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Ausgabe:

1963

Spalte:

257-260

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Ernst

Titel/Untertitel:

Theologie oder Ideologie? 1963

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 4

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ausgerichteten Ideenkreis sind Anknüpfungspunkte in der Theologie
Luthers vorhanden. Die analytische, den Christus in uns
wertende Deutung der Rechtfertigung, die wir beim jungen
Luther neben der forensischen finden, ist in der Theologie
Franckes zur vollen Entfaltung gekommen. An diese, auch
durch Arnd vermittelten Elemente der Theologie Luthers
knüpft Francke an, wenn er die Heiligung, die Vereinigung der
Gläubigen mit Christus und das unaufhörliche Wachstum des
christlichen Lebens betont.

Hier ist das Einbruchstor für die Mystik, für die Gedanken
einer Abkehr der Seele vom Irdischen, einer stufenförmigen
Entwicklung des Glaubens und einer intensiven Konzentration
, für eine rege Gebetspraxis und ein mystisches
Verständnis des Abendmahls. Die kalvinistische Kritik an den
indifferenten Dingen ist durch den Einfluß mystischer Tendenzen
intensiver geworden.

Diese drei Gcdankenkomplexc bilden den Nährboden
des Kirchenbegriffs. Also weder die Idee göttlicher
Institution noch der Gemeinschaftsgedanke sind seine Grundlage
. Er erwächst vielmehr aus den Elementen der Frömmigkeit,
die vom Ordnungsbegriff umschlossen sind. Unter dem Kreuz,

unter den Schlägen des Gesetzes, in einer allmählichen Entwicklung
erfolgt die rechte Applikation des Heilswerkes Christi,
kommt es zur Vivifikation der Bußfertigen, wachsen Menschen
heran, die ihre begnadeten Kräfte in den Dienst Gottes und
der Nächsten stellen. Das Bild dieser in willigem Leiden, in
demütigem Gehorsam und in wachsendem Glauben lebenden
Minorität wahrer Christen weist manche genuin lutherischen
Züge auf. Während aber Luthers Gedanken zu dem Satz
führen: „Abscondita est ecclesia, latent sanetü", ist die
Kerngemeinde Franckes, die Schar der Bekehrten, obwohl 6ie
im Raum der organisierten lutherischen Kirche verbleibt, doch
durch wahrnehmbare Kennzeichen von allen anderen Christen
geschieden. Dadurch werden die lutherischen Ansätze umgebogen
. Der Kirchenbegriff wird unter dem Einfluß kalvinistischer
und mystischer Gedanken dem Ideal donatistisch schillernder
Heiligungsgemeinschaften angenähert. Die allem lutherischen
Empfinden fremde Gleichsetzung der entschiedenen Pietisten
mit den Kindern Gottes, des übrigen Kirchenvolks dagegen mit
den Kindern der Welt hat schließlich dem Gegensatz zwischen
Francke und seinen orthodoxen Gegnern eine Note unversöhnlicher
Härte verliehen.

Theologie oder Ideologie?

Bemerkungen zu einem heilsgeschichtlichen Programm

Von Ernst Fuchs, Marburg/Lahn
vier A«f.2S "Einfüh™g" von Pannenberg und ganze wirklich sdl0n cjn pr0 amm? Dafi ist zweifeihaft. Sie

S Reniorff Offenb^rungsvors eilungen ,m Alten Israel hat eher eine Aufgabe. Zwar fst mir auch nicht ganz klar ge-

(R. Rendtorff), Das Offenbarungsyerstandnis ,n der Gesuchte worden, worin die Gruppe selber ihre Aufgabe erblickt. Da-
des Urchnstentums (U. W. ckens), Dogmat.sche Thesen zur gegen kann man wohl von einer Devise oder These reden (P.
Lehre von der Offenbarung (W Pannenberg), Das Offenbarungs- legt deren sogar 7 vor, 91-114). Die allen, wie es scheint, ge-
problem im K.rchcnbcgriff (T. Rendtorff). meinsame These wird am klarsten von T. Rendtorff ausge-

Seit dem Erscheinen dieser Programmschrift eines aus dem sprochen. Er schreibt: „Der theologische Sachverhalt der in Jesus
Milieu Heidelbergs hervorgegangenen Kreises von Theologen als von ihrem Ende her offenkundig gewordenen Einheit der
verschiedener Disziplinen (am schwächsten ist offensichtlich bis- Geschieht,, bestimmt als Auseinandersetzung um die Einheit der

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her die Kirchengcschichte vertreten) sind beachtliche Einsprüche Kirche ihre konkrete Existenz als eschatologisdie, d. h

(nicht nur Einwände) erhoben worden: so von W. Zimmerli ge- dem Zeichen des ihr zukünftigen Endes stehende und „L

gen Rendtorff ( Offenbarung" im Alten Testament, in Ev. Pekt auf die Einheit der Kirche enthalt zugleich die Hinsicht

Theol. 22, 1962,'l5-3l), von G. Klein gegen das ganze Unter- auf die Universalität der nadichristlichen (gemeint Ist woh :

nehmen (Offenbarung als Geschichte? in PastTh 51, 1962, «acht Christus sich ereignenden; der Verf.) Geschichte ••■ 029).

