Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1963

Spalte:

195-196

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wildberger, Hans

Titel/Untertitel:

Jahwes Eigentumsvolk 1963

Rezensent:

Koch, Klaus

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

195

Theologische Literaturzeitung 88. Jahrgang 1963 Nr. 3

196

Schildenberge r, Johannes: Was bedeutet die literarische Gattung
für die Auslegung der biblischen Bücher.

Bibel und Kirche 17, 1962 S. 4—7.
Smend, Rudolf: J. Ph. Gablers Begründung der Biblischen Theologie.

Evangelische Theologie 22, 1962 S. 345—357.
Westermann, Claus: Abriß der Bibelkunde. Altes und Neues

Testament. Stuttgart: Burckhardthaus - und Kreuz-Verlag [1962].

319 S. 8° = Handbücherei des Christen in der Welt, hrsg. v. R. v.

Thadden-Trieglaff, Bd. I. Lw. DM 9.80.
— Was ist eine exegetische Aussage?

Zeitschrift für Theologie und Kirche 59, 1962 S. 1—15.

ALTES TESTAMENT

Wildberger, Hans: Jahwes Eigentumsvolk. Eine Studie zur
Traditionsgeschichte und Theologie des Erwählungsgedankens. Zürich-
Stuttgart: Zwingli-Verlag 1960. 126 S. 8° = Abhandlungen zur
Theologie d. Alten u. Neuen Testaments, hrsg. v. W. Eichrodt u.
O. Cullmann, 37. Kart. DM 19.50.

Was W. bietet, ist eigentlich eine großangelegte, traditionsgeschichtlich
unterbaute Exegese von Exod 19, 3b—8, also von
jenem Einsprengsel, in dem die seltsamen Worte vom „Königreich
von Priestern" und ,,heiligen Volk" stehen, was offenbar
keiner Tetrateuchquelle entstammt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen
: die fünfeinhalb rhythmischen Verse stellen nichts
anderes dar als die E r w ä h 1 u n g s p r o k 1 a m a t i o n, wie
sie durch kultische Sprecher am Heiligtum zu Gilgal jedes Jahr
feierlich vorgetragen wurde. Damit wird die „Urform" der
Landnahmeüberlieferung sichtbar (S. 99). Alle anderen alttesta-
mentlichen Erwählungsaussagen sind davon abhängig.

Diese Thesen 6tehen aber erst am Ende einer langen, sich
um jedes einzelne Wort mühenden Untersuchung. Zunächst
geht es darum, ob der genannte Abschnitt aus Exod 19 deutero-
nomistischer Herkunft sei, wie man weithin annimmt. Zwar
zeigt sich eine ähnliche Begrifflichkeit wie im Deuteronomium,
ein sorgfältiger Einzelvergleich ergibt aber, daß es sich zwar um
die gleiche Tradition handelt, die Verse aber älter sind als das
Deut; so wird hier z. B. vom heiligen Volk als xdrrp D5, dort
dagegen als onp ■>•« geredet, der Übergang von zu öy ist
aber leichter denkbar als der umgekehrte. Demnach stellt Exod
19,30—8 eine alte Sondertradition dar. Die Argumente
in diesem Teil (S. 9-39) sind weithin überzeugend oder
zumindest diskutabel.

Welches war der Sitz im Leben dieses Stückes? Der rhythmische
Aufbau und vor allem die geprägte Wendung „ihr habt
gesehen, was ich an Ägypten getan" (Jos 24, 7; Dt 4, 34; 11,7;
29, 1) führen auf einen kultischen Haftpunkt. Zu welchem Fest
gehörte eine solche Erwählungsproklamation? Da auf den Auszug
aus Ägypten verwiesen wird, offensichtlich zu einer Feier
mit Rezitation der Heikgeschichte, die W. aber — im Gegensatz
zu v. Rad — nicht mit dem Wochenfest, sondern mit dem
Mazzenfest in Gilgal verbindet. Über Kraus (Vetus
Testamentum I 181 ff.) hinaus bringt er weitere Belege für die
Bedeutung des Gilgalkultes bei (vor allem Dt 9, 1 mit seinem
„Heute" des Jordandurchzugs und Mi 6, 5). — Auf diesen Seiten
(40—73) wird die Beweisführung allerdings lückenhafter, die
Ergebnisse sehr hypothetisch. Doch finden sich gewichtige Absätze
. Hinzuweisen ist vor allem auf die Auseinandersetzung
mit der herrschenden Meinung, das Mazzenfest sei von Haus
aus ein (kanaanäisches) Erntefest (S. 43—55). Nach Dalman
(Arbeit und Sitte I, 2) beginnt die Gerstenernte in Palästina
erst im Mai, sie kann also datumsmäßig mit dem Mazzenfest
nicht verbunden gewesen sein. Da die Mazzen Reisekost vor
allem der Beduinen sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß dieses
Fest aus der Wüste stammt. In Israel steht das Fest jedenfalls
6chon früh in den ältesten erreichbaren Texten mit der Ausführung
aus Ägypten in Zusammenhang. Da Dalmans Beobachtungen
nicht zu bezweifeln sind, wird die Diskussion um das
Fest neu aufgenommen werden müssen. Ein wichtiger Punkt ist
auch die Gegenüberstellung von Gilgal als Sitz der Auszugstradition
und Sichern als Sitz der Bundestradition (S. 65-68);
das führt zu der „Notwendigkeit, sich von der Alternative, von
welcher sich die Forschung der jüngeren Zeit hat gefangen
nehmen lassen, zu lösen: Entweder das amphiktyonische Zentrum
oder dann Heiligtum von nur untergeordneter, lokal
streng begrenzter Bedeutung" (S. 66) - ein Satz, der angesichts
der gegenwärtigen Lage unserer Wissenschaft nicht dick genug
unterstrichen werden kannl Aber der Gesamtduktus dieses
kultischen Teils erweckt erhebliche Bedenken, von denen einige
genannt seien:

