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Ausgabe:

1963

Spalte:

208-209

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schneider, Bruno

Titel/Untertitel:

Cîteaux und die benediktinische Tradition 1963

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 3

203

rückwärts verfolgt. Aber sie hat nun ihre Analyse leider nicht
als Analyse dargestellt, sondern aus den von ihr sozusagen
zufällig verfolgten Gedanken- und Vorstellungskomplexen das /
Bild einer kontinuierlichen Gesamtentwicklung zu zeichnen
versucht. Und das ist nicht gelungen, und konnte nicht gelingen.
Zeichenhaft dafür ist schon der Umstand, daß der Leser bis weit
über die Mitte des Werkes hinaus nicht recht weiß, woraufhin
die verschiedenen Texte eigentlich befragt werden. Der äußerlich
sichtbare Grund für das Mißlingen der Entwicklungsdarstellung
liegt in der Wahl des Leitmotivs: Aufrechter Stand
und Himmelsblick des Menschen. W. setzt dabei voraus, daß
überall, wo vom Aufrichten des äußeren oder inneren Menschen
, von seinem Ausgerichtetsein nach oben die Rede ist, nur
Modifikationen der griechischen, philosophischen Lehre vom
rectus Status des Menschen und seiner contemplatio caeli vorliegen
. Das ist aber eine ganz unmögliche Voraussetzung! Daß
der Mensch sich von den Tieren durch seinen aufrechten Stand,
der es ihm ermöglicht, nach oben zu schauen, unterscheidet, ist
doch ein grundlegender und allgemein bewußter Sachverhalt
des menschlichen Daseins ebenso wie Schlaf und Wachen, Trunkenheit
und Nüchternheit, Tod und Leben. Wie diese bietet
er sich überall, wo es Menschen gibt, zu übertragener Verwendung
an. Nun gibt es tatsächlich eine direkte, aber dünne
Rückverbindung von dem Bereich, den W. „philosophische
Gnosis" nennt, zur Lehre der antiken Philosophie von rectus
«tatus und contemplatio caeli, nämlich da, wo ausdrücklich Bezugnahme
auf diese Vorstellung als einen Topos der Philosophie
vorliegt, und sonst vielleicht, wo speziell von der Schau
des Himmels als Folge des aufrechten Standes die Rede ist.
Aber daneben fließen die Bilder vom aufrechten Stand und
Himmelsblick in breitem Strom auch mit den anderen Traditionen
(Judentum, Christentum, Gnosis, Mysterienreligionen)
als Ausdruck deren spezifischer Daseinshaltung in die sog.
philosophische Gnosis ein, abgesehen davon, daß die „philosophische
Gnosis" auch von sich aus diese Vorstellung als Symbol
aufgreifen konnte. Am merkwürdigsten berührt mich der Umstand
, daß W. in den Anmerkungen fleißig „Parallelen" zum
Aufrechtstehen und Nach-oben-Schauen zitiert, z.B. aus dem
AT und der sog. mythologischen Gnosis, ohne zu merken,
daß diese „Parallelen" ihre ganze eigene Konzeption in Frage
stellen.

Wenn man auch die das Ganze tragende Idee des Werkes
von W. nicht akzeptieren kann, so sind doch einzelne Teildarstellungen
bemerkenswert und brauchbar. Sehr lehrreich erscheint
mir schon der Abschnitt „Rectus Status und contemplatio
caeli in der philosophischen Anthropologie" (8—47),
aus dem man nebenbei entnehmen kann, daß der Geist Piatos
vor dem Neuplatonismus keineswegs tot war, d. h. auf der
anderen Seite, daß die Stoa (entgegen dem Dogma mancher
Neutestamentier) keineswegs die Normalphilosophie der Spätantike
war. Sehr schön ist in dem Abschnitt über Clemens
Alexandrinus (143-179) die ständige Herausstellung der eigenartigen
Mysterien-Terminologie. Die Abschnitte über die
Hermetik (115-142) und über Laktanz selbst (180-231) mit
einem brauchbaren „Verzeichnis der Zitate und Erwähnungen
hermetischer Literatur bei Laktanz" (261 f.) sind als Wurzel
des Ganzen selbstverständlich lesenswert und aufschlußreich,
wenngleich die Ausführungen über die Taufdeutung des Laktanz
(216—222) von einer direkt in die Augen springenden
Überinterpretation getragen sind. Der Abschnitt über Philo
(50—114) ist von dem ganzen Werk der schwächste Teil. Hier
zeigt die vorwiegend am Wort und Begriff haftende und kaum
zur gemeinten Sache vordringende Betrachtungsweise von W.
ihre Mängel am deutlichsten.

Am Schluß des Werkes findet sich anhangsweise ein Aufsatz
„Die Gottesprädikation pater et dominus bei Laktanz:
Gott in Analogie zum römischen pater familias" (232—246);
es folgen noch sieben Exkurse (247-260) und schließlich ein
Stellenregister (263-272).

