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Ausgabe:

1963

Spalte:

225

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kroner, Richard

Titel/Untertitel:

Von Kant bis Hegel 1963

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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225

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 3

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PHILOSOPHIE UNÜ HELIGIONSPHILOSOPHIE ^TrY^!? .zwci*enfl 'aUfeCnde". Teiles*' ,diesc Einschätzung
der Lage dahin: daß die Philosophie seit Sokrates (in mehr

Krön er, Richard: Von Kant bis Hegel. 2. Aufl. Zwei Bände in *}s dreiundzwanzig Jahrhunderten) zu keiner Klarheit über ihre
einem Band. Tübingen: Mohr 1961. XXVI, 612 S. u. XII, 526 S. Grundbegriffe und folglich zu keinem eigentlichen Fortschritt
gr. 8°. DM 48.-; Lw. DM 58.-. gekommen sei (90 f.), wie überhaupt Linke sich mehrfach der
Die erste Ausgabe dieses großen Werkes liegt rund 40 Frage stellen muß (etwa 15), ob die Mängel und Aporien, die
Jahre zurück. 1921 erschien der 1., 1924 der IL Band. Die jetzt cr konstatiert, nicht vielleicht im Wesen der Sache, also im We-
vorliegende Neuausgabe ist ein unveränderter Neudruck, von ?e?,^?r Philosophie und ihrer besonderen Art an Wissenschaf t-
der Erstausgabe nur durch ein neues Vorwort und durch die Jicnkeit, liegen, statt daß man sie lediglich einer bestimmten
Zusammenfassung der beiden Bände in einem einzigen Bande (vielleicht periodisch wiederkehrenden) Epoche eines dekadenunterschieden
. Insofern kann es sich hier auch nur um eine An- ten und epigonenhaften Philosophierens zur Last legen könnte,
zeige dieses Neuerscheinens und nicht um eine Besprechung im Da diese Grundfrage offen bleibt, treffen alle — im folgenextensiven
Sinne handeln. den aufzuzählenden — Symptome an „Niedergangserscheinungen".

Diese Anzeige kann indessen gerechterweise nicht gesche- ?° beachtlich und interessant sie sein mögen, u. E. nicht den
hen, ohne der Freude darüber Ausdruck zu geben, daß dieses jf5n ^es Problems, ebensowenig jene psychologischen oder
unveraltet wichtige Buch wieder zugänglich ist. Es ist auch nach Phänomenologischen Einzelbeobachtungen, welche die Substanz
N. Hartmanns späterer zweibändiger Geschichte des Idealismus des zweiten, aufbauenden Teiles ausmachen und die sich mehr
die klassische Darstellung des Weges von Kant über Jacobi, a's, eine Auseinandersetzung Linkes mit den verhältnismäßig
Reinhold und Maimon zu Fichte, dann Schellings in allen seinen zettgeoundenen philosophischen Grundproblemen im ersten
Phasen und schließlich Hegels. Das Werk ist darin dem Genius ~T'tte' unseres Jahrhunderts lesen (z. B. daß optische Täu-
Hegels aufs tiefste verpflichtet, daß es, indem es Geschichte «chungen nicht den logischen Satz des Widerspruchs aufheben),
darstellt, den Weg des Geistes in dieser unvergleichlichen Nichtsdestoweniger verdienen folgende Symptome an
Epoche selbst philosophierend nachvollzieht. Dabei wechseln in j^ledergangserscheinungen in der Philosophie der Gegenwart die
der Darstellung ständig Hingabe und kritische Distanz, pietät- Beachtung gerade auch des Theologen (die Ordnung der Reihenvolle
Bewunderung der Größe dieses Philosophierens und rolge vom Rez.):

schonungsloses Aufzeigen der Aporien, welche zur Überwindung 1) Die heutige Philosophie will ihre Probleme gar nicht
der geheimen Mängel der alten in neuen Systementwürfen hin- mehr l ö s e n, sondern bloß noch behandeln oder „sedrängen
. Auch dies scheint mir ein wichtiger Vorzug zu sein, hen". „Ejn bloßes Behandeln der Probleme als isoliertes' Ziel
daß der große Stil des Werkes, das doch weit über 1000 Seiten ist unmöglich" (18). „Auch die anscheinend bloße Erörterung
hinausgreift, es nicht verhindert, daß es im einzelnen eine fast ist, wenn sie fruchtbar sein soll, nur auf Grund eines ener-
kommentarhaft minutiöse Einführung in die einzelnen Werke g i s c h e n Willens zur Lösung durchführbar" (22 vgl 68)
Kants, Fichtes Sendlings und Hegels enthält. Man kann 2) Die heutig« Philosophie (aber nur die heutige? oder
Kroncr eigentlich nicht lesen, ohne immer die Texte daneben auch nur seit Hegel?) verwechselt in verhängnisvoller Weise
2U naben- , , , . dle Frage nach dem historisch bzw. geistesgeschichtlich Bedeut-
Im neuen Vorwort spricht sich der betagte Verfasser zu- samen mit der Frage nach der sachlichen Richtigkeit und Wahr-
sammen mit seinem erneuten Bekenntnis zur Notwendigkeit neu. So konnte auch die „Weltanschauung" des National-
dieser philosophischen Entwicklung von Kant bis Hegel auch Sozialismus so großen EjnfIuß gewinnen (80). Wenn der primär
über die Gründe seiner letzten Distanzierung speziell von historisch orientierte Philosoph als seine Aufgabe empfindet,
Hegel aus. indem er die religiöse Offenbarung, „die ekstatisch- das geistesgeschichtlich Wirkkräftige, das Einflußreiche oder ,in
Prophetische Inspiration" für den Höhepunkt der „Selbstverwirk- der Luft Liegende' herauszuarbeiten, übersieht er völlig, daß
lichung des Geistes" erklärt. Nie wird die Vernunft fähig sein, im allgemeinen „das G r ö b e r e das geschichtlich Stabilere" ist
die Offenbarung „einzuholen". Mit diesen Hinweisen Inhalt- Witat aus Nikolai Hartmann: Das Problem des geistigen Seins,
lieber Art schließt er nachträglich dieses große Werk mit seinen 5.176, bei Linke S. 81). „Viel Zweifelhaftes hält sich im Wan-
späteren Arbeiten zusammen, ohne es zu korrigieren oder zu del der Zeiten mit erstaunlicher Zähigkeit, viel Großes und
verleugnen. Vielmehr deutet er noch einmal auf dessen ver- Herrliches ist erschütternd ephemer" (N. Hartmann, ib. S. 176,
borgenen theologischen Sinn. Möge das meisterliche Werk eine bei Linke S. 81). - Linke stellt in diesem Sinn „Rationalis-
Weitere Generation zum Verstehen der kritischen Philosophie mus ' gepen Historismus (hierbei positive Worte Albert Schweit-
und des Idealismus anleiten. ^rs über den Rationalismus aufnehmend):

