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Ausgabe:

1963

Spalte:

206-207

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wlosok, Antonie

Titel/Untertitel:

Laktanz und die philosophische Gnosis 1963

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 8 8. Jahrgang 1963 Nr. 3

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ist erstaunlich, wie nicht nur von der rabbinischen, apokalyp- zeichnend zu sein, daß kein zeitgenössisches Werk die „Frühtischen
und Qumranliteratur, sondern auch von der jüdischen kirche" so eindringlich als synkretistisches Phänomen erwiesen
Liturgie und vor allem von der Magie jüdischer und heid- hat wie dieses Buch des großen Konvertiten. Ob seine Stimme
nischer, besonders gnostischer Herkunft Licht auf viele 6chwie- auch in jener systematischen Theologie vernommen und ernst-
rige Fragen der Geschichte des ältesten Christentums fällt. genommen wird, der kein kirchliches Lehramt Schutz vor Be-
Peterson versteht e6 wie kein anderer, die Zauberpapyri zur unruhigung durch die Geschichte gewährt?
Klärung frühchristlicher Phänomene fruchtbar zu machen. Hier Bonn Philipp Vielhauer
liegt eines der größten Verdienste dieses Buches: die Existenz
eines gnostischen Judentums bzw. einer jüdischen Gnos;s in w,

vorchristlicher Zeit nachgewiesen zu haben (S. 107-128); ob °!ok' Antonie: Laktanz und die philosophische Gnosis. Unter-

die Beziehungen der Befreiung Adams aus der Anangke zu s"*ungen zu Geschichte und Terminologie der gnostischen Er-

dem Christus-Mythos Phil. 2, 6 ff. richtig gesehen sind, ist '^ngsvorstellung. Heidelberg: Winter 1960. XX, 272 S. gr. 8° ■=

freilich zweifelhaft ""Handlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

r . . . i. , . , - , . . Af„ . Philos.-hist. Klasse. 1960, 2. Abhandlung. DM 44.—.

bs ist unmöglich, den Inhalt der einzelnen Aufsatze auch

nur andeutungsweise anzugeben. Mit Nachdruck sei aber hin- W. mochte in ihrer mit großer Sorgfalt gearbeiteten und

gewiesen auf die kritischen Ausführungen „Über einige Pro- ™n umfangreicher Material- und Literaturkenntnis zeugenden

bleme der Didache-Überlieferung" (S. 146-182), die drei Untersuchung anhand des Motivkomplexes „aufrechter Stand

Untersuchungen zum Hirten des Hermas (S. 254-309) und auf «immelsschau des Menschen im Unterschied zu den Tie-

die drei Beiträge zu den Anfängen und zur Geschichte der ren eine geistesgeschichtlidie Entwicklung aufzeigen, die sich

christlichen Askese und des Enkratismus (S. 209-353). zunächst innerhalb der antiken Philosophie vollzöge (Sophistik

Kritische Anmerkungen ließen sich zu jeder dieser Stu- ..;, °, ~ Aristoteles - Stoa - platonisierende Erbauungs-

dien machen. Für das ganze Buch gilt, daß der Verf. es seinen " °/diI-i i a,exandriniscnen Synkretismus fort-

Lesern nicht leicht macht: einmal unterbricht er auf fast jeder ,A?A,V,hlk> T Hermetik - Clemens Alexandrinus) und sich

Seite einen Satz durch eine eingeklammerte, oft mehrere Zei- ^ u audl .auf die, theologischen Anschauungen des Lak-

len umfassende Parenthese mit Belegstellen, Literaturverweisen , "stimmend auswirke. W. sieht diese Entwicklung inhalt-

und dgl., deren Unterbringung im Notenparterre die Lektüre folgendermaßen:

erleichtert und das Verständnis gefördert hätte; ferner bleibt f->er Mensch ist infolge 6eines aufrechten Standes in der

er oft in der Darbietung und Interpretation des Materials ??e' den Himmel zu betrachten, zu erforschen, und mit dem

stecken, ohne eine Zusammenfassung zu geben, und überläßt H>mme] den Kosmos, und im Kosmos Gott; er kann es, und

es dem Leser, durch mehrfache Lektüre hinter die eigentliche r so" es.

Intention des betr. Aufsatzes zu kommen. Außer dieser Form- Nun ist das Erforschen aber eigentlich ein geistiger, d. h.
losigkeit kennzeichnet ein anderer Zug das ganze Buch: die innerer Prozeß. So kann denn der aufrechte Stand und Himmelskombinatorische
Magie, die methodisch an Reitzenstein er- bück als Bild verstanden werden für ein „Aufrechtstehen" der
innert und in ihrer Kühnheit oft mehr überrascht als über- c und das forsdiende Suchen der Seele nach Gott, und zwar
zeugt. Indes: es handelt sich um „Studien und Untersuchungen", dem überweltlichen Gott. (1. Übertragung: äußerlich —►
deren Recht es ist, Beobachtungen, Thesen und Einfälle auch innerlich.)

