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Ausgabe:

1963

Spalte:

376-377

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hernegger, Rudolf

Titel/Untertitel:

Religion, Frömmigkeit, Kult 1963

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 5

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Gebet Ausgezeichnetes gesagt. „Das Objekt der Bitte ist immer ein
numinoses Du, nämlich eine göttliche oder heilige Macht, die für den
Menschen Gutes bedeutet. Wir nennen eine solche Bitte ein Gebet.
Das Objekt des Befehls ist ebenfalls meist ein numinoses Du, nämlich
eine dämonische Macht, die für den Menschen aber nicht Gutes, sondern
Böses bedeutet. Ist das Objekt des Befehls nicht numinos-
dämonisch, so ist es zumindest böse. In beiden Fällen nennen wir
einen solchen Befehl Beschwörung. Das Objekt des Wunsches aber
ist in keinem Fall ein numinoses Du, sondern es ist immer der Mensch,
der vom Bösen bedroht oder betroffen ist und nun der Hilfe bedarf.
Wir nennen einen solchen Wunsch Segen" (137). Die Verfasserin ist
sich der teilweise akademischen Bedeutung dieser Unterscheidungen bewußt
; sie weiß, daß die Grenzen verfließen. „So wie ein Zauberspruch
zum Gebet werden kann, so kann auch ein Gebet auf Grund der inneren
Haltung des Sprechers Zaubercharakter annehmen. Der Anruf
eines Gebets kann so magisch zwingend sein wie der einer Beschwörung
, weil das Subjekt das starke Wollen hat, sich mit diesem Anruf
des höheren Wesens zu bemächtigen, damit es ihm nichts versage"
(139). Der Ritusanzeige — „ich tue dich anhauchen" u.a.; „man geht
bei zunehmendem Mond schweigend auf einen Kreuzweg" —, dem
magischen Vergleich — z. B. „du sollst verschwinden wie der Tau
im Grase, wie der Tote im Grabe"; daneben viele christliche Vergleiche
wie „das Blut steh', wie unser Herr Christus vor dem Kreuze
steht" — und der Eigenart der Analogieerzählung gelten die ausführlichen
Schlußpartien des Kapitels und Buches. Hier werden einige
der wichtigsten Formeln analysiert, so der Jordan-, Drei-Brüder-,
Petrus-, Hiob-, Lorenzsegen.

Der Ertrag für den Theologen ist mannigfach. Er bekommt
lehrreiche Einblicke in die historische Christianisierung der
Sprüche, durch die dem Volk vor Jahrhunderten das Bewußtsein
ihrer Sündhaftigkeit genommen wurde. Müllenhoff wird zitiert:
„Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so fällt die Entstehung
unserer meisten christlichen Segen in die Zeit, wo mit der
zweiten Hälfte des 11. Jhdts. die geistliche Dichtung in der
Volkssprache einen neuen Aufschwung nahm und dann bis
gegen den Ausgang des 12. Jhdts. mit Eifer gepflegt wurde"
(Hampp 112). Die Verfasser der neuen christlichen Sprüche
sind nachweislich Mönche und Geistliche, die ihr Werk durch
die kirchlichen Exorzismen und Benediktionen legitimiert sahen.
Als später die Kirchenleitung eine kritische Stellung gegen die
Magielust der unteren Geistlichkeit bezog, wanderten Kunst
und Praxis in den kirchlichen Untergrund ab. Der Höhepunkt
dieser Entwicklung könnte nach der Verfasserin im 16. Jhdt.
gelegen haben. Hält man neben den christlichen Ursprung der
Formeln die Tatsache der fließenden Grenze zwischen Gebet
und Beschwörung und die sich behauptende Uberzeugung von
der Legalität der christlich - trinitarischen Formelsprache, so hat
man die ganze Not des Seelsorgers gestern wie heute vor sich,
die das Buch mit seinen klugen Aufweisen und Analysen mehr
unterstreichen als bannen dürfte, besonders wenn sich das
zitierte Wort über „die erstaunlich geringe Rolle" des Teufels
auch bei neuem und erweitertem Material bewahrheiten sollte,
— und das ist bei der stupenden Humorisierung und Ironisierung
des Teufels im abendländischen Volksglauben wahrscheinlich
! Der theologische Historiker und der Psychologe werden
auch aufmerksam zur Kenntnis nehmen, daß der Legendentrieb,
der einst die Apokryphen schuf, bis über das Ende des Mittelalters
hinaus lebendig blieb. Nicht wenige „Segen" - sie knüpfen
sich besonders gern an Hiob, Petrus, Maria, den Jordan
u. a. — sind nur zum Teil auf bekannte apokryphe Tradition
zurückführbar — siehe vor allem die Arbeiten von Ferdinand
Ohrt im Lit. Verz. S. 279 —, sondern dem virulent bleibenden
Trieb entsprossen. Die krause Bibelexegese, die zu den wunderlichsten
Kombinationen der Magiker im Volk und in den
untersten Schichten der Geistlichen führt, verliert für den, der
bei den Kirchenvätern z.B. der exegetischen Begründung ikono-
graphischer Motive nachgegangen ist, an Befremden und Lächerlichkeit
. Was am grünen Holz geschah, darf am dürren nicht
konsternieren.

