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Ausgabe:

1962 Nr. 2

Spalte:

127-129

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Sinn und Sein 1962

Rezensent:

Mann, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 2

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Ordnung gibt: das der komplementären Zuordnung der Seinsbereiche
, wobei der Mensch als die Mitte der Reiche des Seins
die zusammenhaltende Wahrheit personal realisieren muß. In
dieser Richtung könnte eine Lösung des von Kamiah ungelöst gelassenen
Problems gefunden werden.

Berlin Heinz-Horst Seh rey

Wisser, Richard (Hrsg.): Sinn und Sein. Ein philosophisches Sympo-
, sion. Tübingen: Niemeyer 1960. XV, 860 S. gr. 8°. Kart. DM 48.—;
Lw. DM 54.—.

Im Grund ist es die Sinnfrage, die hinter allen philosophischen
und auch hinter allen theologischen Fragestellungen wartet.
Die Gottesfrage, um die es dem Theologen geht, bedeutet exi-
stenzial verstanden die Frage nach dem Sinn de6 Daseins. Es betrifft
also auf alle Fälle auch die theologische Arbeit, wenn die
Philosophie mit der Sinnfrage umgeht; denn die Theologie ist
auf philosophische Begrifflichkeit angewiesen, wiewohl sie diese
immer alterieren und modifizieren wird.

Das gilt auch da, wo die Philosophie ein Thema lediglich
unter sich abhandelt, ohne das Gespräch über die Fakultätsgrenzen
hinweg ausdrücklich zu suchen. Das ist in dem vorliegenden
umfangreichen Buch nun weithin so, es ist ein Symposion
der Philosophen. Dennoch fehlt das Theologische nicht. Michael
Schmaus, Aloys Wenzl, Johannes B. Lötz, Ernst Benz, Martin
Buber sind mit gewichtigen Beiträgen vertreten. Und zahlreiche
philosophische Aufsätze gehen, wie es bei dieser Thematik ja
gar nicht anders sein kann, intensiv auf die Gottesfrage ein. Der
theologische Leser ist also von vornherein angesprochen und betroffen
. Dennoch will das Symposion sich im philosophischen
Bereich aufhalten, denn die Philosophie ist durch die gegenwärtige
Infragestellung allen Sinns schon in sich selbst zur Besinnung
und Antwort gerufen.

D i e Philosophie, gibt e6 das noch? Liegt hier nicht schon
das erste Problem? Die Philosophie „ist keine unbestrittene Instanz
mehr", so stellt der Herausgeber gleich im Vorwort fest.
Deshalb will das Buch auch nicht endgültige Lösungen liefern,
es „will nicht Resultate setzen", es will vielmehr ein Gespräch
darbieten, das offen bleibt. Die Sinnfrage ist der ganzen Philosophie
aufgegeben, die Lösung kann also nie in einem Einzelresultat
liegen. Das Gespräch ist die einzig denkbare Form für
die philosophische Arbeit an diesem Grundproblem unsrer Zeit.
Es ist ein Gespräch zwischen Mitarbeitern, die von verschiedenen
Positionen her denken, aber es will zugleich ein Gespräch sein,
das den Leser miteinbezieht und „nicht nur das Mitdenken, sondern
bewußt das Weiterdenken" beansprucht. In diesem Wesens-
zug des Symposions liegt vielleicht die tiefste und eigentliche
Antwort der Philosophie auf die Frage nach Sinn und Sein.

Es ist ein umfangreiches Werk mit fünfzig Beiträgen hervorragender
Gelehrter, dazu mit einem vollständigen, übersichtlichen
Register. Alle Teilnehmer des Symposions wissen sich persönlich
und geistig dem Denker Fritz-Joachim von Rintelen verbunden,
dem das Buch gewidmet ist. Das bedeutet unbedingt einen Gewinn
, der der inneren Geschlossenheit des großen Werks zugute
kommt. Andererseits ist der Saal der Tafelrunde geräumig genug,
um ein Ganzes Zustandekommen zu lassen. Es ist dem Herausgeber
dadurch möglich geworden, ein homogenes Werk von universaler
Weite zu schaffen, wie das der fundamentalen Fragestellung
allein angemessen ist.

Das Werk gliedert sich in einen Einführungsabschnitt „Philosophie
als Grundproblem" und zwei Hauptteile, erstens „Vom
Sinn des Seins", und zweitens „Vom Sinn menschlichen Seins".
Jeder Hauptteil ist in vier Abschnitte gegliedert; im ersten
Hauptteil geht es um Sinn und Seinsverständnis, Wege der Seinserkenntnis
, Siditen des Seins, Transzendieren und Transzendenz,
im zweiten heißen die Abschnittsthemen: Der Mensch in seiner
Freiheit, Wert und Wirklichkeit, Kultur und Geist, Sinnstruktur
und Geschichte. In herkömmlicher Ausdrucksweise gesagt, folgt
also der Aufbau den großen Themenkreisen Erkenntnistheorie,
Ontologie und Ethik. Das Werk stellt schon vom Aufbau her
einen Gesamtdurchblick durch das philosophische Denken dar.