relativ ungesdiützt zur Debatte zu stellen, und der Verf. be- Ist aber der gesuchte Gott überhaupt zu finden? Die spättont
selbst immer wieder den fragmentarischen Charakter antike philosophische Skepsis verneint diese Frage. Das auf
seiner Ausführungen. Trotzdem empfindet man manche Un- diese Weise entstandene geistige Vakuum wird aufgefüllt durch
Genauigkeiten und Widersprüche als störend. den orientalisch-religiösen Offenbarungsgedanken. Der Mensch
Um nur einiges aus einem bestimmten Komplex zu nennen: kann Gott nicht finden, aber Gott kann sich dem Menschen
Petcrson behauptet, daß die Offenbarungsträgerin im Pastor Hermae offenbaren. Die Offenbarung aber wird vorgestellt und be-
• stets im Zusammenhang mit einem Sitz erscheint" (S. 254); das ist schrieben als Erleuditung und unter ähnlichen Bildern. Aufrech-
bX,7/n, S- 1 aberijn Vu' U' 7 i J1 Stand und Himmelsblick werden aber in diesem Prozeß aus

ÜSTS'Ä Ä^W.^ ^rm p^^mPn ie«i "?em natürlichen Sachverhalt zu einem übernatürlichen Ge-

"■innt (b. 278, Anm. 31), übersieht ober den Engelnamen inegri schenV tvvi i i • i . i . i

v''s- IV 2,4. Zu Vis. III 1,8 sagt Petersen: „Hermas wird eingela- en*- <2- Übertragung: anthropologisch—* soteriologisch.)

den, auf diesem Sitz . . . Platz zu nehmen, weil er ein Prophet ist" Wo solche Anschauungen Einfluß gewinnen auf eine posi-

(S. 267), während er anderwärts sagt, Hermas nehme auf der Bank lve Religion mit Kultpraxis (Judentum, Christenrum), entsteht

■ ■nicht als Prophet, sondern als Büßer" Platz (S. 274), und dem Hermas d'e Tend enz, das im Offenbarungsempfang wurzelnde Zustande-
ausdrücklich die Qualität eines Propheten bestreitet (ebd. Anm. Ii). kommen von aufrechtem Stand und Himmelsblick an einen
Solche Beispiele, die das Vertrauen in die Behauptungen des Verfs. kultischen Aufnahmeritus (Beschneidung, Taufe) zu binden.
c"iigerma6en begrenzen, ließen sich leicht vermehren. (3- Übertragung: geistig -+ sakramental.) —

Sachlich wenig überzeugend ist z. B. die Ableitung des Was hat das Ganze nun mit der im Titel genannten

Umstennamens (S. 64-87) oder die Charakterisierung des „Gnosis" zu tun? Eigentlich nichts, denn W. definiert aus-

■ "Hauses" des Hermas als einer Genossenschaft judenchristlicher drücklich „philosophische Gnosis" weit und beinahe nichtssagend
Asketen. Überflüssig und dem Rang des Verfs. unangemessen als die Richtung im späten Synkretismus, wo die Philosophie
ist die gelegentliche antiprotestantische Polemik (z. B. gegen wieder in die religiöse Spekulation einmündet, und verzichtet
^•belius, der die beiden Männer Herrn. Vis. I 4, 3 richtig als g'eidizeitig bewußt auf irgendeine Abgrenzung zur mytholo-
jjngel deutet, mit dem kuriosen Dekret: „Die Scheu vor ihrer gischen Gnosis (6). Praktisch versteht W. „Gnosis" als den
Existenz verbietet einen deflatorischen Ausdruck", S. 263, Gegensatz zur rationalen Erkenntnis, d. h. „Gnosis" = ge-
Amn. <il% man fragt verwundert, wieso und wem, wenn P- offenbarte Erkenntnis und entsprechend die Richtung, die solche
selbst gleich anschließend Belege aus Bibel und Apokryphen geoffenbarte Erkenntnis propagiert.

ur den Wechsel von .Mann' und .Engel' beibringt. Wenn man nun den ganzen Titel mit der Darstellung

Alles Gesagte, auch das kritisch Gesagte, zeigt dem Ken- selbst vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, daß der Titel

ner von Pctersons Arbeiten, daß auch dieses Buch ein „echter (Laktanz und . . .) richtiger ist als die Darstellung. Anders

Peterson" ist, d. h.: anregend und weiterführend, bei aller ausgedrückt: man muß das Buch von hinten nach vorn lesen,

Einseitigkeit von großem Format, provozierend und angestrengte, um der Intention der Verfasserin auf die Spur zu kommen,

kritische Mitarbeit fordernd. Für den, der sich dieser Forderung Noch anders ausgedrückt: die Verfasserin hätte besser daran

fugt, wird das Buch zu einer Fundgrube, nicht nur an fakti- getan, das Buch von hinten nach vorn zu schreiben. Der kri-

schem Wissen, sondern vor allem an Gesichtspunkten - Ge- tische Leser gewinnt nämlich den Eindruck, daß der richtige und

Sichtspunkten, die für den Althistoriker und Neutestamentier, fruchtbare Ausgangspunkt des Ganzen eine neue und dankens-

den Kirchenhistoriker und Rcligionsgeschichtler gleich wesent- werte Bearbeitung des Verhältnisses des Laktanz zur Hermetik

llc,i sind. Es scheint mir für unsere theologische Situation be- ist. W. hat die ihr dabei aufgefallenen Probleme weiter nach