Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 2

Spalte:

111-113

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Childs, Brevard S.

Titel/Untertitel:

Myth and reality in the old testament 1962

Rezensent:

Kaiser, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

111

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 2

112

wieder abgedruckt werden? Sie scheint mir für den Anfänger recht
nützlich zu sein.

Diese Bemerkungen möchten aber nur dazu beitragen, daß
das Werk, das sich auch in der neuen Gestalt gut bewähren wird,
bei der nächsten Auflage sein Ziel noch besser erreicht.

Greifswald Alfred Jepsen

Childs, Brevard S.: Myth and Reality in the Old Testament. Lon-
-j^don: SCM Press [i960]. 112 S. 8° = Studies in Biblical Theology,
Nr. 27. 9 s. 6 d.

Childs sucht mit der vorliegenden Arbeit zu zeigen, daß das
Problem des Mythos im Alten Testament wesentlich das des alt-
testamentlichen Verhältnisses zur Wirklichkeit ist, und wünscht
damit gleichzeitig einen Beitrag zu der heute so lebhaft diskutierten
Frage nach der Heilsgeschichte zu geben. In einem ersten
Kapitel „The Problem of a Definition of Myth" (S. 13—16)
spricht er sich sowohl gegen die Heynesche Bestimmung des Mythos
als einer umfassenden Ausdrucksform des Menschen auf
einer frühen Entwicklungsstufe, in der unerklärliche Ereignisse
auf eine direkte Einwirkung der Götter zurückgeführt werden,
als auch gegen die von den Gebrüdern Grimm inaugurierte
fermkritische als Göttergeschichte aus, weil beide ungeeignet für
die biblische Untersuchung sind, und fordert 6tatt dessen mit
Recht die Zugrundelegung einer phänomenologischen Definition.
Diese wird im zweiten Kapitel „Myth as an Understanding of
Reality" (S. 17—29) unter Berücksichtigung der wesentlichen
neueren Arbeiten geboten und am Beispiel der primitiven, der
sumerischen, babylonischen und ägyptischen Religion erhärtet.
Auf S. 29 faßt er das Ergebnis prägnant zusammen: ,,Myth is a
form by which the existing strueture of reality is understood and
maintained. It concerns itself with 6howing how an action of
a deity, coneeived of as occurring in the primeval ages, deter-
mines a phase of contemporary world order. Existing world
order is maintained through the actualization of the myth in
the cult."

Drittes und viertes Kapitel sind dann der Untersuchung des
alttestamentlichen Wirklichkeitsverständnisses in seinem Zusammenhang
und seiner Abgrenzung vom Mythos gewidmet.
Kapitel 4 „Myth in Conflict with Old Testament Reality"
(S. 30—71) zeigt am Beispiel von Gen. I, 1—2; 3, 1—5; 6, 1—4*
Ex. 4,24—26; Jes. 11,6-9 und 14,12—21, wie die Aufnahme
mythischer Elemente in ganz verschiedener Weise zu ihrer Umgestaltung
führte, je nach dem Widerstand oder Entgegenkommen,
das sie dem alttestamentlichen Verständnis der Wirklichkeit bewiesen
. Gen. 1, 2 enthält einen durch Gen. 1, 1 gebrochenen Mythos
, der beibehalten wurde, weil er die fortwirkende Realität
des sich gegen Gott auflehnenden Chaos beschreibt, das, nicht
von Gott erschaffen, dennoch als bedrohliche Möglichkeit existiert
(S. 42). Die Schlange von Gen. 3 wird von Childs mit
Gunkel als ursprünglicher, Gott und den Menschen feindlicher
Dämon verstanden, der in Israel zum Geschöpf degradiert wurde.
Die in der Erzählung verbleibende Spannung hat wiederum in der
biblischen Wirklichkeitserfahrung ihre Ursache, für die das Böse
nicht von Gott erschaffen, aber dennoch nicht außerhalb seiner
Macht und eine aktive Größe ist. Bei Gen. 6, 1—4 ist der ursprüngliche
mythische Charakter durch die Umstellung des
eigentlich hinter V. 4 6tehenden V. 3 gebrochen und die alte
Ätiologie zu einer Demonstration der vor der Flut herrschenden
Gottlosigkeit geworden, ohne daß sich das alte mythische Material
reibungslos seinem neuen Kontext einpaßt. Auch bei
Ex. 4, 24—26, einer Ätiologie zur Erklärung der israelitischen
Kinderbeschneidung, ist die Verankerung des Mythos in der
Heilsgeschichte nicht spannungslos gelungen, weil die dämonischen
Züge nicht entmythisiert, sondern auf den Bundesgott
übertragen wurden. Dagegen fügt 6ich das mythische Material
vom Paradies Jes. 11, 6—9 spannungslos den eigentlich jesaja-
nischen Aussagen ein. Es verliert seinen mythischen CharakteT
und wird zur poetischen Umschreibung der vollständigen Harmonie
und des Friedens des messianischen Zeitalters (S. 65 f.).
Ebenso erweist sich auch der Mythos vom Morgenstern Jes. 14,
12—21 als eine reine Illustrierung des Aufstiegs und Falls des
babylonischen Königs. In allen Fällen ist demnach die ursprüngliche
Kraft des Mythos gebrochen.

