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Ausgabe:

1963

Spalte:

427-430

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Grundmann, Walter

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Lukas 1963

Rezensent:

Michaelis, Wilhelm

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427

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 6

428

NEUES TESTAMENT

Grundmann, Walter: Das Evangelium nach Lukas. 2., neubearb.
Aufl. (l.Aufl. v. F. Hauck). Berlin: Evang. Verlagsanstalt f 19611.
XV, 457 S. gr. 8° = Theologischer Handkommentar z. Neuen Testament
, hrsg. v. E. Fasdier, III. Lw. DM 18.—.

Nachdem der Verf. 1959 im gleichen Kommentarwerk bereits
den (in der ThLZ nicht besprochenen) Band über Mark.,
den in der 1. Aufl. ebenfalls Friedrich Hauck bearbeitet hatte
(1931), neu herausgegeben hat, ist er nunmehr (als Erscheinungsjahr
ist nach Jahrg. 1961, Sp. 958 dieser Zschr. 1961 zu ergänzen
) in der Lage, den Band über Luk. vorzulegen. Auch dies
Mal handelt es sich, wie es in einer wohl vom Verf. stammenden
Notiz auf S. IV heißt und wie der Inhalt bestätigt, um eine
„völlige Neubearbeitung" der l.Aufl. Es fragt sich daher, ob
die Leistung des Verf. in ihrer Selbständigkeit nicht besser anerkannt
wäre, wenn (wie etwa beim Meyerschen Kommentarwerk
üblich) auf die 1. Aufl. nur auf der Rückseite des Titelblattes
verwiesen wäre, statt daß auf den beiden Titelseiten II
und III dem Vermerk „Zweite, neubearbeitete Auflage" die
Zeile „Erste Auflage von Friedrich Hauck" beigefügt wird.

Die 1. Aufl. (sie enthielt bei etwas größerem Format nur 303 S.)
hat der Verf. „wiederum dankbar benutzt" (gerade diese Wendung
ist wohl ein Indiz dafür, daß die Notiz auf S. IV von ihm und nicht
vom Verlag stammen muß). Allzu häufig sind freilich die direkten
Bezugnahmen auf die 1. Aufl. nicht (z.B. S. 140, Anm. 6, S. 153,
Anm. 3, S. 244, Anm. 21, S. 264, Anm. 1, S. 419, Anm. 2). Aber es
ist nicht zu verkennen, daß der Verf. sich fortlaufend mit der Arbeit
seines Vorgängers auseinandersetzt, und es wäre ohne Zweifel sehr
reizvoll, die beiden Auflagen im einzelnen miteinander zu vergleichen.
In der ganzen Anlage zeigen sie, wie es bei Teilen des gleichen
Gesamtwerks selbstverständlich ist, viele Verwandtschaft. Aber schon
ein Blick in das Inhaltsverzeichnis (S. V—IX) läßt erkennen, daß einmal
der Stoff der „Einleitung" (S. 1—42 gegenüber S. 1—14) vermehrt
und trotzdem gestrafft worden ist (5 §§ statt bisher 8 bzw. 9) und
daß sodann die Disponierung des luk. Textes, von Unterschieden in
der Gruppierung abgesehen (z.B. 1. Aufl. 3,1—4,13'-. „Die Vorbereitung
", jetzt 3, 1 — 4, 30: „Die Wirksamkeit des Johannes und die
Anfänge des Wirkens Jesu"), sehr viel mehr in die Einzelheiten geht
und reichen Gebrauch von der Aufteilung in kleine Abschnitte und
Unterabschnitte macht — sicher zum Vorteil für die bessere Übersichtlichkeit
dieser Auslegung.

