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Ausgabe:

1963

Spalte:

296-299

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wolfson, Harry Austryn

Titel/Untertitel:

Religious philosophy 1963

Rezensent:

Holm, Soren

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 4

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Gehlen sieht) und der gesellschaftlich-dialektischen Umformung
Hegels durch Marx. Alle diese Ansätze erweisen 6ich als fragwürdig
, ihr Erfolg hauptsächlich als Wirkung des seit der Mitte
des 19. Jhdts. sich ausbreitenden Vorurteils, daß der deutsche
Idealismus zusammengebrochen sei (18, vgl. dazu auch die
kurze Skizze von Max Wundt in Hegelstudien 1961, 247 ff.).
Der Blick auf diese nachhegelsche Situation erkennt die Gefahren
einer isolierten Subjektivität auf der einen, der Auslöschung
der Freiheit durch Verdinglichung des Weltverhältnisses
auf der andern Seite, Gefahren, die schon Hegels eigene
Entwicklung bestimmt haben und um deren Überwindung es in
Hegels Denken ging.

Rohrmoser geht von den Jugendschriften Hegels aus, weil
entsprechend dem Selbstverständnis Hegels „das Verständnis
des ursprünglichen Ansatzes. . . über die Deutung des Hegel-
schen Philosophierens im Ganzen" entscheide (21). Eine ebenso
immanent wie kritisch orientierte Auslegung seiner Philosophie
läßt sich nur „durch eine eingehende Erörterung und Klärung
ihrer Genesis aufrechterhalten" (24). Dabei erkennt R. sowohl
in Diltheys pantheistischer als auch in Lukacs' rein soziologischer
Deutung der Intentionen des jungen Hegel eine Form der
Interpretation, „die nicht daran interessiert ist, in das Hegel-
sche System hinein, sondern an seiner positiven Aufnahme vorbei
zu kommen" (22), indem vorgebliche Intentionen des jungen
Hegel kritisch gegen das ausgereifte System geltend gemacht
werden. Wenn R. diese Auseinandersetzung mit der vielfältigen
Literatur über den Hegeischen Werdegang auch in der Einzelinterpretation
noch stärker durchgeführt hätte, so hätte sein
Werk gewiß noch an Gewicht gewonnen. Ihm selbst geht es gerade
um die Motive, die zur Ausbildung des Hegeischen
Systems führten. Rohrmoser findet sie im Zusammenhang von
theologischer und gesellschaftstheoretischer Thematik angesichts
der Zerrissenheit des modernen Daseins. Dabei betont R. durchaus
, daß die „Einstellung des jungen Hegel als eindeutig
kirchenverneinend charakterisiert werden" muß (29). Die
„Positivität" des kirchlichen Christentums habe die Verkündigung
Jesu in ihr Gegenteil verkehrt (30 ff.), indem die Befreiung
des Menschen durch seine Verneinung im Zeichen eines
Glaubensgesetzes ersetzt wurde. Der weltgeschichtliche Sieg
der Kirche war für den jungen Hegel nur auf dem Hintergründe
des Verlustes der antiken politischen Freiheit möglich (40). Der
Kritik an dieser theokrati6chen Positivität („Positivität bezeichnet
eine vom produktiven Leben der Subjektivität abgelöst bestehende
Objektivität" 36 f.) kam aber nach Hegels Erkenntnis
gerade der nichtpositive Inhalt des christlichen Glaubens selbst
entgegen (37), so daß der eigentliche Gehalt der Religion und
der Freiheitsdrang der Subjektivität für Hegel schon damals
konvergierten.

Im Gegensatz zu Lukacs sieht R. in der Abhandlung „Geist
des Christentums und sein Schicksal" bei Hegel den Ansatz zur
„Überwindung der Aporie von Subjektivität und Positivität"
(43 ff.). Diese Schrift dokumentiert Hegels Abwendung von
Kant. Dessen Denken wird nun selbst als eine Gestalt der „entzweiten
Realität des modernen Menschen" durchschaut. Demgegenüber
beruht das Recht der Religion auf der Macht der Vereinigung
(47), einer Vereinigung, die sich — jedenfalls im Christentum
— nicht vollzieht als Negation des endlichen Seins als
solchen, das der Verstand in seinen Gegensätzen hervortreten
läßt, sondern als Liebe, als „Aufnahme des vom Begriff verneinten
Seins durch das anerkennende Ich" (48). In Hegels
christlich inspiriertem Gedanken der Liebe „als die anerkennende
, nicht vernichtende Herstellung der Einheit des Getrennten"
findet R. mit Landgrebe „bereits im Keim die spätere Dialektik
des Begriffs" (51). Im Frankfurter Systemfragment ist die
Gegensatzeinheit als das Wesen des Lebens gedacht (54 f.) und
so bereits in ihrer allgemeineren Bedeutung erkannt. Aber noch
blieb dieses Leben dem reflektierenden Verstand entgegengesetzt
und so auch die Religion von der philosophischen Reflexion
geschieden. Der Bruch, den man darin gefunden hat, daß
die in Frankfurt der Religion vorbehaltene Versöhnung bald
darauf in Jena der Vernunft und der Philosophie zugewiesen
wird (5 8 f.), ist für R. nur ein scheinbarer. Hegel mußte nur
,.ausdrücklich und bewußt tun, was er tatsächlich schon getan

