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Ausgabe:

1962 Nr. 2

Spalte:

135-138

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schmid, Lore

Titel/Untertitel:

Religiöses Erleben unserer Jugend 1962

Rezensent:

Wagner, Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 2

136

PRAKTISCHE THEOLOGIE: ALLGEMEINES

S c h m i d, Lore: Religiöses Erleben unserer Jugend. Eine religionspsychologische
Untersuchung. Zollikon: Evang. Verlag [i960], 242 S.
8». Kart. DM 14.70.

Hunger, Heinz: Evangelische Jugend und evangelische Kirche. Eine
empirische Studie. Gütersloh: Gerd Mohn [i960]. 256 S. gr. 8°. Lw.
DM 19.80.

H a 1 b f a s, Hubertus: Handbuch der Jugendseelsorge und Jugendführung
. Düsseldorf: Haus Altenberg [i960]. 670 S. 8°. Lw. DM 22.—.

Da die angezeigten Bücher in einem sachlichen Zusammenhang
stehen, können sie in einer Gesamtbesprechung gewürdigt
werden.

Die beiden erstgenannten sind empirische, religionspsychologische
Studien, die „zu besserer Kenntnis und tieferem Verstehen
" der Jugend verhelfen wollen. Insbesondere soll „das
religiöse Erleben und die kirchliche Bindung der Jugend" erfaßt
werden. Die erworbenen Kenntnisse und die gewonnenen Ansichten
sollen dann in der Jugend-Seelsorge und Jugend-Führung
angewandt werden. Das katholische „Handbuch" übernimmt
eine derartige Anleitung.

Wenn Eduard Spranger in der Einleitung 6einer fast legendären
„Psychologie des Jugendalters" vermerkt: „tempora
mutantur, et nos mutamur in illis"1, dann muß die Erkenntnis-
und Erlebnis-Analyse der jungen Generation immer neu vollzogen
werden. Aber w i e?

Unsere besondere Aufmerksamkeit soll deshalb der M e t h o-
denfrage gelten, da von deren Sachgemäßheit und Exaktheit
viel abhängt.

Die Beobachtungsfläche der vorliegenden empirischen Studien
ist verschieden. Lore Schmid erarbeitete ihr Material in der
Schweiz, während Heinz Hunger sich auf die Ev. Landeskichen
Westfalen, des Rheinlandes, von Hessen-Nassau und der Pfalz
bezog.

Die Befragung in der Schweiz wurde im Sommer 1957, die
in Deutschland in der Zeit von Oktober bis November 1953
durchgeführt. Während L. Schmid in allgemeiner Weise
das „religiöse Erleben unserer Jugend" erheben will, beschränkt
sich H. Hunger auf das Thema: „Evangelische Jugend und Evangelische
Kirche." Beide Verfasser kennen die kritischen Vorbehalte
gegen die von ihnen angewandten Methoden und nehmen
erwartete Einwände in ausführlichen methodischen Grundsatz-
Betrachtungen auf. „Seitdem (Sprangers „Psychologie des Jugendalters
", 1924) sind diese Akten der Materialgewinnung: Fragebogen
, Tagebuch, systematische Beobachtung, direkte Erfahrung
und freier Aufsatz sowohl heftig kritisiert als auch als unzulänglich
erklärt, wie auch häufig angewandt worden."2

Werner G r u e h n wird als Kronzeuge für eine positive
Wertung der Fragebogen angeführt, obwohl bei seiner wertenden
Abstufung der Fragebogen erst an 4. Stelle erscheint. Zusätzliches
Material wurde u. a. bei L. Schmid in 192 Aufsätzen gewonnen
, die Konfirmanden 3 — 8 Wochen vor der Konfirmation
unter dem Thema schrieben: „Was mich beschäftigt und bewegt
im Hinblick auf den Konfirmanden-Unterricht und die bevorstehende
Konfirmation."

Der Umfang der Erhebung ist bei H. Hunger wesentlich
größer. Die fast 10 000 ausgefüllten Fragebogen wurden auf
Lochkarten übertragen und konnten so in zahlreichen Tabellen
unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet werden. Man
hat bei der Durchsicht des Hungerschen Berichtes außerdem noch
den Gewinn, sehr exakt in die Technik solcher Meinungsforschung
eingeführt zu werden. So werden wir über den Charakter
der „repräsentativen Stichprobe", des „Quotenverfahrens"
und anderer Stichprobentechnik, wie etwa des „Klumpenauswahl
"-Verfahrens belehrt.

Beide Analytiker verzeichnen auch die Reaktion der Befragten
, die von uneingeschränkter Auskunftsbereitschaft bis
zur Auskunftverweigerung reicht. Dabei fehlen nicht drastische
Äußerungen: „eine Gemeinheit — richtig dumm", „eine Gemein-

') Eduard Spranger, Psychologie des Jugendalters, Leipzig 1945,
18. Aufl. Einführg. S. XI.

