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Ausgabe:

1963

Spalte:

335-338

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die Religionen des alten Amerika 1963

Rezensent:

Behn, Friedrich

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335

iheologische Literaturzeitung 8 8. Jahrgang 1963 Nr. 5

33ö

Verknüpfung". Kein dogmatischer Satz hat in einem andern
seinen Grund, sondern jeder kann „nur aus der Betrachtung des
christlichen Selbstbewußtseins gefunden werden"; um so bedeutsamer
ist es, wenn sie sich dann gegenseitig bestätigen.

Die Schleiermacherschen Ausdrücke: „christlich fromme
Gemütszustände", „christliches Selbstbewußtsein", „frommes
Selbstbewußtsein" u. dgl. dürfen wir nicht dahin mißverstehen,
als sei Schleiermacher ein Subjektivist, der auf den Anspruch
der Allgemeingiltigkeit von Glaubenssätzen verzichtet. Über
F. H. Jacobis Position: Mit dem Verstände ein Heide, mit dem
Gemüte ein Christ, geht er hinaus; er will mit Gemüt und Verstand
ein Christ sein. Schon das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl
ist Ausdruck einer Wirklichkeitserfahrung (und darum
notwendig); das gleiche gilt von den christlich frommen Gemütszuständen
und dem christlichen Selbstbewußtsein. Wie dort die
Beziehung auf Gott, so ist hier die Beziehung auf Christus mitgesetzt
. Gefühl ist bei Schleiermacher nicht ein rein subjektiver,
sondern ein Verhältnisbegriff. Christiche Glaubenssätze sind
demnach die ursprüngliche Aussage „über ein unmittelbares
Existentialverhältnis" (Erstes Sendschreiben an Lücke). M. a. W.
sie sind Zeugnis, Glaubenszeugnis, und unterscheiden sich dadurch
von der reinen Wissenschaft. Wenn W. Herrmann später
in der Dogmatik zwischen Glaubensgrund und Glaubensgedanken
unterschied, so würde bei Schleiermacher die ganze Dogmatik
auf die Seite der Glaubensgedanken zu stehen kommen;
Glaubensgrund ist allein Christus, in welchem Gott sich uns
offenbart hat, Christus, zu welchem das christliche Selbstbewußtsein
in einem unmittelbaren Existenzialverhältnis steht.

Schleiermacher 6trebt ako eine reinliche Scheidung zwischen
dogmatischen und philosophischen Sätzen an, und zwar von
ihrem Ursprung her. Dogmatische Sätze entspringen aus dem
christlichen Selbstbewußtsein, philosophische aus dem wissenschaftlichen
Erkenntnisstreben. Jene sind Glaubenszeugnis, diese
wissenschaftliche Urteile mit dem Anspruch auf Objektivität.
Jene wollen Glauben an Christus wecken, diese unsere Gegenstandserkenntnis
erweitern. Christliche Lehre und rein wissenschaftliche
Lehre sind danach so verschiedenartig, daß sie sich
nicht gegenseitig stützen und auch nicht einander widersprechen
können. Sie können beide, ohne sich gegenseitig zu beengen,
in voller Freiheit ihre Bahn ziehen. Aber, so fragen wir nun
kritisch, läßt sich dieses Programm durchführen? Vielleicht,
wenn wir den Begriff Dogmatik und den Begriff Philosophie
sehr eng fassen, unter Dogmatik also im wesentlichen die spezielle
Dogmatik und unter Philosophie eine von den Einzelwissenschaften
abgetrennte Spekulation verstehen. Und selbst
dann dürfte der Erfolg fraglich sein. Aber wir brauchen bei
dieser Einschränkung nicht stehen zu bleiben. Schleiermacher
selbst versteht Dogmatik und Philosophie weiter. Et weiß, daß
die Dogmatik eng mit der philosophischen Theologie zusammengehört
und daß die Philosophie für die Natur- und Geschichtswissenschaften
die Grundlage bildet. Diese weiteren Zusammenhänge
müssen wir also gerade auch nach ihm mit in Betracht
ziehen. Dann wird aber die von ihm proklamierte Scheidung
vollends unmöglich. Er selber erweist ja durch wissenschaftliche
Analyse das schlechthinnige Abhängigkeitsbewußtsein als notwendig
. Er will damit eine wissenschaftlich zwingende Erkenntnis
vermitteln, also nicht nur eine Glaubensaussage machen.
Eine Philosophie, die hier zu andern Ergebnissen käme, würde

aber seiner Dogmatik die Grundlage entziehen, weil es dann
unmöglich würde, das christliche Selbstbewußtsein als Modifikation
des schlechthinnigen Abhängigkeitsbewußtscins zu verstehen
. Schleiermacher müßte dann nicht nur aus philosophischen
, sondern auch aus dogmatischen Gründen widersprechen.
Nehmen wir nun noch die Natur- und vor allem die Geschichtswissenschaft
hinzu, so zeigt uns die gegenwärtige theologische
Debatte um den historischen Jesus, daß es historische Aussagen
gibt, die den Glauben tangieren, z. B. die, daß Jesus nicht gelebt
habe.