Kritisch mag angemerkt werden, daß es mehr als fraglich ist, ob die
Verbindung von Gen. 2 und 3 erst auf J zurückgeht (S. 47). Bedauerlich
ist auch, daß Childs sich auf die Untersuchung von Gen. 3, 1—5 beschränkt
und nicht das ganze Kapitel in seine Betrachtung einbezogen
hat. Auf diese Weise hätte er gleichzeitig ein weiteres Beispiel für eine
Historisierung eines Mythos gewonnen und überdies einen Grenzfall
in das Blickfeld bekommen, in dem biblisches und mythisches Denken
außerordentlich verwandt erscheinen. Zur Frage nach der Vorgeschichte
von Gen. 2 und 3 wird man künftig J. Dus, ZAW 71, 1959, S. 97 ff.,
vergleichen müssen. — Die Zurückweisung der Meyerschen Deutung von
Ex. 4, 24 ff., nach der im Hintergrund der Anspruch eines Dämons auf
das jus primae noctis steht und die Einfügung des Sohnes erst sekundär
erfolgt ist, ersdieint mir, trotz der zugestandenen Schwierigkeit de6
Problems, deshalb unbefriedigend, weil nicht einzusehen ist, warum der
Sohn statt des Vaters beschnitten wird und warum der Dämon überhaupt
die Beschneidung fordert (vgl. dazu die vorsichtigen Ausführungen
bei Noth, ATD 5, 1959, S. 36). Schließlich ist mir fraglich, ob die
Schilderung Jes. 11, 6—9 wirklich nur ,,a fanciful description of a world
transcending that of the senses" (S. 66) ist. Der auch sonst im Alten
Testament zutage tretende Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und
Naturheil scheint mir vielmehr für eine von der unseren abweichende
Sicht der Wirklichkeit zu sprechen, der Natur und Geschichte als eine
aufeinander bezogene Einheit erscheinen. Erst für uns erhalten solche
Aussagen einen poetischen Charakter. — Aber diese Einwände haben
nicht die Absicht, die grundsätzliche These von Childs über die gebrochene
Verwendung des Mythos im Alten Testament zu entkräften.

In dem folgenden fünften Kapitel „The Old Testament's
Categories of Reality" (S. 72—93) wendet sich Childs dem biblischen
Verständnis von Raum und Zeit in Abgrenzung gegenüber
dem mythischen zu. Dabei verzichtet er nachdrücklich und berechtigt
auf die Verwendung moderner Kategorien, die das Bild
immer in dieser oder jener Weise verzeichnen. Als wesentlich für
den mythischen Zeitbegriff wird das Fehlen einer wirklichen
Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
angesehen, sofern alle Zeit durch die Urzeit qualifiziert wird, die
letztlich jeden Wechsel aufsaugt und zu einem Teil der zeitlosen
Vergangenheit macht. Daher geschieht auch in der Endzeit, wo
eine solche erwartet wird, nichts wesentlich anderes als in der
Urzeit. Das Alte Testament bedient sich des Urzeit-Endzeit -
Schemas nur, um damit Anfang und Ende des einen Geschehens
zu beschreiben, in dem eine Wirklichkeit zunächst in verschleierter
, schließlich aber in voll wirksamer Form erscheint.
Die Endzeit ist nicht einfadi gleich der Urzeit, sondern bringt
etwas wirklich Neues. Die Urzeit ist nur als Teil der Geschichte
wichtig, die auf die Endzeit zuläuft. Erst von der Endzeit her wird
daher auch voll verständlich, was in der Urzeit qualitativ neu
war. Der Mythos blickt auf die Urzeit, das Alte Testament auf
die Endzeit, von der aus alles Zurückliegende als ein Übergang
erscheint.

Ähnliches ergibt sich bei dem Vergleich mit dem mythischen
Raum. Im Gegensatz zu dem Euklidschen erscheint dieseT nicht
als homogen. Er partizipiert an der Kraft der Urzeit, sei es an
der Ordnung der diese Welt stiftenden Götter, sei es an der
Macht der von ihnen besiegten Chaosmächtc. Räume gleichen
Inhalts überspringen daher gleichsam die Distanz. In der Zion-
ideologie läßt sich die Einwirkung eines derartigen mythischen
Raumverständnisses nicht übersehen. Der Zion besitzt eine
Heiligkeit, die ihn von allen anderen Orten unterscheidet. Aber
er besitzt diese Qualität nidit als Teil anfänglicher, urzeitlicher
Schöpfung, sondern geschichtlicher Erwählung. Heiligkeit des
Ortes ist keine unpersönliche, aus einem urzeitlichen Akt abgeleitete
Kraft, sondern Folge seines Verhältnisses zu Jahwe, was
besonders in der prophetischen Polemik gegen den Glauben an
seine unveränderliche Heiligkeit deutlich wird, die mit ihrer
ethischen Bestimmung des Verhältnisses die mythische Raumkonzeption
entscheidend hinter sich ließen. Das Alte Testament
bedient sidi ihrer, um ein von der Wurzel her anderes Verständnis
der Wirklichkeit auszudrücken. Raum und Zeit erscheinen
hier als der Ort der neuen Schöpfung Gottes.

In einem abschließenden Kapitel „The Theological Problem
of Myth" (S. 94-104) faßt Childs die Ergebnisse seiner Arbeit in
Auseinandersetzung mit anderen Entwürfen zusammen. Israels
Geschichte erscheint nach dem zuvor Erarbeiteten als ein Kampf
zwischen dem alten, mythischen und dem neuen, glaubenden
Verständnis der Wirklichkeit eines von Gott geschaffenen gehorsamen
und vertrauenden Israel. Als dessen letztes Kriterion er-