(;""'"*en Wolfgang Trillhaas ..Der Rationalismus, so genommen wie wir es dargelegt haben,

r ietet natürlich aufs strengste, aus der .Größe' eine« Gedanken-
Linke, Paul Ferdinand: Niedergangserscheinungen in der Philosophie Verl ^ofern darunter lediglich sein Wert für die Gestaltung und
der Gegenwart. Wege zu ihrer Überwindung. München - Basel: E. vers/eijUng Süsser die Menschen beherrschender Überzeugungen
Reinhardt 1961. 154 S. gr. 8°. Kart. DM 9.50: Lw. DM 11.50. (82) W'rd) auf einc obiektive Wahrheit in ihm zu schließen"
Es handelt sich bei diesem Buch um ein „Nachlaßwerk', n. , . «au i o -i
welches ein Schüler des früheren langjährigen Philosophen in „nhlL?^ ZS {M°S°vhle hahea: ™ E*Th ' • f
Jena, Andreas Konrad (München), herausgegeben hat. Aber daß , e d e FÄ. Exakie,t ,we»c"sma^ ™e"e'*bar **• *»f
es n j • • a. i j ^t-j. i- j j ca. J-.fi , e txaktheit verzichtet (36). Die Folge sei eine teilweise un-
es unvollendet ist, ist kaum der eigent iche Grund dafür, daö elauhli^« l i v i . r, .,
Vfpni,,., . ... i » i.i tt ii j w»rV« *,d,UBI,cne begriffliche Verwahr osung mit arroganter Gleich-
«enigstens der zweite, konstruktive Teil des Werkes eültialr<»i» -uji-j j/ia jdl
nicht bl . t . nn.^i j ii * '•,;;<• ict k"'"gkeit gegenüber der Forderung, daß Aussagen und Behaup-
"icnt uberzeugt. In seiner ganzen Diktion und Mentalität ist tunken A: j j . n „.--u* „,j,j r j
LinU i .. • i i -i* _i_ t l c j. vAor- lunger'. die man gedruckt mitteilen mochte, nachdenkbar und
^iriKe ein sokratisch - kritischer Typ, mehrfacher Wider- nachprüfbar se'

KSÄlai Hartm.annS' Gegenpol zu dessen systematisch- _ ^ an^ ^Scharfsinn und spitzfindige Distinktionen, an

onstruKt an Aristoteles geschulter Art des Ph.Ioso denen m ^ njAt fch]t (?emeint ^ ^ phiIospphcn

Bierens. Und gerade im Blick auf Nikolai Hartmann, zu des- die Heidegger folgen oder ihm nahe stehen"), bei denen aber die

er< imposantem Werk Linke offenkundig kein rechtes Verhält- Möglichkeit intersubjektiver Nachprüfung fast durchweg verbaut ist.

n,s gewinnen konnte, möchte man die Grundthese Linkes über- dürfen mit echter begrifflicher Präzisionsarbeit nicht verwechselt

Haupt bestreiten: Wir leben in einer Zeit steigenden philoso- werden" (87).

Preschen Interesses, aber sinkender philosophischer Gewissen- 4) An die Stelle intersubjektiver Mitteilbarkeit der Ge-

ftigkeit (nach einem Wort Drieschs), „das wissen- danken ist — in einem nicht berechtigten Ausmaß — das rein

s c h a f 11 i c h e Niveau der philosophischen Literatur unserer subjektive (kongeniale) „Verstehen" getreten (47 ff.). So wert-

lage" ist „merkbar niedriger ... als das der übrigen DiszipH- voll und unabdingbar die Intuition zur Heuristik ist (70f.),

ncn ' (26), die Philosophie der Gegenwart ist im Niedergang gefundene Warheiten müssen rational erfaßbar und objek-

begriffen. Aber: nur der Gegenwart? In auffälligem Wider- tiv fixierbar sein (66 ff.). Dilthey und auch Husserl tragen an

sPruch zur Titel-Überschrift verallgemeinert Linke bei der einer Entwicklung der Philosophie zu Intuitionismus und Irra-