Wie kann aber nun das von Schleiermacher aufgezeigte
Wissenschaftsproblem gelöst werden? Nur so, wie es Sehl ei einlach
er im Grunde selber tut, nämlich dadurch, daß der Theologe
es als seine Aufgabe erkennt, an einer rechten Fassung des
Wissenschaftsbegriffs mitzuarbeiten. Die Wissenschaft hat ihren
theologischen Ort in dem Auftrag des Schöpfers: Macht euch
die Erde Untertan! Dieser Auftrag erhöht den Menschen über
alle andern Geschöpfe, und die Wissenschaft mit ihrem keine
Grenzen als endgiltig anerkennenden, unsern Horizont ständig
erweiternden Erkenntnisstreben nimmt den Schöpferauftrag in
hervorragender Weise wahr. Aber so hoch die Wissenschaft
auch den Menschen emporträgt, zum Schöpfer erhebt sie ihn
nicht. Daran wird die Theologie immer erinnern müssen durch
den Hinweis auf die schlechthinnige Abhängigkeit, auf das Geschaffensein
des Menschen und seiner Welt. Und wenn der
Schöpfer nun sein Geschöpf in Jesus Christus angeredet hat, so
werden wir freilich diese Anrede als uns selbst widerfahren nur
bezeugen, aber nie wissenschaftlich beweisen können, daß Gott
geredet hat. Aber das Stück Geschichte, das sich Gott erwählt
hat, um dadurch und darin zu uns zu reden, ist freilich der
historischen Forschung zugänglich. Auch hier begegnen sich also
christliche Lehre und wissenschaftliche Forschung, wenn auch
von verschiedenen Ausgangspunkten her. Und auch hier kann
ein etwaiger Konflikt nicht durch einen kirchlichen Machtspruch
erledigt werden, sondern nur 60, daß die historischen Argumente
wissenschaftlich gewürdigt werden. Mit vollem Recht
wird heute in der Theologie die historische Kritik, die vielfach
gerade von Theologen ausgebildet und vorangetrieben worden
ist, bejaht. Bejaht gerade auch um des Glaubens und der christlichen
Lehre selber willen. Aber freilich, ebenso wie in die
Philosophie, wird der Theologe auch in die historische Kritik
seine Erkenntnisse mit einbringen müssen. Die inneren Gründe,
die in aller historischen Kritik eine oft ausschlaggebende Rolle
spielen, fordern eine Sachnähe zu dem Gegenstand der Forschung
, und für diese Sachnähe bietet der Glaube eine bessere
Voraussetzung als eine Haltung, die dem dort Berichteten innerlich
fremd gegenübersteht. Hier wird der Glaube, ohne daß er
wissenschaftsfremde Autoritäten geltend macht, seinen eigenen
Beitrag in der wissenschaftlichen Arbeit leisten müssen. Christliche
Lehre und Wissenschaft stehen also nicht beziehungslos
neben einander, sie können aber auch nicht in einander aufgerechnet
werden, wie es die Scholastik versuchte, sondern sie
kommen trotz ihrer Wesensverschiedenheit, die von Schleicr-
macher stark betont wird, notwendig mit einander ins Gespräch.
Die christliche Kirche wird auf die Wissenschaft zu hören und
ihr auch etwas zu sagen haben. Dies Gespräch zu führen, ist
Aufgabe der Theologie.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Krickeberg, Walter, Trimborn, Hermann, Müller, Werner,
u. Otto Zerries: Die Religionen des alten Amerika. Stuttgart:
Kohlhammer [19611. XII, 397 S. m. 4 Ktn. - Skizzen, gr. 8° = Die
Religionen der Menschheit, hrsg. v. Chr. M. Schröder, Bd. 7. Lw.
DM 42.-.

Die Veröffentlichung des auf 36 Bände angelegten Sammelwerks
„Die Religionen der Menschheit" schreitet planmäßig
vorwärts. Der Band „Die Religionen des alten Amerika" ist
der erste in der Reihe, bei dein mehrere Forscher zusammengearbeitet
haben. Ein sich im Titel noch als geographischgeschichtliche
Einheit bietendes Gebiet bedurfte für seine

rcligionswissenschaftliche Untersuchung der Aufteilung in vier
Sondergebiete. Das ist ein Zeichen dafür, wie auch eine noch
junge Wissenschaft, die Religionswissenschaft, heute dem unaufhaltsamen
Zuge zur Spezialisierung unterliegt.

Der Verfasser des Vorworts, W. Krickeberg, behandelt
die „Religionen der Kulturvölker Mcsoamerikas", also
eines Gebietes, dessen kulturgeschichtliche Bezeichnung der
geographischen Bezeichnung „Mittelamcrika" entspricht. Die
Darstellung umfaßt die Religionen Mexikos innerhalb seiner
vorklassischcn, klassischen und geschichtlichen Kulturen sowie
die Religionen der nördlichen und südlichen Mayastämme einschließlich
„ihrer Nachbarn an der Pazifischen Küste". Den