Es ist im Rahmen einer Besprechung unmöglich, die Fülle
der tiefschürfenden Beiträge im einzelnen zu würdigen; jeder

I Aufsatz ist so prägnant und dicht, daß ein zulängliches Eingehen
schließlich zu Buchumfang führen müßte. Nur ganz allgemein sei
erwähnt, daß ein wahrer Universalismus in den Stimmen der
Gesprächspartner zum Ausdruck kommt; neben den Beiträgen
aus dem deutschen Sprachbereich stehen solche aus England.
Frankreich, Italien, Spanien, Nord- und Südamerika, Indien.
Japan, Israel. Englische und französische Beiträge sind zum Teil
im Originaltext wiedergegeben, die sehr guten Übersetzungen
der andern lassen die Absicht des Herausgebers erkennen, die
individuelle Ausdrucksweise nach Möglichkeit zu erhalten.

Nur andeutend soll einiges aus der Fülle des Dargebotenen
genannt sein, was den Theologen besonders betrifft. Gleich der
erste Beitrag von Werner Jäger über den Bios theoretikos ist hier
bedeutsam, denn er untersucht unter anderem das Abhängigkeitsverhältnis
des Ideals der vita contemplativa zum platonischen
und aristotelischen Urbild. Daß die vita contemplativa ein Ur-
verhältnis zur Seinsgewißheit hat, unterscheidet sie von der rein
funktionalen und instrumentalen Erkenntnisweise der Moderne,
die sich in einer „Welt ohne Sein" aufhält. Jaeger warnt in diesem
Zusammenhang vor der Entwicklung unserer Universitäten,
die der vita contemplativa keine Stätte mehr bieten und zu Fabriken
zu werden drohen.

Wichtig für das hermeneutische Problem ist der Beitrag von
Karl Bühler über die Sinnfunktionen der Sprachgebilde. Die
Sematologie ist in der Lage, jeden „Flatus-vocis-Nominalismus"
phonologisch zu entkräften und damit einen Zugang offen zu
halten zum Wirklichkeitsgehalt der Sprache.

Für den Theologen ist weiter besonders bedeutsam der Aufsatz
über Erscheinen und Sein von Fritz Heinemann. Die Quintessenz
der „Prolegomena zu einer konkreten Phänomenologie"
ist die These: „Phänomenologie als Lehre vom Logos der Phänomene
wird eine Lehre vom Sinn, vom Gesetz, vom Grund
der Erscheinungen". Damit ergibt sich die Forderung nach einer
neuen Weise der Verbindung zwischen mundus sen6ibilis und
mundus intelligibilis. Das führt auf jeden Fall ins Metaphysische
und also auch ins Theologische. — Der Aufsatz von Gerhard
Funke heißt „Cogitor ergo sum". Hier findet sich eine theologisch
sehr wichtige Untersuchung des Verhältnisses von Bewußtsein
und Zeugenbewußtsein an Hand einer Analyse des Gesprächs
zwischen Gott und Mensch im Amphitryon des Plautus.
Der Mensch ist in seinem Bewußtsein von Gott abhängig, und er
ist er selbst in seinem Zeugenbewußtsein, seiner conscientia.

Ernst Benz untersucht die Mystik des Meister Eckhart. Die
Frage, ob es sich hier um christliche oder nichtchristliche Mystik
handelt, ist nicht eindeutig zugunsten der einen oder anderen
These zu beantworten. Eckhart ist „im Grunde Gnostiker", der
geschichtliche Christus spielt für ihn im Unterschied zum ewigen
Logos kaum eine Rolle. Der Spiritualismus ist von der Weltkirche
nicht ohne Berechtigung beanstandet worden. Doch liegt
andererseits gerade in des Magisters Spiritualismus sein eigentlich
schöpferischer und revolutionärer Beitrag, als Korrektiv gegen
eine Theologie und Kirche, die ihre geschichtlichen Formen
absolut setzt. Martin Buber steuert einen Aufsatz Ich und Du bei,
der als Nachwort zur Neuausgabe seines epochalen Buches mit
dem gleichen Titel gedacht ist. Von Gottes unendlich vielen
Attributen sind uns nicht, wie Spinoza meint, zwei, sondern drei
bekannt: zw Geisrhaftigkeit und Nahrhaftigkeit kommt hinzu
noch die Personhaftigkeit. Gott ist die absolute Person. In dieser
„paradoxen Bezeichnung" Gottes finde ich selbst den formalen
Schlüssel zur systematischen Theologie; wir verdanken ihn
Martin Buber.

Der umfangreichste Aufsatz, eigentlich ein Buch im Buch,
stammt aus der Feder des Herausgebers Richard Wisser. Er ist
unter dem Titel Werrwirklichkeit und Sinnverständnis der Philosophie
v. Rintelens gewidmet. Bei v. Rintelen findet sich der großartige
Entwurf einer zugleich „zcitüberlegenen" und „zeitverbundenen
" Philosophie in unserer Gegenwart. Man begegnet hier
vor allem Gedanken Goethes in einer Interpretation, welche
die coincidentia oppositorum in neuen Begriffen auszusagen wagt.
Angesichts des alles überflutenden Technizismus steht eine solche
Gesamtschau aus dem Geist als großes Paradigma echten Denkens
in unsTer Zeit, und man sollte dieses Streben, „eine neue
Geborgenheit zu gewinnen" nicht vorschnell abtun. Für