Berlin Hans-Martin Schenke

KIRCH EN GESCHICHTE: MITTELALTER

L e f f, Gordon: Gregory of Rimini. Tradition and Innovation in
Fourteenth Century Thought. Manchester: University Pres« [1961].
X, 245 S. 8°. Lw. 32 S. 6d.

In die mancherlei strittigen Meinungen über Gregor von
Rimini und seine Wirkungen sucht diese Arbeit Klarheit zu
bringen. Methodisch geht Leff nicht weiter auf die Streitfragen
ein, ob Gregors Augustinismus Augustinus selbst entspricht odeT
dem des 13. Jahrhunderts oder mehr Duns Scotus oder Brad-
wardina, ob weiterhin über ihn als Anti-Pelagianer oder als
Ockhamist zu urteilen 6ei. Auch die nicht unwichtige Frage des
möglichen Einflusses Gregors auf Luther und die Reformation,
die an anderer Stelle als für weiterer Forschung wert gehalten
wird, läßt Leff absichtlich außerhalb seiner Untersuchung. Es
geht ihm um Gregors Denken selbst, und zwar um ein als ein
Ganzes verstandenes Denken, also nicht wie bisher als ein
theologisch streng augustinisch, philosophisch aber ockhamistisch
beurteiltes Denken. Den Grund für eine so irreführende Beurteilung
sieht Leff in dem bisher nicht genügend berücksichtigten
geistigen Zustand des 14. Jahrhunderts. Deshalb gibt er
eine umfassende Rechenschaft über die Art von Gregors Denken
in seiner Zeit und ihren Verhältnissen. Die Denkweise des
14. Jahrhunderts veranlaßt Gregors Reaktion. Die Zeitumstände
sind auch der Schlüssel zum richtigen Verständnis Gregors von
Rimini, der einer der bedeutendsten Vertreter des Augustinismus
im Spätmittelalter gewesen ist. Nach Vorwort, Quellenverzeichnis
und I. Einleitung (S. 3, Anm. 1 ist mein Beitrag zum
Thema fälschlich unter H. Beintner genannt) folgen die thematisch
bestimmten Kapitel: II. Wissenschaft (29—74); III. Gott
und seine Eigenschaften (75—119); IV. Die neue Kosmologie
(120—154); V. Freier Wille, Gnade, Prädestination und Sünde
(155-216); VI. Die Stellung der Theologie (217-234); VII. Gregor
und sein Verhältnis zur Tradition (Gregor and Tradition)
(235—242). Die Einleitung beschäftigt sich mit dem Stand der
Forschung und Echtheitsfragen von Quellen. Wir vermissen die
Berücksichtigung von A. Zumkellers Arbeiten über die
Augustiner des 14. Jahrhunderts (1941 ff. veröffentl.) und von
einigen nicht unwichtigen Ausführungen über die spätmittelalterliche
Augustinerschule und Gregor selbst bei W. Werbeck,
Jacobus Perez von Valencia, 1959. Die Einzelthemen sind
sämtlich sorgsam durchgeführt und straff gegliedert. Die Arbeit
gibt damit eine bisher als derart einheitliche Beurteilung
fehlende Sicht Gregors wieder. Die Frage der Ein-, Vor- und
Zuordnung dieses bedeutenden Theologen des 14. Jahrhunderts
wird jetzt neu zu untersuchen sein.

Jena Horst Ii e i n t k e r

Schneider, Bruno, S.O. Cist.: Citeaux und die benediktinische
Tradition. Die Quellenfrage des Liber Usuum im Lichte der Con-
suetudines monasticae. Excerptum ex periodico: Analecta S. Ordinis
Cisterciensis XVI (1960) fasc. 3/4 et XVII (1961) fasc. l/2. Roma:
Editiones Cistercienscs [1961]. 138 S. 4°.

Die Vorschriften für das liturgische und disziplinare Leben
in Citeaux enthält der Liber Usuum, dessen bisher älteste bekannte
Fassung (nicht lange nach 1130 verfaßt) im Codex 1711
der Trienter Stadtbibliothek vorliegt. Die Frage, wie sich seine
Anordnungen zu denen des zeitgenössischen benediktinischen
Mönchtums verhalten, liegt nahe, ist doch ihre Beantwortung
zum Verständnis der Eigenart des frühen Cisterziensertums lehrreich
. So eigengeprägt die Vorschriften in vielem sind, so sind
doch Entsprechungen zu den benediktinischen consuetudines
unverkennbar. Im allgemeinen begnügt man sich zu vermuten,
man habe bei der Gründung von Citeaux anscheinend die in
Cluny und den Klöstern der Provinz üblichen Vorschriften zugrunde
gelegt und je nachdem abgewandelt. Es erhebt sich die
Frage, ob die Traditionen nicht exakter ermittelt werden können
. Vorliegende Abhandlung unternimmt es, eine Antwort zu
geben, die über Vermutungen hinausführt. Sie schlägt den einzig
möglichen Weg ein, der Ergebnisse verspricht: der Liber
Usuum wird mit den entsprechenden benediktinischen consuetudines
verglichen, also den cluniazensisch beeinflußten und
denen des sog. Reichsmönchtums. Der Vergleich wird metho-