Auch ein Vergleich der Überschriften zeigt die Vorzüge der
Neubearbeitung. Hingegen läßt sich fragen, ob es glücklich ist, bei
den Überschriften außer der luk. Stelle sogleich, ohne ein „vergl."
also und im selben Fettdruck, auch die synopt. Parallelen zu nennen,
z.B. „Die Rückkehr nach Galiläa 4,14.15; Mark. 1,14 f.; Matth. Ä,
12 — 17" (S. 118). Bei Hauck waren die Parallelen in kleinerem und
dünnerem Druck beigefügt, und dies war durchaus angemessen; denn
die Auslegung gilt ja schließlich der jeweiligen luk. Stelle. Bei Hauck
war seinerzeit, wie im Theol. Handkommentar anfänglich üblich, noch
der griechische Text in eigener Bearbeitung geboten, und in der
Spalte daneben die mit zahlreichen Erläuterungen in Klammern versehene
deutsche Übersetzung. Auf griechischen Text und textkritischen
Apparat wurde dann „der Raumersparnis wegen" seit dem Acta-
Kommentar von Bauernfeind (1939) verzichtet, und auch in der Neubearbeitung
des Th. H. K. ist es bei diesem Fortfall des zweisprachigen
Textabdrucks geblieben (vgl. die „Vorbemerkung des Herausgebers
" in der 2. Aufl. des Gal.-Kommentars von Oepke 1957, S. V).
Man wird der Wiedergabe des griechischen Textes wohl nicht nachzutrauern
haben, so originell der Gedanke auch war, jeder Mitarbeiter
des Th. H. K. solle den griechischen Text, den er zugrundelege, selbständig
erarbeiten und in aller Form rechtfertigen.

Was die Übersetzung angeht, so ist sie (abgesehen davon, daß
die früher üblichen paraphrasierenden Beigaben fehlen) wörtlicher als
bei Hauck, was ohne Zweifel für den Benutzer 6eine Vorteile hat.
Als Beispiel nenne ich 19, 28 f. Bei Hauck lautete die Stelle: „Nach
diesen Worten brach er auf und zog hinauf nach Jerusalem. Und als
er nahe an Bethphage [die Grenze der heiligen Stadt] und Bethanien
an den Berg kam, der Olivenhain heißt, sandte er [zur Vorbereitung
des Einzugs] zwei von seinen Jüngern aus." Jetzt heißt es: „Und nachdem
er dies gesagt hatte, ging er vorwärts und zog hinauf nach
Jerusalem. Und es geschah, als er sich Bethphage und Bethanien am
sogenannten ölberg näherte, sandte er zwei seiner Jünger". Textkritische
Materialien werden in der Neubearbeitung regelmäßig dargeboten
, in der Hauptsache in den Anmerkungen. Solche Anmerkungen
fehlten früher, und auch die 2. Aufl. des Gal.-Kommentars von
Oepke kam noch ohne sie aus; sie stellen aber doch wohl eine begrüßenswerte
Neuerung dar.

Wie reichhaltig die Neubearbeitung innerhalb der Auslegung
selbst fast durchweg ist, sei an folgendem Beispiel illustriert
. Für 10, 21—24 umfaßten Einführung und Einzelauslegung
bei Hauck knapp 1 Seite (S. 143 f.). Nunmehr umfaßt die Einführung
allein 1 Seite, und es folgen dann mehrere Seiten Auslegung
(S. 212—220). Diese Reichhaltigkeit ist zum guten Teil
dadurch ermöglicht worden, daß der Verf. die Abschnitte, die
auch bei Mark, vorkommen, „nur auf ihre Unterschiede zur
Markusfassung untersucht" (S. IV). Mitunter wird in solchen
Fällen überhaupt auf eine Einzelauslegung verzichtet bzw. es
wird für diese auf den Mark.-Band verwiesen, z.B. S. 352 f.
353-355. 355 f. 356 f. zu 18, 15-17. 18-30. 31-34. 35-43.
Hauck ist in solchen Fällen anders verfahren, und man kann 6ich
ja in guten Treuen fragen, ob der Benutzer oder gar Käufer
eines Kommentars nicht ein Anrecht darauf hat, alles Wissenswerte
in dem betreffenden Bande beieinander zu haben, ohne
noch anderswo nachschlagen zu müssen.

