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Ausgabe:

1962 Nr. 2

Spalte:

142-144

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Solzbacher, Joseph

Titel/Untertitel:

An der Schwelle der Reifezeit 1962

Rezensent:

Surkau, Hans Werner

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 2

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sollten und der Delitzscher Chr. Schultze mit ßeinem Lukasbericht
um 1650 eine Schlüsselstellung erhält. Das mittlere Unterkapitel
referiert über Freyburger, Großenhainer und Glashütter
Noten-Aufzeichnungen des Barock, das dritte über spätere aus
Geithain und Mügeln als Zeugnisse stilistischen Spätlings- und
Verfallswesens.

Besonders fesselnd die Ausschöpfung der Wort-Texte: einmal
der Lesarten für die Traditionsstammbäume, zum andern
<iurch Zusammenstellung der usuellen, reich abweichenden Kirchenliedstrophen
als Einschübe (wobei etwa Erwähnung verdient
hätte, daß „Durch dein Gefängnis" von Händel 1704 zu Bach
1723 gewandert ist); Braun vermochte durch seine scharfsinnige
Interpretation vielerlei auch Musikalisches aus den Textbüchern
zu gewinnen und zu identifizieren. Daß das elfmalige „Herr,
bin ichs?" aus Bachs Matthäuswerk schon bei Theile auftaucht,
habe ich im Neudruck von „Denkmäler dt. Tonkunst" Bd. 17
festgestellt, vielleicht wird 6ich Verf. künftig auch mit solcher
Zahlensymbolik noch weiter beschäftigen, der gerade in dieser
Laienübung magische Bedeutung zukommen könnte. Gegenüber
meinen ersten Hinweisen auf Seiles Psalmintermedien in der
Johs. passion Hamburg 1643 (Petersjahrbuch 1920) hat Braun
jetzt die Geschichte der nicht neutestamentlichen Einschübe sehr
verbreitert und vertieft. Einen besonders markanten Anfangspunkt
könnte die Beigabe einer alttestamentlichen Prophetie-
motette 6chon bei der Ostermesse des Johs. Galliculus 1520 bilden
(NA in Blumes Chorwerk 44).

Um auf den Anfang der Darstellung zurückzugreifen, so
nimmt es wunder, daß Braun S. 11 sich bedenklich zeigt, die
Passion als „liturgisch" anzuerkennen, da es „einfach keinen Terminus
gibt, der ihre eigentümliche kirchliche" (er meint „gottesdienstliche
") „Stellung einigermaßen deutlich machen könnte".
Mir scheint, die Sache liegt wesentlich einfacher, wenn man von
„polyphonierter Evangelienlektion der Karwoche" spricht (gleich
ob motettischer oder dramatischer Form), wie ich das 1930 in
meinem Buch „Die mehrstimmige Vertonung des Evangeliums"
6chon für die altkirchlichen Denkmäler des 15. Jhdts. getan habe.
So ließen sich noch eine Menge kleiner Ergänzungen und Fragen
bringen — nicht um zu beckmessern, sondern im Gegenteil: um
zu zeigen, welche Fülle von Anregungen der kenntnisreiche Forscher
aufgeworfen hat, die in der Behandlung dieser schönen
Materie gewiß lange weiterklingen und neue Erkenntnisse nach
«ich ziehen werden.

Berlin Hans Jondiim Moser

Brunner, Adolf: Wesen, Funktion und Ort der Musik im Gottesdienst
. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag [i960]. 128 S. gr. 8°. Kart,
sfr. 12.—.

„Über das Thema, das wir uns gestellt haben, ist innerhalb
der reformierten Kirchen kaum je gründlich nachgedacht worden
." Mit diesem Satz aus der Einleitung de6 vorliegenden Buches
dürfte deutlich werden, welche klaffende Lücke einer vier-
hundertjährigen Kirchengeschichte zu schließen der Verfasser
sich bemüht hat. Was tut es, wenn er bei jenen, die Meisterhaftes
in der Problemstellung leisten, in der sachlichen Beantwortung
jedoch weit hinter bescheidenen Erwartungen zurückbleiben, auf
Widerstand stößt? Es ist erfrischend zu sehen, wie der Verfasser
den Mut hat, auf viele Fragen Antworten bereit zu haben, für
deren Bestätigung er mit seiner Person und seinem Werk einzustehen
gewillt ist.

Der erste Abschnitt entwickelt nach grundlegenden Ausführungen
über den Kirchenbegriff Gedanken vom Wesen des Gottesdienstes, in
dem es in der gemeinsamen Hingabe der Versammelten zur realen
Gegenwart Christi und zur Auferbauung seines Leibes kommt. Der
Liturgie kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Verf. verweist
u. a. auf Zwinglls und Calvins Absicht, der Predigt im Gottesdienst
eine Abcndmahlsfeier mit reicher Liturgie zur Seite zu stellen, die jedoch
nie zur Ausführung kam.

Der zweite Abschnitt bietet grundsätzliche Ausführungen zum
Phänomen der Musik. Neben Überlegungen zur Bedeutung der Musik
als Ausdruck der Ordnung des Weltalls und der Natur sowie als Formkraft
für die menschliche Seele verweist der Verf. auf den Spielcharakter
der Musik (den 6ie mit aller Kunst teilt), der jedoch seine Grenze an
der personalen Entscheidung des Menschen vor Gott hat. Ferner kommt
das Verhältnis von Wort und Ton zur Sprache.