hatte, nämlich die Bestimmung der Philosophie als Reflexion
der Reflexion positiv auf die Einheit des Lebens als der Verbindung
der Verbindung und der Nichtverbindung beziehen. . ."
(60). Dieser Gedanke dürfte in der Tat überzeugend die Kontinuität
der Jenaer mit der Frankfurter Zeit aufweisen und zugleich
die Kontinuität der in Jena entstehenden Philosophie des
Vernunftbegriffs mit dem christlichen Liebe6gedanken als ihrer
geistigen Wurzel sichtbar machen. Von dieser Position aus
kritisiert Hegel in Jena die absolute Subjektivität des transzendentalen
Idealismus seiner Vorgänger (61 ff.) mit ihrer Entzweiung
von Ding und Ich und dem daraus folgenden „Atheismus
der sittlichen Welt" (75 ff.): „Die Rettung [sc. des Glaubens
] in die reine Subjektivität und als deren Kehrseite die
Auslieferung der Welt an den Atheismus, der Prozeß ihrer Verdinglichung
, ist als die Flucht vor dem Untergang dieser Lintergang
selbst" (78). Angesichts des Versagens der zeitgenössischen
Theologie sieht Hegel es in seiner Jenaer Zeit der Philosophie
als Aufgabe zufallen, die Versöhnung Gottes mit der
Endlichkeit und der endlichen Subjektivität zur Geltung zu
bringen (80). Damit ist die Subjektivität sowohl anerkannt als
auch verneint, was sowohl Heidegger wie Lukacs verkannt
haben (8 3). Die Kritik an der sich absolut setzenden Subjektivität
erfolgt besonders durch die Hervorhebung des Zusammenhangs
der reinen praktischen Vernunft mit dem „Terror
der Tugend", wie er in der französischen Revolution politische
Gestalt gewonnen hatte (8 5 ff.). In der Abkehr von abstrakt
revolutionären Postulaten gestaltet sich die Hegeische Philosophie
als eine „Hermeneutik der vorhandenen geschichtlichen
Realität", wie R. im Anschluß an J. Ritter zeigt, in Anerkennung
des Gegenübers des sittlichen Staates zur neuaufgekommenen
bürgerlichen Gesellschaft. Dieses Gegenüber ist freilich
kein bloßes Nebeneinander. R. hat wohl Recht mit seiner Bemerkung
gegen Ritter, daß Hegels Dialektik doch zu einer
Synthesis des Entzweiten drängt (86 Anm.), die auf die Konzeption
der Rechtsphilosophie vom sittlichen Staat als Garanten
der individuellen Freiheitsrechte vorausweist (88). Die konkrete
Durchführung des Gedankens der Versöhnung, wie sie in der
Phänomenologie zum erstenmal erfolgt, sieht R. ermöglicht
durch eine neue, positive Wertung der Arbeit des Verstandes,
dessen Entzweiung die Bedingung geschichtlichen Daseins überhaupt
bildet (98 f.). In Auseinandersetzung mit Lukacs, Kojeve
und Heidegger deutet R. an — leider nur allzu knapp — daß
der so entwickelte Gedanke der Versöhnung, wie er im sittlichen
Staat einerseits, in der Religion andererseits Gestalt gewinnt
, die Konzeption der Phänomenologie trägt. Erst mit
diesem Nachweis würde die volle Tragweite des christlichen
Liebesgedankens für die Genesis der Hegeischen Philosophie
erkennbar.

Trotz aller Betonung der Aktualität, die Hegels Denken
besitzt, ist R. doch nicht blind gegenüber seinen Schwächen. Zu
den Bedenken Landgrebes gegen die Aneignung der metaphysischen
Tradition durch den reifen Hegel fügt er die theologische
Kritik hinzu, daß Hegel „die Verborgenheit Gottes in seiner
Offenbarung und damit die Grundspannung des deus rcvelatus
zum deus absconditus beseitigt" habe (52 Anm.). Man wünscht
sich diese Andeutung ebenso wie die damit zusammenhängende
Kritik an Hegels Geistbegriff weiter ausgeführt. Vor allem ist
zu fragen, wie tief Hegels Konzeption von einer derartigen
Kritik betroffen und umgestaltet wird. In solcher Perspektive
würde vielleicht der Rückgriff Hegels in der Jenaer Zeit auf
Fichte sich als verhängnisvoller erweisen, als es bei R. 81 zum
Ausdruck kommt.

Mainz Wolfhart Pa n n c n bc rg

Wollson, Harry Austryn: Rcligious Philosophy. A Group of Essays.
Cambridge/Mass.: Belknap Press; Harvard University Press 1961.
XIII, 278 S. gr. 8°. Lw. $ 6.-.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß man sich in U.S.A. und
Großbritannien 6chr eifrig mit religionsphilosophischem Denken
beschäftigt; das bedeutet aber nicht, daß auch geschlossene
systematische Darstellungen der Religionsphilosophie das Tageslicht
erblicken. Wolfsons Buch ist auch keine „Religionsphilosophie
", es ist eine religionsphilosophische Essaysammlung gc-