*) L. Schmid, a. a. O., 13.

heit, so etwas ist raffiniert", und „eine Gemeinheit, so etwas
halte ich für blöd."3 Empfindsameren Gemütern erscheint der
Fragebogen als eine Zumutung.

Der Inhalt der Fragebogen dürfte interessieren: L. Schmid
stellt 21 Fragen, die zunächst die religiöse Umwelt (Kirche,
Elternhaus), dann religiöse Funktionen (Beten, Bibellesen)
betreffen und fordert dann zur Stellungnahme zu Konfirmanden-
Unterricht, Konfirmation und Gottesdienst auf. Konzentrierte
Fragen nach dem Glauben an Gott, Jesus Christus, dem Leben
nach dem Tode, nach Glaubens- und Lebenskrisen folgen. Anschließend
werden Urteile über „fromme Menschen" erwartet.
Die letzte Gruppe der Fragen wendet sich auch in der Diktion
wieder allgemeinen Überlegungen zu, etwa über „die höhere
Macht, den Sinn des Lebens, den Wert anderer Religionen."

H. Hunger bringt 40 Fragen vor, die unter der Überschrift.-
„Mein religiöser Werdegang" behandelt werden. Sie gelten dem
Gebet, dem Kindergottesdienst, dem Religionsunterricht, dem
Konfirmandenunterricht, dem Gottesdienst der Erwachsenen, der
Kommunion, dem Kirchgang. Die Bindung an kirchliche Gruppen
in kirchlichen Kreisen und Vereinen wird ebenso erörtert, wie
das persönliche Verhalten zu Hause, im Beruf, am Sonntag. In
den religiösen, kirchlichen Fragen erscheinen neben denen nach
dem monatlichen Einkommen auch die nach der Religion der
Eltern.

Welche Ergebnisse liegen vor? Es ist nicht möglich,
auf die Auswertung der Antworten im einzelnen hier einzugehen.
L. Schmid formuliert ihre Zielsetzung bescheiden: „Sie will den
guten Überblick und Einblick in das allgemeine religiöse Erleben
unserer Jugend gewinnen."4 „Das also ist es, was diese 192
Aufsätze in der Hauptsache an religiösem Erlebnisgehalt aufweisen
— ein recht buntes, vielseitiges Bild."5 Eine Gesamtcharakteristik
wird nicht versucht. Die einzelnen Aussagen mögen dem
Erzieher und Seelsorger zum Erkennen der äußeren und inneren
Situation der Jugend aufschlußreich sein, ja, sie mögen eine Korrektur
der erstarrten, schematisierten Beurteilungen der Jugend
ermöglichen.

Auch bei Hunger mit seiner konkreteren Zielsetzung sind
die Schlußbetrachtungen vorsichtig, knapp, um nicht zu sagen,
zwiespältig. „Bei unserer bisherigen Untersuchung waren wir
davon ausgegangen, daß sich trotz verschiedener sorgfältiger
Erhebungen die Stellung des jungen Menschen von heute zu
Religion und Kirche nicht eindeutig bestimmen lassen, da je nach
Fragestellung sich einmal 2 % und ein anderes Mal 85 % positiv
kirchlich äußerte.'"

Ist diese Schwankungsbreite mit dem Begriff „Einstellungsoptik
" oder mit „Stichprobenfehlern" wirklich beizukommen?
Treten hier nicht Fragezeichen auf, die sich eben doch gegen die
angewandte Methode schlechthin wenden? Es bleiben Erkenntnisse
wie diese: „Unangefochten ist wohl die Tatsache, daß bei
den von uns befragten Jugendlichen in der Tat ein sehr enger
Zusammenhang zwischen früherer Erziehung und jetziger Bindung
und Betätigung gegenüber Religion und Kirche besteht."7 Diese
Aussage scheint mir beachtenswert. Daraus wird nämlich gefolgert
, daß es ein schweres Versäumnis gegenüber 80 — 90 % der
deutschen Jugend ist, wenn sie nach der Entlassung aus der
Volksschule keinen weiterführenden Religionsunterricht in der
Schule erhält. „Wir hatten gesehen, daß zwei Drittel aus der
früheren Erziehung bestritten wird. Nur ein Drittel ist freie und
eigene Setzung des Jugendlichen."8

Wenn diese Erkenntnis Gültigkeit beanspruchen darf, dann
kommt der weiterführenden Unterweisung der Kirche,
in welcher Form auch immer, eine hohe Bedeutung zu. Dann muß
auch neben der Jugendarbeit dieser Untcrwei6ungsauftrag fortgeführt
werden, um „das bisher Gelernte in dem erweiterten
Lebens-Horizont des jungen Menschen einzufügen."9

Es kommt nach diesen Auswertungen „als traditionell-fest-

•) H. Hunger, a. a. O., 37.

4) L. Schmid, a.a. O.. 17.

6) ebd., 105.

•) H. Hunger, a. a. O., 194.

7) H. Hunger, a. a. O., 199.
•) ebda., 200.

•) ebda., 201.