In einem weiteren Abschnitt geht Brunner auf die heilsgeschichtliche
Stellung der Musik ein. Die Musik gehört zu den Schöpfungsgaben
, die nach dem Sündenfall erhalten geblieben sind, stellt zugleich
auch eine Art Erhaltungsordnung dar, erhält ihre letzte Sinnerfüllung
jedoch erst im Dienst des erlösenden Evangeliums und als Medium des
Heiligen Geistes, etwa als eine Art pneumatische Beten. Dabei handelt
es sich um vokale, wortgebundene Musik, während die rein instrumentale
Musik niemals Trägerin der Verkündigung sein kann.

Schließlich zieht der Verf. praktische Schlußfolgerungen für die
konkrete Gestalt der Liturgie. Es wird eine sonntägliche Gottesdienstordnung
mitgeteilt, in der die Musik an zehn Stellen vorgesehen ist,
— ein Reichtum, den der Außenstehende im reformierten Gottesdienst
nicht ohne weiteres vermutet. Da dieser Reichtum jedoch weithin
brachliegt, appelliert Brunner an die Dienstwilligkeit und an den
kirchenmusikalischen Auftrag aller Gemeindeglieder.

Seit langem regen sich innerhalb der reformierten Gemeinden
Kräfte, die auf eine Neubesinnung auf dem Gebiete des
gottesdienstlichen Lebens schließen lassen. Brunners Buch gehört
unzweifelhaft zu den nun schon in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren
Kräften. Die Gründlichkeit, mit der er der Frage nach der
Kirche und dem Wesen des Gottesdienstes auf reformiertem Boden
nachgeht, läßt erkennen, wie sehr man die Beziehungen
zwischen Musik und Gottesdienst ernst zu nehmen geneigt ist.
Die Ziele sind kühn und weit gesteckt. Die von Zwingli und
Calvin gewollte, aber nie Wirklichkeit gewordene Abendmahlsliturgie
stellt den Ausgangspunkt für die Betrachtung des Ver-
hältnises von Musik und Gottesdienst dar. Damit werden Wort
Gottes und Sakrament als Mitte des gottesdienstlichen Geschehens
anerkannt. Danach wagt Brunner, die landläufige Auffassung
von der 400-jährigen protestantischen Kirchenmusik ignorierend
, mit erfrischender Kühnheit zu proklamieren: Der vokale
Charakter der christlichen Liturgie steht fest. Er i6t in der reformierten
Kirche neu aufzubauen. Wenn diese Aussage auch einer
klärenden und abgrenzenden Interpretation bedarf, wird doch
niemand, den die magnetischen Kräfte einer solchen kühnen
Zielsetzung einmal erfaßt haben, sich ihnen je wieder entziehen
können.

Ob jedoch die christlich-humanistische Grundhaltung der
Gedankengänge das Streben nach den bezeichneten Zielen hemmen
oder fördern wird, kann erst die nächste Zukunft erweisen.

Es mag nur zu verständlich erscheinen, wenn man bei einer
Neubesinnung auf Wesen und Gestalt des Gottesdienstes in den
reformierten Gemeinden eine Nachahmung eines (womöglich noch
falsch verstandenen) Luthertums weit von sich weist. Aufgrund
der weit vorgreifenden Gedanken Brunners ist jedoch mit lebhaftem
Interesse zu wünschen, daß die sich anbahnende Neuordnung
nicht ohne Orientierung an der Kirche Gottes im Abendland
wie im Morgenland geschehe, und so ihren Beitrag zur
Einheit der Kirche, ihrer ökumenizität und ihrer Glaubwürdigkeit
vor der zu Ende gehenden Welt leiste.

Hrnnover Erhalt F u n 1

KATECHETIK UND HEUGIONSPÄDAGOGIK

Solzbacher, Joseph: An der Schwelle der Reifezeit. Der Abschluß
der Kindheit in der katedietischen Unterweisung. Düsseldorf: Patmoe-
Verlag [1959]. 240 S. 8° = Schriften zur katechetischen Unterweisung
, Bd. 6. Kart. DM 9.80.

Das Buch des Kölner Religionspädagogen und Professors am
dortigen Priesterseminar, das als 6. Band in der bedeutsamen
katechetischen Reihe von dem Verlag vorgelegt wird, ist auch
für den evangelischen Leser wichtig und interessant, weil der
Verf. für den Abschluß der Kindheit, den er mit dem 14. Lebensjahr
ansetzt, eine eigene kirchliche Handlung fordert, die er
„Kirchliche Glaubensfeier zum Abschluß der Kindheit" oder
„ ... an der Schwelle der Reifezeit" nennt. Damit wird das Buch
zu einem Gesprächsbeitrag zur Konfirmationsfrage in der evangelichen
Kirche, die der Autor auch mehrfach anvisiert.

Der erste Teil des Buches gibt eine ausführliche theoretische
Begründung; der zweite Teil ist eine reiche Materialsammlung
für die Unterweisung auf dieser Altersstufe. Zunächst
stellt der Verfasser auf den Forschungsergebnissen der Zoologie
(Portmann), der Psychologie (Busemann, Huth, Hetzer) und der