65-88) und von L. Steiger (Offenbarungsgeschichte und theolo- »daß die Einheit der Kirche einer Einheit der Geschichte

gische Vernunft. Zur Theologie W. Pannenbergs, in ZThK 59, Wespondiert (130). Begründet .st diese Korrespondenzth«

1962, 88-113). Zimmerli beschränkt sich auf seine Disziplin; >m ..Chnstusgeschehen", so daß R sagen kann: „Der Satz, die

L- Steiger geht noch auf andere Publikationen P.s ein: G. Klein Kirche verlangt zu ihrem Verständnis daß sie im Zusammen-

bespricht die einzelnen Aufsätze des Programmhefts, nennt hang mit dem christusgesdnehen begriffen ^ .st offenbar be-

seine sehr detaillierte Würdigung aber auch „Marginalien . reits als historisches Urte.l unumgang ich und nn.ß in diesem S.nne

Wenn mehrere V f er abe T miteinander programmatisch ^°l°g>sch nachvollzogen werden" (12t). D«.^^^

schreiben, zwei von ihnen sosrar eine Art „Summe" ihrer Dis- *t nämlich eine der Kirche vorausliegende „Gesch.chtstatsache

zipün ziehen wolle« (wie R R und U W. dann kommt man 029). Deshalb gilt das Postulat: „Die Notwendigkeit, die Kirche

als Rezensent in Verlegenheit Am liebsten würde ich allen Ver- m ihrer Bezogenheit auf das Christusgeschehen zu begre. en . t

fassern einfach unterstellen sie hätten im Detail recht. Das ist aus^ihrer Geschichte zu folgern

aber schon gegenüber R. Rendtorff kaum möglich, weil Zimmerli Ziehung als (sie!) diese Geschichte Wirklichkeit (sie!) ist (128).
für mich überzeugend nachweist, bei der "Formel „Ich (bin) Offenbarung (Selbstoffenbarung Selbsterwe.s Gottes) im
Jahwe" handle es sich nicht wie R. behauptet, um eine späte Sinne des Programms bzw. also der These der Gruppe ist ohne
..Kurzform", sondern um eine ursprüngliche Aussage (ich füge Umschweife geschichtliche Wirklichkeit in Zeit und Raum. Aber
hinzu: eines einst jungen Gottes). Mögen also Jahwes Ge- sie 1« so nicht etwa nur europäische, sondern ..universale Geschichtstaten
ein Spiegelbild der Offenbarung Jahwes sein - von sch.chtsoffenbarung" (so Pannenberg 98 ff)Dah« der T.tel
„indirekter" Offenbarung Jahwes zu reden ist mißlich, wenn Z. des Programmheftes: Offenbarung «Ii >9.""~~*L f RR°X'
Recht hat. Jedenfalls sind die Akten in dieser Sache nicht ge- wenn auch ohne zusätzliche Inspiration (dies gegen R. Rothe,
schlössen. Die Diskussion wird sich innerhalb der at.lichen 106; 114). .,;■

Wissenschaft fortsetzen müssen. Das gleiche gilt von G. Klein* Wer die geschichtliche Wirklichkeit Gottes behauptet, der

Einwänden gegen Wilckcns. Da Wilckcns Sachaussagen auch diskutiert nicht mehr. Er wird entweder alle, die sie nicht sehen

meine Arbeiten berühren, aber ohne sie zu nennen, sehe ich oder wahrnehmen, als „verblendet" hinstellen Das besorgt

mich nicht vcranla ßt auf das Detail einzugehen; ich darf mir denn auch Pannenberg (100). Daraus folgt, „dab sie zur Vcr-

das für andere Arbeiten vorbehalten. Statt dessen möchte ich nunft gebracht werden müssen, damit sie recht hinsehen. Wenn

mich hier zum Ganzen äußern. ™n hier anders denken wollte, dann wurde man die chr.st .che

Wie steht es mit dem Programm der Gruppe? Hat sie als Wahrheit zu einer ^^^^für^t^U edo*
__ Wie macht man das? in der Verkündigung? Oreirt diese jedoch

_ .„ ^ . . _ ... t, in zur Zukunftsaussage im Blick auf das Ende der Wirklichkeit,

') Pannenberg. Wolfhart: Offenbarung als Geschient«. " dann kommt <=,V nnrh P s eiecner Aussage nicht ohne das „Sym-
Verb. mit R. Rendtorff, LI. Wilckcns, T. Rendtorff hrsg. Gottingcn nn tajnjrtdrM&Pj e gener g ^

Vandenhocck & Ruprecht ,3, S. g, 8' = Kerygma und Dogma. DOl ^G.EtW« ^£ r^nm entzogencn Gesc])chcn