Im Klappentext des vorliegenden Bandes wird betont, daß
„der Hauptakzent des Handkommentars trotz seiner wissenschaftlichen
Grundhaltung praktisch-theologisch" sei. Die Aufgabe
sei „die kritisch - exegetische Durchdringung des Textes
verbunden mit dem praktischen Ziel, für die Predigtvorbereitung
in knapper, prägnanter, aber ausreichender Weise exegetisch
, historisch, literarisch und gedanklich die zentralen Gesichtspunkte
zum Verständnis des Textes zu erfassen". Auch wenn
dies keine glatte Zweiteilung — „wissenschaftlich" einerseits,
„praktisch - theologisch" andererseits — wird bedeuten können
und auch wenn bei einer solchen Akzentsetzung die „wissenschaftliche
Grundhaltung" schon gar nicht lediglich in den Anmerkungen
ihren Niederschlag finden würde, sei doch (der
Grund wird noch erkennbar werden) das Urteil über die Anmerkungen
vorläufig zurückgestellt, und es sei vielmehr im
Blick auf den Band als Ganzes, also ohne spezielle Einbeziehung
der Anmerkungen, vorweg zum Ausdruck gebracht, daß der
Verf. das gesteckte Ziel in einem Umfang erreicht hat, daß
man seiner Leistung den Respekt nicht wird versagen können.
Der Leser erhält hier ohne Zweifel eine treffliche Anleitung
für ein besseres Verständnis des dritten Evangeliums und wird
in zahlreiche Fragen, die die neuere Forschung bewegen, gut
eingeführt.

Wenn im Klappentext gerühmt wird: „Die Texte von
Qumran sowie das jüngst veröffentlichte Thomas-Evangelium
sind vergleichsweise herangezogen", so sind damit in der Tat
zwei Vorzüge dieser Auslegung genannt. Auf das Thomas-
Evangelium wird recht häufig Bezug genommen (S. 122, Anm.
14. S. 134. 141. 165. 179, Anm. 4. S. 225. 239. 246. 256. 259.
Anm. 1. S. 302. 338 u.ö.). Festgehalten zu werden verdient, daß
der Verf. den Eindruck hat, es sei „die Beziehung zwischen der
lukanischen Sonderüberlieferung und den im Thomas-Evangelium
aufbewahrten Sprüchen besonders auffällig" (S. 241). Ebenso
verdienstlich ist die starke Heranziehung der Qumran-Texte
(S. 57. 60. 104. 109. 120. 214. 237. 239 f. 295.. 302. 320.
364 u. ö.). Der Verf. verfährt hierbei im Ganzen mit der nötigen
Zurückhaltung und hebt die Unterschiede gebührend hervor
, so wenn er S. 49 zu 1, 5 schreibt: „Da Zacharias als aktiver
Priester eingeführt wird, hat er sich den Qumranleuten,
die den Kultus mieden, aber die Tempelsteuer bezahlten, nicht
angeschlossen." Unter diesen Umständen dürfte es allerdings
kaum wahrscheinlich sein, daß Zacharias seinen Sohn in Qum-
Tan hat aufziehen lassen. Vgl. S. 101 zu 3, 3: „Wenn es richtig
ist, daß der Täufer in der Niederlassung von Qumran herangewachsen
ist, hat ihn Gottes Wort von da hinweggerufen in
die nördlich von Qumran gelegene Jordansenke .. ." Vielleicht
ist das „wenn" gleich einem „falls" und mit einem kräftigeren
Vorbehalt versehen, als zunächst erkennbar ist.

Allerdings fällt auch bei der Verwertung neuerer Literatur
auf, daß der Verf. vielfach nur referiert, ohne sein eigenes
Urteil erkennen zu geben. Gewiß kommt es auch vor, daß
einem Referat eine kurze, meist treffende Kritik angefügt wird,
so wenn S. 45, Anm. 9 ein Bericht über die Stellungnahme von
Cadbury und Sahlin zu 1, 1—4 (es seien betont juridische Vokabeln
verwandt, dies in Zusammenhang mit der Absicht des