichtliche Zeitlinie versteht. Der zweite Teil
(II cristianesimo come storia di salvezza, S. 101—222) zeichnet die
heilsgeschichtliche Theologie Cullmanns in großen Zügen nach. Er tut
dies in der Überzeugung, daß das Verständnis des Christentums als
Heilsgeschichte tief in der allgemeinen christlichen Tradition wurzelt,
macht jedoch auch auf erhebliche Divergenzen zwischen Cullmann und
der katholischen Sicht aufmerksam. Der dritte Teil (II dialogo, S. 223
— 284) nimmt die im ersten Teile angedeutete Problematik wieder
auf, indem der Verf. bemüht ist, nun Schritt für Schritt der polemischen
Haltung Cullmanns Bultmann gegenüber und der Kritik Bultmanns
an Cullmanns „kombinatorischer Kraft" nachzugehen. Schließlich
konstruiert Bini, die Voraussetzungen heilsgeschichtlicher Deutung
des apostolischen Kerygmas weiterdenkend, was er für eine mögliche
„Antwort" von Seiten Cullmanns auf Bultmanns Haupteinwände hält.
Das ganze Buch endet mit einer synthetischen Zusammenfassung der
Ergebnisse der Untersuchung (Conclusione generale, S. 285-308).

Die beiden großen Theologen verstehen auf eine ganz
verschiedene Weise, was „Geschichte" bedeutet. Für Bultmann
schließt der Begriff jeden aufeinanderfolgenden Zeitverlauf aus,
Cullmann dagegen definiert ihn geradezu als sukzessive Zeitlichkeit
. Verschieden ist ferner die Auffassung der Theologie.
Bultmann hält sie für eine Darlegung der Glaubenserfahrung,
Cullmann identifiziert sie mit der im Lichte der Glaubensregel
erfolgenden Schriftauslegung. Den Inhalt der Eschatologie sucht
Bultmann im hic et nunc der Glaubensentscheidung, Cullmann
im Heile, das bereits im Jetzt vorweggenommen ist, um in, der
Zukunft definitiv und vollkommen zu werden. Ist für Bultmann
das einzig gültige Verstehen der Schrift nur in der existentialen
Interpretation möglich, die der Entmythologisierung gleicht, dann
kann er sich nicht beeindruckt fühlen von der heilsgeschichtlichen
exegetischen Beweisführung, die im Namen der legula fidei
erfolgt. Um eine echte Zwiesprache zu ermöglichen, hätte Cullmann
, meint der Verf., entweder die philosophischen Voraussetzungen
der existentialen Interpretation kritisch analysieren
sollen oder mit seiner Kritik ansetzen bei der Unmöglichkeit,
in der die existentiale Theologie ist, die zeitliche Dimension
der neutestamentlichen Eschatologie zum Ausdruck zu bringen.
Diesen zweiten Weg betrachtet Bini als gangbar. Von der philosophischen
Interessiertheit Cullmanns hält er, so scheint es,
nicht viel. Cullmann sei wegen seiner antiphilosophischen Haltung
ein merkwürdiger Einzelgänger in der heutigen protestantischen
Theologie (S. 51). Der Dialog Cullmanns mit Bultmann,
wie er bisher verlaufen ißt, erweist sich zwar als unfruchtbar,
aber keineswegs als nutzlos. Durch die Entmythologisierungs-
theologie wurde Cullmann veranlaßt, dem Problem des Mythos
nicht auszuweichen und es in eine einheitliche Konstruktion
einzurahmen, deren exegetische Grundlagen gut gesichert sind.

Offen bleibt jedoch auch nach Binis Arbeit die Frage, ob H. W.
Bartsch recht hat mit der Behauptung, die Darstellung Bultmanns
sei nichts anderes als eine existentiale Interpretation der
von Cullmann dargestellten urchristlichen Zeit- und Geschichtsauffassung
(Kerygma und Mythos II, S. 38).

Interessant sind kritische Bedenken, die der kath. Verf. der
Theologie Cullmanns gegenüber äußert. Begreiflicherweise hält
er an der normativen Funktion der Kirche bei der Schriftauslegung
fest und gibt sich durch Cullmanns saubere Scheidung der
apostolischen von der nachapostolischen Tradition nicht zufrieden
(S. 94 ff.). Es befremdet ihn weiter die weitgehend antiphilosophische
Einstellung Cullmanns, die er zwar beim Exege-
ten zu respektieren bereit wäre, aber eben nicht für durchhaltbar
hält (S. 97 f.). Die aufsteigende hcilsgeschichtliche Zeitlinie,
die im Christusereignis ihr Zentrum hat, findet Bini grosso
modo im Einklang mit der kath. theologischen Tradition. Zu
verwerfen sei dagegen Cullmanns funktionale Christologie samt
ihrer kritischen Einstellung zum Zweinaturendogma (S. 218 und
299 ff.) wie auch die Auffassung von der Zeit der Kirche als
Zwischenzeit (S. 218 ff.). In dieser Hinsicht erblickt der Verf.
eher in Bultmann einen Verbündeten der römisch-katholischen
Kirche. Denn, wie bereits Jean-Louis Leuba hervorhob, versetzt
die kath. Kirche ebenso wie Bultmann das Heil in eine Gegenwart
, die keine entscheidende Berufung auf die Vergangenheit
duldet (S. 293). Doch Bultmann scheidet sich radikal
von der kath. Auffassung indem er, echt lutherisch, die Kirche
als ein unorganisches Beisammen von Menschen versteht, die
das Wort hören und weiterverkündigen (S. 296). Cullmann betont
viel stärker den ekklesialen und sakramentalen Charakter
der Heilsaneignung, ja sogar des Schriftverständnisses (S. 298 f.).
Er mißversteht aber, so sdieint es dem Verf., die Normativität
der Teilnahme der Kirche am lebendigen Christus. Sollte der
Verf. als katholischer Christ zwischen Bultmann und Cullmann
wählen, würde er nichtsdestoweniger Cullmann den Vorrang
geben. Mag man auch über diese seine Liebenswürdigkeit
lächeln, immerhin bezeugt sie die Redlichkeit seiner ökumenisch
gesinnten Auseinandersetzung. Ob sie auch dem „Dialog" zwischen
Bultmann und Cullmann einen Anknüpfungspunkt geboten
hat?

In dem sorgfältig Typis Pontificiae Universitatis Gregori-
anae hergestellten Buche finden sich nur wenige Druckfehler.
S. III, Z. 18 und S. 33, Z. 9 lies Religieuses statt Religieuse,
S. 3, Z. 3 Formgeschichtliche statt Formgeschichte, S. 104,
Z. 29 novtjQÖ? statt Tiovsgog, S. 142, Anm. 68 VT statt NT,
S. 218, Z. 12 ci salva statt si salva, S. 245, Z. 31 del mito statt
del mio, S. 314, Z. 5 Rudolf statt Dudolf.

Prag Amadea M o 1 nI r

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