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Ausgabe:

1963

Spalte:

219-223

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Ihlenfeld, Kurt

Titel/Untertitel:

Zeitgesicht 1963

Rezensent:

Doerne, Martin

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219

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 3

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heraus. Die Schrift wird nicht mehr als lebendiges Wort Gottes
in seiner richtenden und freisprechenden Gewalt geglaubt, erfahren
und bezeugt. Der unter uns wirkende Herr wird in die
Vergangenheit hineingebannt. Er begegnet uns nur noch durch
den geistlichen Organismus der kirchlichen Erfahrungen hindurch
. Er verschwindet gleichsam hinter dem Katholon. Nach
dem eingangs zitierten, von Lackmann selber seinem Buch
vorangestellten Wort Newmans steht dem Atheismus nicht der
lebendige Herr, sondern die Katholizität kirchlichen Glaubens-
lebens gegenüber. Die „Katholizität" bekomme ich als eine
letztlich ästhetische Kategorie jedoch erst dann zu Gesicht,
wenn ich mich selber aus dem unmittelbaren Stehen vor dem
dreieinigen Gott herausgelöst und die Abstandhaltung eines
überschauenden Betrachters eingenommen habe.

Der Vergleich des zweiten mit diesem ersten Teil des Buches
bestätigt dem aufmerksamen Leser: Lackmann formuliert
seine Absage an den Protestantismus nicht aus dem reformatorischen
Glauben heraus; hier wird auch nicht das alte „naive"
Zeugnis eines Thomas oder selbst der Trienter Väter laut. Hier
redet weithin der Idealismus in seiner romantisch -organologi-
schen Ausprägung; er hat dem Verfasser einen „sentimentali-
schen" Zugang zur mit Rom verbundenen Kirche eröffnet. Noch
spricht Lackmann nicht voll aus dem Glaubensleben römischer
„Katholizität" heraus. Als ein später Nachfahre der Romantiker
spricht er auf das Katholon der im römischen Bischof geeinten
Glaubensgemeinschaft zu; die Angst vor dem Atheismus treibt
ihn auf diesen Weg.

Die tiefen Schäden in unseren Kirchen, auf die Lackmanns
bittere Anklage den Finger legt, werden wir nicht vertuschen
wollen und können; die denkerischen Unklarheiten und vordergründigen
Alternativen seines „Bekenntnisses" würden uns jedoch
nur in neue Verwirrung stürzen.

Heidelberg Albrecht Peters

Fischer-Barnikol, Hans: Neue Wege der Nachfolge Jesu
Christi in der katholischen Laienschaft.

Wege der Nachfolge (Schriften des Evangelischen Bundes in Westfalen
Heft 3). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1962 S. 23-59.
Haars ma, F. : Die Gültigkeit der Taufe in nicht-katholischen
Kirchen.

Una Sancta 17, 1962 S. 181—187.
Leeming, Bernard: Lutheran Reflections on the Second Vatican
Council.

Heythrop Journal 3, 1962 S. 370.
Ramsey, Michael: Die Kirchenväter und die moderne anglikanische
Theologie.

Una Sancta 17, 1962 S. 1—5.

S a r t o r y, Thomas: Am Vorabend des Konzils.
Una Sancta 17, 1962 S. 175-180.

Schnell, Hugo: Spectaculum mirabile — Zum Zweiten Vatikanischen
Konzil.

Lutherische Monatshefte 1, 1962 S. 403-410.

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Ihlenfeld, Kurt: Zeitgesicht. Erlebnisse eines Lesers. Witten-
Berlin: Eckart-Verlag 1961. 475 S. 8°. Lw. DM 24.-.

Ein JahTzehnt nach dem Erscheinen seines (heute vergriffenen)
Buches „Poeten und Propheten" führt dieser neue Essay-Band
K. Ihlenfelds das Thema des ersten Buches bis 1960 fort: die
Befragung der modernen Literatur, hauptsächlich des Romans
und der Lyrik, auf ihren Beitrag zur Selbsterhellung der Zeit,
vor allem auf ihre offenbaren wie verborgenen Beziehungen zur
„religiösen Frage". Er tut es ebenso meisterhaft wie jene Durchleuchtung
der Nachkriegsliteratur, ebenso frei und vielseitig in
der Auswahl der Bücher und der Autoren, ebenso glücklich in
der Zusammenfügung der 110 Einzelstudien zu einem Ganzen^—
Wie viele von den besprochenen Autoren ist Ihlenfeld Dichter
und Literaturkritiker in Personalunion. Gleichzeitig mit „Poeten
und Propheten" erschien 1951 sein Roman „Wintergewitter
" (7. Aufl.); ihm folgten die Romane „Kommt wieder,
Menschenkinder" (1954, 5. Aufl.), und „Der Kandidat" (1958,
3. Aufl.), das .lyrische Tagebuch' „Unter dem einfachen Himmel"
(1959), das Drama „Rosa und der General" (1957), unter seinen
Literaturstudien die „Huldigung für Paul Gerhardt" (1956)
und „Freundschaft mit Jochen Klepper" (1958). Die Sinnrichtung
dieser Personalunion umschreibt das Vorwort zum
„Zeitgesicht" (6) so:

„Heute ist das Bewußtsein davon wach, daß die kritische Komponente
elementar zur Kunst gehört... Es muß die Universalität des
geistigen Lebens gewahr werden lassen... die gesellschaftlichen,
politischen, religiösen Zusammenhänge, innerhalb deren die Kunst nun
einmal ihr Wesen hat... Die religiöse Frage ist unter allen Verwandlungen
und Verwirrungen unserer Zeit nicht weniger rege als früher,
verzweigt sich überall hin, gibt von ihrer Intensität an andere Bereiche
ab, erweist sich mit einem Wort auch heute als die Grundfrage
unserer Existenz. Wie sie sich beantwortet, steht dahin. Viele konventionelle
. . . Antworten stellen sich ... als unzureichend heraus,
auch innerhalb der christlichen Wahrheitssuchc. Wir sind auf dem
Wege."