Neben der breiten Zustimmung stehen einige kritische
Bedenken. Das Material ist zu einseitig aus süddeutschen Quellen
geschöpft, darum kann sich das Bild beim Fortgang der
Forschung verändern. Doch das weiß die verdiente Verfasserin
selbst. Schade aber ist, daß ihr das Buch von Gerhard Staak,
Die magische Krankheitsbehandlung in der Gegenwart in
Mecklenburg, Rostock 1931 (zugleich Dissertation der philosophischen
Fakultät Kiel) entgangen ist. Hier ist in einem Umfang
, der das Werk der Verfasserin nicht unbeträchtlich übertrifft
, schon vor dreißig Jahren der gleiche Problemkreis behandelt
. Die Deutung der Hostie nicht auf den konsekrierten Leib
Christi, sondern auf irgendeines Menschen Leib (149) dürfte
verfehlt sein; solch Verständnis wäre völlig singulär. Im
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IV 415 wird man
vor verwandte Fälle geführt, von denen aus Licht auf die
Diebsbeschwörung fällt: um sicher zu treffen, birgt der Schütze
im Kolbenschaft eine Hostie; der Hirt, welcher der Wölfe sich
erwehren muß, tut eine Hostie in seinen Stab. Hiob auf dem
Mist (189) ist nur mit Vorbehalt ein biblisches Motiv zu
nennen. Nach dem masoretischen Text sitzt Hiob in der Asche
(2 v. 8). Aber die Vulgata übersetzte: in sterquilinio, wobei
wohl anzunehmen ist, daß Hieronymus und seine Helfer aus
apokrypher Tradition schöpften.

Sehr dankenswert sind die beiden Bildbeigaben, die einen
beim Umbau eines Hauses geborgenen Zauberzettel wiedergeben
.

Wie glücklich würde ich mich gepriesen haben, wenn mir
vor Jahrzehnten beim ersten zaghaften Vorstoß in das Gestrüpp
des Aberglaubens eine so kluge Hilfe wie das besprochene
Buch zur Verfügung gestanden hätte!

Rostock Gottfried Holtz

Hernegge r, Rudolf: Religion, Frömmigkeit, Kult. Einbruch heidnischer
Religiosität in den christlichen Glauben. Weilheim/Obb. :
Barth o. J. 195 S. 8°. Lw. DM 10.80.

Hier handelt es sich um einen Sonderdruck aus dem größeren
Werk desselben Verfassers über „Ideologie und Glaube I",
Kap. V. Dem Vorwort ist zu entnehmen, daß das Hauptwerk in
katholischen Kreisen mehr Ablehnung als Zustimmung gefunden
hat; das persönliche Echo aus beiden Konfessionen aber sei stark
gewesen. Was der Verf. will, gibt weder der Haupt- nodi der
Nebentitel in der nötigen Klarheit an. Es geht nämlich um das
besonders von der dialektischen Theologie scharf diskutierte Problem
„Glaube und Religiosität". Dem Menschen wird die religiöse
Anlage zugesprochen; sie sei ihm „mit seiner Natur mitgegeben
" (45). Ohne sie gäbe es keine „menschliche Partnerschaft"
vor Gott (49). „Angesichts der ganzen alt- und neutestament-
lichen Heilsgeschichte wirkt die Vorstellung eines Gottes, der den
Menschen überfällt und vergewaltigt, einfach blasphemisch" (49).
Von der religiösen Anlage wird die Religiosität als natürliche
Realisation der religiösen Potenz scharf unterschieden. „Wir
müssen die religiöse Anlage unterscheiden von dem, was der
Mensch aus ihr macht" (46). In Mystagogie, Theosophie, unbiblischem
Opfer- und Priesterdienst und anderswo geschieht
das, was in Schärfe der Untertitel sagt: Einbruch heidnischer
Religiosität in den christlichen Glauben. Der „Heilsweg" ist
allein durch den in Christus offenbarten Gott und den Glauben
an ihn gewiesen.

Von diesem dem protestantischen Theologen wohl vertrauten
Standpunkt aus wird mit der katholischen Volksfrömmigkeit
und einer Prominenz unter den römischen Theologen scharf ins
Gericht gegangen. Bei Filmvorführungen oder Fernsehsendungen
über buddhistische oder andere heidnische Gottesdienste fragten
katholische Christen verblüfft: „die haben ja denselben Gottesdienst
wie wir?!" (190). Wie soll der Priester über sich selbst
denken, „wenn er feierlich von einer Schar von Altardienern umgeben
Einzug in der Kirche hält, wenn man sich vor ihm feierlich
verbeugt, wenn man ihn beweihräuchert, oder auch nur wenn er
feierlich und hieratisch dasitzt?" (190). Im Anschluß an C. G. Jung
erlebe man im katholischen Raum geradezu eine Renaissance des
naturhaften Religionsbegriffs (170). Die Theologen, die hier besonders
angegriffen werden, gehören zu den bekanntesten der
Gegenwart: O. Karrer, R. Guardini, J. Danielou. Es wird eine
Entmythologisierung der heutigen Verkündigung gefordert, weil
wir mitten in einer zweiten Aufklärung und einer globalen Begegnung
der Weltreligionen ständen. Die Verwirrung unter den
Gläubigen bis hinein in die Kreise der Theologen sei erschütternd,
die Antwort der katholischen Theologen katastrophal: „das einzige
, was sie nachweisen, ist, daß das Christentum die höchste
Entfaltung der Religion ist" (173). Die Diskussion mit der evan-