a) Um Exod 19, 3b—8 dem Auszugsfest in Gilgal zuzuweisen, behauptet
W., daß hier nur von Erwählung (und Auszug), nicht aber
vom Bund geredet wird; zu diesem Zweck muß V. 5a „Wenn ihr
meine Stimme hört und meinen Bund haltet" als redaktionell ausgeschieden
werden; was W. zur Begründung dieses Urteils beibringt
(S. 3 5—38), ist aber wenig beweiskräftig. Der Satz, daß Erwählung
und Bund nicht zusammengehören, ist von Ps 105, 6—8; 89,4 (Hes
20, 5 f.) her zu bezweifeln. Vorerst ist also festzuhalten, daß der Abschnitt
, um den es sich handelt, aus einer Zeit stammt, in der Auszugs
- und Bundesüberlieferung bereits zusammengeflossen sind.

b) Damit wird aber das vorausgesetzte hohe Alter dieser Erwählungsproklamation
fraglich, und das auch noch aus anderen Erwägungen
. Ist Exod 19, 3b —8 vordeuteronomisdi, so heißt das zunächst
nicht mehr als: vor der Mitte des 7. Jahrh. entstanden. Ergibt sich
daraus, daß der Abschnitt schon in die frühe, vorstaatliche Zeit gehört
? Doch wohl kaum. Dieser Schritt wird bei W. viel zu schnell
vollzogen.

c) W. weist auf, daß die Auszugstradition in 19,4 nicht mit der
Hinein führung in das Kulturland, sondern mit der Hin führung zum
heiligen Bezirk, dem Wohnort Jahwäs, zusammenhängt. Fein die Beobachtung
, daß es sich Exod 15, 17; Ps 78, 53 f., ja, selbst bei dem berühmten
Abschnitt Deut 26, 5 ff. ebenso verhält. Sprechen die Parallelen
für das Alter dieser Tradition? Zunächst liegt der Verdacht näher,
daß es sich um eine besondere Jerusalemer Vervollständigung
des „heilsgesdiichtlichen Credo" handelt. Die Frage wäre zumindest zu
prüfen, ob Exod 19, 3b —8 nicht aus dem vordeuteronomischen Jerusalem
stammt.

Der letzte Teil (S. 74 ff.) bringt eine Einzelexegese der
Verse mit ausführlichen und nützlichen begriffsgeschichtlichen
Exkursen. Den Löwenanteil nimmt die Erläuterung des Ausdrucks
„Königreich von Priestern" ein, die leider unbefriedigt
läßt. Denn daß rib neben der Bedeutung „Priester" die allgemeinere
„vertrauter Diener" gehabt habe (und so auch hier
habe), läßt sich aus 2. Sam. 8, 18 jedenfalls nicht sicher herauslesen
. Bei Pibwa überzeugt zwar, daß nicht an eine aktive

Herrschaft Israels, sondern an Jahwäs Königsbereich gedacht ist.
Aber im Blick auf das Königtum will W. zwei ursprünglich
völlig getrennte alttestamentliche Traditionssfcränge nachweisen,
eine altisTaelitische Tp:-Vonstellung nomadischer Herkunft,
nach der Jahwä nur über Israel König ist und als solcher dessen
Kriege führt, und eine andere allgemein-orientalische, in Jerusalem
übernommene, wonach Jahwä die Welt beherrscht und
6ein Königtum statisch gedacht ist (unablässig regiert er im
Himmel). Der Versuch, der sich auf D. Michels zwar interessante,
aber syntaktisch unhaltbare These (Vetus Testamentum VI
40 ff.) beruft, dürfte inzwischen durch W. Schmidt, Königtum
Gottes in Ugarit und Israel 1961, endgültig überholt sein. —

Mancher Alttestamentler wird das Buch ablehnen, weil
wieder einmal so häufig vom „Kult" geschrieben wird. Wer sich
hineinvertieft, wird freilich gewahr, daß wir um dieses Problem
nicht herumkommen. Auf das Verständnis des israelitischen
Kultes verzichten, heißt, auf das Verständnis des Alten Testaments
überhaupt verzichten! Das aber muß man dem Verf. ankreiden
, daß er es den „Kultgegnern" zu leicht macht; sobald
er vom Kult redet, werden seine Ausführungen arg hypothetisch
. So legt man das Buch aus der Hand, in vielen Einzelheiten
belehrt und angeregt, aber mit leisen Zweifeln gegenüber
der Gesamtkonzeption.

Hamburg Klaus Koch

Kühl, Curt, D. theol. Dr. phil.: Die Entstehung des Alten Testaments
. 2., Überarb. Aufl., hrsg. v. G. Fohrer. Bern-München:
Francke [i960]. 404 S. kl. 8° = Sammlung Dalp, Bd. 26. Lw.
DM 13.40.

Die vorliegende Arbeit Kuhls erscheint bereits in 2. Auflage
, ist aber in der ThLZ bisher noch nicht besprochen worden.
So wird die Besprechung nicht nur die Veränderungen der
2. Auflage berücksichtigen, sondern eine grundsätzliche Würdigung
des gesamten Werkes bringen müssen.