Von den vier Teilen ist der erste („Die Geschichte des
Menschen") dem zeitgenössischen Roman gewidmet. Der zweite
(„Das Gewissen der Sprache") gibt einen kritischen Durchblick
durch die deutsche Lyrik der Gegenwart. Der dritte („Wege
und Umwege") berichtet vorwiegend über zeitbezogene religiöse
Bücher und Dokumente. Der vierte („Atem der Jahrhunderte")
greift übeT die Hervorbringungen der jüngsten Zeit auf „ältere
Prosa" und Dichtung zurück, von P. Gerhardt, Hamann, Goethe,
Novalis, Hebel, den Brüdern Grimm über Mörike, J. Gotthelf,
Stifter, Fontane, L. Bloy bis zu Hofmannsthals „Deutschem Lesebuch
". In zwei Verzeichnissen werden die etwa 150 behandelten
Bücher und Autoren genannt, letztere unter Verweis auf ihre
mehrfachen Fundorte. Die Überschriften der Einzelbetrachtungen
nennen nur ausnahmsweise Namen und Buchtitel. In knappen
Zitaten oder im Sinnbild zeigen sie plastisch, die Aufmerksamkeit
des Lesers erweckend, die Perspektive der Befragung.
Ihlenfelds eigenste Gedanken zu den verschiedenen Bereichen
der befragten Literatur kommen in fünf Zwischenbesinnungen
(„Intermezzo I—V") zu Wort, besonders einprägsam in dem
dichterischen Dialog von der „Scherbenstadt" (Intermezzo II :
zur Lyrik, 181 ff.).

Aus dem Inhalt der beiden ersten Teile mag auswahlweise
einiges Wichtigste herausgegriffen werden.

Die knappe Auswahl von Romanen und sonstiger Erzähldichtung
im 1. Teil umschließt zu annähernd gleichen Teilen deutschsprachige
und außerdeutsche Werke. Unter den englisch-amerikanischen Schriftstellern
nimmt Virginia Woolf einen Vorzugsplatz ein (11 ff., 53 ff.).
In der scharfsichtigen Studie über S. Beckett, den „Clown des Nichts"
(20 ff.) notiert I. die überraschende Nähe dieser „marcionitischen
Theologie" zu der gnostischen „Verpönung des Kreatürlichen", u. a.
an Hand eines mandäischen Textes. — Mit tief eindringendem Verstehen
wird der Roman des amerikanischen Negers Ralph Ellison
(„Der Unsichtbare", deutsch 1955) gewürdigt. — Ein Zeuge für Ihlenfelds
eigene Intentionen ist Bruce Marshall mit seinem „heiteren
Glauben" (85 ff.).

Unter den Franzosen ist am ausgiebigsten Fr. M a u r i a c berücksichtigt
. Seine Autobiographie (deutsch: Bild meines Ich, 1959),
ein „Abendbuch" (58 ff., 329 ff.), ist exemplarisch für die kritische
Abstandnahme des entschlossenen Christen von der Scheinwelt der
„schönen Literatur". Auch auf Mauriacs zweibändiges „Journal"
(deutsch: Von Tag und Ewigkeit, 1955) geht 1. (241 ff.) aufmerksam
ein. Es sind die französischen Katholiken, denen im ..Zeitgesicht"
eine nahezu entscheidende repräsentative Funktion für die heute und
morgen erforderte Zeitgestalt lebendiger Christlichkeit beigelegt
scheint, — mit erheblichen Einschränkungen P. Claudel, der „Vollblutkatholik
", dessen Briefwechsel mit A. Gide (344 ff.) für J. Green
(233 ff.) ein Warnzeichen vor dem integral-christlichen Eifern wurde.
Höher geschätzt wird L. Bloy, obwohl gerade seine, Kierkegaard verwandte
, entschlossene Christlichkeit von einem hemmungslos eifernden
Grobianismus wunderlich begleitet wird (432 ff.). — Auch die
„östliche Hemisphäre" (7) ist in dem Perspektivplan des „Zeitgesichts"
nach Gebühr mitbedacht, wennschon hier gewisse pragmatische Grenzen
der Zugänglichkeit nicht zu überspringen sind. U. a. werden der
Ungar Tibor Dery (105 ff., 109 f.) und der jüngere Pole Marek Hlasko
(111 ff.) herangezogen. Über allen besprochenen oder mitgenannten
Romanciers und Erzählern der Jahrhundertmitte rangiert für I. als der
„Gigant", der in unseren Zeiten nicht seinesgleichen hat, trotz seinem